Zum Inhalt springen →

Vollkommen durchflutet

Messiaen-Würdigung der Sächsischen Staatskapelle Dresden

„Musik, von der man sagen könnte, sie sei NACH dem Ende der Welt komponiert.“ – Angesichts der verständlichen Sprachlosigkeit nach der Aufführung der 1946-49 entstandenen, zehnsätzigen „Turangalîla-Sinfonie“ von Olivier Messiaen im 3. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle sei dieses Zitat des Schriftstellers Julien Green erlaubt, um dem Eindruck von Messiaens Musik passende Worte zu verleihen. Doch sogleich darf man dem Literaten widersprechen: Messiaens Musik ist gewiss nicht jenseitig und weltenabgewandt, sondern zutiefst mit Mensch und Natur verbunden. Die einzigartige Klangwelt des Komponisten erklingt in diesem Jahr rund um den Erdball zu seinem 100. Geburtstag. Die Urkraft und Aufrichtigkeit, ja Notwendigkeit dieser Klänge ergreift beim Zuhören sofort und rührt an die Sinne. Es ist höchst ehrenhaft, dass die Sächsische Staatskapelle sich gleich mit mehreren Konzerten in das Jubiläum einreiht. Dass es eine Feier der Bejahung des Lebens wurde, ist vor allem dem Dirigenten Myung Whun-Chung zu verdanken, der nicht nur die Turangalîla-Sinfonie im Kapell-Konzert leitete, sondern tags zuvor auch in einem Außerordentlichen Kammerabend in der Schütz-Kapelle im „Quatuor pour la fin du Temps“ (Quartett auf das Ende der Zeit) den Klavierpart übernahm. Das „Chung-Messiaen-Projekt“ wartete somit mit den beiden wohl wichtigsten, zentralen Werken des Komponisten auf. Das Engagement für Messiaen zieht weitere Kreise: die Kapelle wird auch die Mentorenschaft für den „Meetingpoint Music Messiaen Görlitz-Zgorzelec“ übernehmen. Am Ort der Uraufführung des Quartetts, dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag VIIIa, wo Messiaen 1940/41 interniert war, wird ein musikalisches Begegnungszentrum entstehen. Albrecht Goetze, Gründer und Leiter dieses Projektes, gab eine Einführung zum Kammerabend und betonte nicht nur die Ausnahmestellung des „Quatuor“ in Messiaens Schaffen, sondern auch seine Bedeutung als ein humanistisches Zeugnis, das in allen Zeiten Kulturen und Menschen über das Erlebnis der Musik verbindet. Chung sowie Matthias Wollong (Violine), Isang David Enders (Cello), Christian Dollfuss (Klarinette) schufen anschließend eine zutiefst beeindruckende Aufführung des „Quatuor“, die von allen Musikern im Solo wie im Miteinander von absolutem Verständnis und bis ins Letzte ausgereizter Leidenschaft getragen wurde. Waren es am Sonnabend Glücksmomente höchster kammermusikalischer Intimität, so überwog am Sonntag im Sinfoniekonzert orgiastische, herausplatzende Lebensfreude. Die Solisten Peter Donohoe (Klavier) und Valérie Hartmann-Claverie (Ondes Martenot) waren wie Chung eng mit Messiaen in seinen letzten Lebensjahren verbunden. So gelang ein exemplarisch und einmalig zu nennendes Eindringen in die Klangwelt der Turangalîla-Sinfonie. Das Orchester folgte Dirigent und Solisten mit höchster Spielfreude, größtmöglicher Exaktheit und einem Freudenlärm, der den altehrwürdigen Semperbau mehrfach an seine akustischen Grenzen führte. Vollkommen durchflutet vom tumultösen Tutti-Klang war man bereits nach dem 5. Satz, durfte sich dann im 6. Satz im „Garten des Liebesschlummers“ ausruhen, um nach neuerlichen Überlagerungen von Motiven des Liebesspiels und der zahlreichen Vogelstimmen dem Finale „avec un grande joie“ – mit großer Freude – entgegenzustürmen. Chung ging die Sinfonie mit klarer Strukturierung und vor allem mit einer unglaublichen musikantischen Lockerheit an, was für dieses Mammutwerk nicht gerade selbstverständlich scheint, jedoch erhielt die Interpretation auf diese Weise eine sehr natürliche, fast tänzerische Lebendigkeit. Chung, das Orchester und die Solisten durften nach dem letzten Verrauschen des Schlussakkordes einen wahren Beifallssturm des mitgerissenen Publikums entgegennehmen.

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert