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Turbo-Taste

Unglaublich, wie groß gerade die Tempovarianz und Interpretationsbreite bei Barocksätzen ist. Man meint ja, „seinen“ Bach zu kennen, hört dann eine historische Aufnahme des Violinkonzertes von Bach und plötzlich ist das Temporädchen wieder an den Anfang gedreht. Und es klingt trotzdem, o Wunder. Die Erfahrung: keine Musikeindrücke sind jemals festgefügt für die Ewigkeit, obwohl gerade die Erinnerung der „ersten Aufnahme“ oder des „ersten Konzertes“ einem oft einen Streich spielt – so komme ich wohl zeitlebens nie von „meinen“ Kubelik-Aufnahmen der Mahlersinfonien los, die ich mit 15 rauf und runter gehört habe. Aber ab und zu lohnt sich das Innehalten: o, das ist ja das halbe Tempo. Gewinnt nicht dadurch die Musik? Oder schütteln wir doch mal wieder den Kopf und drücken auf die Turbo-Barock-Taste?

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Veröffentlicht in hörendenkenschreiben

4 Kommentare

  1. Schöne Gedanken, die ich mir auch oft mache. Und gerade bei Barockmusik empfinde ich das extrem. Wieviel „Schmalz“ darf da sein? Wie klar sollte es klingen? Wieviel „Groove“ braucht diese Musik? Oder doch lieber zackig und zickig (stand ein Flöten-Prof bei uns an der Hochschule drauf)…?
    Tausende solcher Fragen.
    Und niemand weiß die Antwort darauf. Niemand da, der Bach oder Telemann oder Händel.. oder… persönlich gekannt hätte.
    Tja.
    Aber es führt so weit, daß ich Hemmungen habe, meine Schüler bei „Jugend musiziert“ Bach spielen zu lassen, weil ich weiß, daß da auch die Interpretation bewertet wird…. und ich kenne leider eine Dame in der Jury, die auf einen Bach steht, den ich nicht mag. Da bekommen dann die die Punkte, die den Zickenbach auf der Flöte spielen, während der Pianist mit durchgetretenem Pedal seine Stimme orgelt.
    Ich hasse es.

    Und ich glaube auch, Du hast Recht, wenn Du sagst, daß man sich leider (?) sehr davon beeinflussen lässt, was man als Kind oder Jugendlicher gehört hat.
    Bei mir war das in Sachen Bach eine Kassette mit David und Igor Oistrach. Hat mich sehr beeinflusst – und daran lässt sich nichts rütteln, auch wenn ich heute oft versuche, was anders zu machen und Bach weniger emotional zu interpretieren.
    Naja, gibt Schlimmeres.

    • Natürlich ist es meist ein persönlicher Geschmack, dann kommt die ganze Rezeptionsgeschichte eines Werkes hinzu und auch die Entwicklung musikalischer Interpretation gerade im letzten Jahrhundert. Ich frage mich, ob es einen „common sense“ gibt, der im energetischen Bereich liegt, wenn man genau den Spannungsnerv der Musik trifft, in Tempo, Agogik, Dynamik usw. – Allerdings bezweifel ich das auch gleich wieder, wenn meine Kunden schmachtend von Karl Richter und Yehudi Menuhin schwärmen. Vielleicht gehen wir ja auch mehr mit der Zeit?! — Es ist übrigens interessant, dass Du gerade Oistrach erwähnst, der ja gerade in technischer Hinsicht ganze Schulen und Generationen von „Oistrach-Geigern“ gebildet hat. Das würde ich also schon – losgelöst von der „Turbotaste“ als Sonderfall sehen.

    • Oistrach ist für mich etwas Besonderes. Ich habe als 7-jährige diese Aufnahme rauf und runter gehört. Einfach, weil es in meinem Elternhaus nur 3-4 klassische Platten gab.
      Ich wollte immer spielen können wie Oistrach (damals hab ich Geige gelernt… konnte mich aber trotzdem auf dem Instrument nie so richtig ausdrücken… Cello wäre vermutlich besser gewesen.. Flöte war da eher die Notlösung, da eher schnell zu lernen mit 15). Eigentlich eine komische Entscheidung.

      Noch dabei: Jaqueline du Pré, Drovak und Schumann Cellokonzerte. Und eine Platte mit Mozart-Sinfonien, Wiener Philharmoniker.
      Also, ich würde sagen, es hätte mich schlimmeres prägen können, oder? 😉

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