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Plädoyer für die leisen Töne

Peter Rösel und Andrey Boreyko im Kapell-Konzert

Wer am Sonntagvormittag in der Semperoper sinfonischen Pomp suchte, war im 9. Sinfoniekonzert der sächsischen Staatskapelle nicht gut aufgehoben. Zwar sind es gerade die klanglich massiven Werke der Spätromantik, die die Zuhörer gerne begeistern, doch die Dramaturgie dieses Konzertes widmete sich ausschließlich Kompositionen, die mit leisen Tönen spielten. Dass diese Erfahrung genauso packend sein kann wie ein orchestrales Schlachtengemälde, bewies der Gastdirigent Andrey Boreyko, der bei seinem Debut bei der Staatskapelle ein beeindruckend charaktervolles und sorgfältiges Dirigat zeigte. Dies wurde schon im einleitenden Werk deutlich. Modest Mussorgskys Vorspiel zur Oper „Chowanschtschina“, orchestriert von Dmitri Schostakowitsch, ist ein sinfonisches Kleinod; die Instrumentierung des Tagesanbruchs mit einer hinreißenden Klarinettenmelodie (Solo: Wolfram Große) formt von Beginn an eine eher schattenreiche Klangwelt, die mit düsteren Glockenklängen bereits die Dramatik der Opernhandlung vorwegnimmt. Boreyko modellierte diesen Einstieg sehr sanft und klangschön. Die gesamte Oper mit all ihren großen Chorszenen wartet allerdings immer noch auf eine Wiederentdeckung. Anschließend galt es ein besonderes Jubiläum zu feiern: 40 Jahre musiziert der Dresdner Pianist Peter Rösel bereits regelmäßig in Konzerten mit der Staatskapelle Dresden, das „Jubiläumskonzert“ war indes ein besonderes: Rösel wählte keines der großen Virtuosenkonzerte aus, sondern Mozarts letztes Klavierkonzert B-Dur, KV 595. Der Charakter dieses Werkes ist eher introvertiert und anstelle eines offenherziger Spielfreudigkeit treten hier formale und harmonische Entwicklungen deutlicher in den Vordergrund. Das Orchester ist in dem Konzert in besonderer Weise gefragt, denn es weist eine enge Partnerschaft zwischen Solo- und Orchesterpart auf. Das Duo Boreyko/Rösel war für die Interpretation ein Glücksfall: Rösel musizierte am Klavier aus vollkommener Ruhe heraus und Boreyko fügte in fast bescheidener Weise die klug positionierten und differenziert ausmusizierten Kommentare des Orchesters hinzu – am Ende hatte man das Gefühl, einem äußerst kultivierten Mozart-Spiel zugehört zu haben. In dieser wohlgeordneten Welt entfalteten sich die Themen auf natürlichste Weise, wurden kleinste Begleitfiguren zur Klangrede und vor allem Rösels subtile Anschlagskultur überzeugte durchweg. Diese reife Interpretation benötigte keine dynamischen Extremwerte oder Überraschungsmomente, im Gegenteil: Rösel zeigte eine gelassene Gesamtschau auf das Werk und konnte sich dabei auf das sorgsame Spiel der Kapelle jederzeit verlassen. Eine schöne Geste war es auch, dass kein Virtuosenschmankerl zugegeben wurde, sondern Rösel mit dem Orchester den 3. Satz des Mozart-Konzertes wiederholte – es war eine erneute Reise zu Mozart, wiederum geglückt und beglückend. Nach der Pause stand die 15., die letzte Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm. Dass dieses Werk auch 36 Jahre nach der Uraufführung noch betroffen macht, spricht für die Größe der Komposition, die in ihrer nackten, direkten Klangsprache so gar nichts mehr mit den früheren Sinfonien zu tun hat. Boreyko schuf eine äußerst spannungsvolle Interpretation und führte die „irrenden“ Melodielinien mit sicherer Hand in eine ruhige Gesamtentwicklung, von der sich nur die gewalttätige Schärfe der Eruption im 2. Satz abhob. Dieser Ausbruch wurde aber sorgfältig mit einem höchst emotionalen Cellosolo (als Gast: Peter Bruns) vorbereitet und wirkte daher schockartig. Eine lange Stille entstand im Publikum, nachdem die letzten Schlagwerkimpulse des 4. Satzes auspendelten. Die Kapelle und Boreyko formten hier ein Plädoyer für die leisen und melancholischen Töne eines der wichtigsten und immer noch äußerst spannenden Komponisten des letzten Jahrhunderts.

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