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Sinnspiel von Leben und Tod

Karl Amadeus Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“ in Semper2

„Wir sind ja nun mehr ganz verheeret“ – ein Zitat aus Andreas Gryphius ergreifendem Gedicht „Tränen des Vaterlandes“ (1636), das mitten in Karl Amadeus Hartmanns Oper „Simplicius Simplicissimus“ erscheint und die ganze Befindlichkeit des gebeutelten Volkes im Dreißigjährigen Krieg spiegelt, legt sich von diesem Mittelpunkt aus wie ein Schleier über die ganze Oper: Auch Hartmann (1905-1963) befand sich zum Zeitpunkt der Komposition des Werkes zwischen den Verheerungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Reflektion und ahnungsvolle Vision gehen hier eine bedrückende Gemeinschaft ein und am Ende der Oper ist klar, dass auch die in vielen Weltgegenden gewaltreiche Gegenwart kaum Anlass zum Zurücklehnen bietet.

Insofern bot die Premiere von Karl Amadeus Hartmanns bewegendem Werk an der Dresdner Semperoper nicht nur einen zeitlos wichtigen Kommentar zum Zeitgeschehen, sondern in knappestmöglicher, konzentrierter Form reichlich Anlass zum Nachdenken. Dass dies ermöglicht wurde, garantierte die stimmige Einheit von Regie (Manfred Weiß), Bühne (Timo Dentler) und Kostümen (Okarina Peter). Für die frühe Kammerorchesterfassung mit 15 Instrumenten schien der intime Raum von Semper2 prädestiniert. Statt in einer Probebühne wähnte man sich durch die Quader-Bühnengestaltung um das Publikum herum in einem derart abgeschlossenen Raum, dass die Übertragung von Szene und Musik auf den Zuhörer in einer selten so direkt zu erlebenden Weise geschah. Konventionelles Frontaltheater wäre bei dieser Thematik ohnehin unangebracht: an jeder Stelle des Werkes, das „seine formale Konsistenz aus der Erregung nicht verleugnen kann“ (Hartmann) sind wir unmittelbar angesprochen.

Regisseur Weiß versuchte (von einigen Schneeflocken abgesehen) daher auch gar nicht, die Kraft des Wortes, die ohnehin auch in zeitgenössischen Texten überwiegt, durch Theaterdonner oder Chiffrierung zu mildern. Auf einfachen Hockern folgt das Publikum-Volk der Geschichte des Bauernjungen Simplici, der in den Kriegswirren seine Authentizität behält, die ihm am Ende sogar das Leben rettet und kurzzeitig vermag, anderen die Augen zu öffnen. Wie stark wirkt in dieser minimalistischen Umgebung die 2. Szene in der Natur, wie selbstverständlich und unverrückbar steht der schon von Hartmann mitkonzipierte Lebensbaum als Gleichnis und einziges Bühnenutensil im Raum.

Auch den Protagonisten des Werkes ist anzumerken, dass sowohl die Intensität des Momentes als auch der dramatische Zug hin zur dritten Szene nachvollzogen wird. Die Australierin Valda Wilson in der Hauptrolle bleibt natürlich, sowohl stimmlich als auch darstellerisch; damit folgt man ihr bereitwillig durch Freude und Leid der Handlung. Timothy Oliver als Einsiedel überzeugt ebenfalls mit souveräner Gestaltung, genauso Matthias Henneberg als Hauptmann. In weiteren Rollen fügen sich Allen Boxer und Tom Martinsen, sowie Lina Lindheimer (Tanz) und ein kleines Ensemble des Staatsopernchors in dieses Sinnspiel von Leben und Tod, von Arm und Reich, Frieden und Gewalt. Der Hartmann-erfahrene Dirigent Erik Nielsen leitet straff und gleichzeitig flexibel durch die schillernde Partitur, die zwischen barockem Choral, Strophenlied und derbem Gassenhauer alles auffährt, was in den Zwischenkriegsjahren des vergangenen Jahrhunderts en vogue war – niemals aber verliert Hartmann den ihm eigenen, oft zweifelnden, abwartenden Ton, den Nielsen mit dem Ensemble vor allem in vielen Instrumentalsoli überzeugend herausmodelliert.

Potenzial besteht dennoch, die letzte Konsequenz einer zwingenden Übereinstimmung aller Musiker und Darsteller könnte diese Inszenierung zu einem geheimen Höhepunkt der Saison machen. Dank einer Vielzahl von Ansetzungen sollte jedem Interessierten der Besuch einer Aufführung anempfohlen sein – die fehlenden Kronleuchter vergisst man gleich in den ersten Takten, in denen man – Theater sei Dank – mitten in die Handlung geschleudert wird.

weitere Termine: 24., 25., 27, 30. Oktober & 1., 3., 8., 10., 11. November

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