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Pessimistische Litanei des Urbanen

Monodram „Der Riß durch den Tag“ von Johannes Maria Staud uraufgeführt

Nach dem Orchesterstück „Tondo“ des aktuellen Capell-Compositeurs Johannes Maria Staud, das vor Monatsfrist im Sinfoniekonzert der Staatskapelle uraufgeführt wurde, kam es am vergangenen Sonnabend in einem Sonderkonzert zu den Dresdner Musikfestspielen zu einer weiteren Premiere, diesmal in der Halle der VW-Manufaktur.

Dabei trafen zwei Capell-Compositeure erstmals in einem Konzert aufeinander, denn Isabel Mundry, 2007 erste Capell-Compositrice der Staatskapelle, war eingeladen, ihre 2010 uraufgeführten „Scandello-Verwehungen“ für Chor und Ensemble erneut zu präsentieren. Das „Vocal Concert Dresden“ (Leitung Peter Kopp) präsentierte zunächst von einer Empore wirkungsvoll Gloria und Credo aus der 1553 entstandenen Messe von Antonio Scandello – ebenfalls ein früher Hofcompositeur in Dresden und einer der ersten, der aus Italien eintraf und damit eine äußerst fruchtbare musikalische Epoche in Dresden einleitete. Mundrys „Verwehungen“ bewegen sich ganz auf dem Boden dieser Musik; sie verwischen, verstärken und spiegeln bestimmte Aspekte – eine Art neuer Renaissance-Drive entsteht da, der Altes nicht verleugnet und mit Wahrnehmungsphysiologien bewusst spielt. Akustisch konnte man mit dem Ergebnis (der Chor stand nun vor einem immensen schwarzen Vorhang) aber nicht zufrieden sein, so transparent das kleine Kapell-Ensemble unter Gastdirigent Asher Fisch auch musizierte.

Nach der Pause wurde Stauds Monodram „Der Riß durch den Tag“ aus der Taufe gehoben – es ist nach der Oper „Berenice“ (2004) Stauds zweite Zusammenarbeit mit dem Dichter Durs Grünbein. Zwar ist dieser in Dresden geboren und sein Text (aus: „Nach den Satiren“ aus dem Jahr 1999) zeigte ganz eindeutig die Beschäftigung mit urbanen Perspektiven und Atmosphären, doch ist der Rahmen weiter gefasst. Im Mittelpunkt steht eine dramatische, be- und aufgeladene und wenig optimistische städtische Bilderwelt, die Staud vermutlich eine mühelose musikalische Projektionsfläche anbot – Poesie wird hier zu einer Litanei des kaum Erträglichen, der Ausweg geht nur über Ignoranz oder einer möglichen Wendung nach innen. Die bleibt (fast) aus in Grünbeins Text – Wandlung oder Reinigung scheint nicht beabsichtigt.

Trotzdem ordnet Staud die musikalischen Formen in fünf Teilen fast klassisch an und strukturiert daher den oft blutigen Wörtersee stimmig, um nicht zu sehr in die Abstraktion zu gleiten. Durch die kluge Proportionierung von Wort und Musik sorgte Staud auch für eine Deutlichkeit in der Darstellung. In den Möglichkeiten des großen Kammerensembles fand er zudem plastische Gesten des (nur selten theatralischen) Kommentars – von der Staatskapelle wurde das sehr engagiert umgesetzt. Eine bessere Besetzung als der Schauspieler Bruno Ganz in der Sprecherrolle war kaum denkbar – Ganz füllte das Monodram nicht mehr und nicht weniger als ein professionell geführtes Instrument aus, stellte sich in den Dienst der Musik und des Textes und ließ so ausreichend Gedankenfreiheit beim Zuhören zu.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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