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Unvereinbare musikalische Welten

Dresdner Philharmonie und der Armenische Kammerchor musizierten in der Frauenkirche

Mutig erscheint der Schritt der Dresdner Philharmonie, einen außergewöhnlichen Programmschwerpunkt gleich zu Beginn einer von Umbrüchen geprägten Spielzeit umzusetzen. Der Blick nach Armenien schafft zumeist fremdartige, intensive Musikerlebnisse, wenn man sich nicht gerade ausschließlich mit der populären Musik von Aram Chatschaturjan beschäftigt. Ursprünglich war für das Konzert am Sonnabend in der Frauenkirche ein rein amerikanisches Programm geplant. Wohl durch das Zustandekommen eines Gastspiels des Armenischen Kammerchores musste umdisponiert werden, dadurch entstand aber eine nur als verunglückt zu bezeichnende Dramaturgie: zwei Orchesterwerke des amerikanischen Komponisten Samuel Barber wurden im Programm belassen und mit Chorwerken von Schnittke und Komitas in eine Nachbarschaft gesetzt, die nicht nur nicht passen wollte, sondern auch den höchst spannenden Einblicken in die armenische und russische Klangwelt einen im Kontext nur aufgesetzt wirkenden Neoklassizismus und suggestive Illustrationsmusik entgegensetzte.

Doch damit nicht genug – nachdem der Chor unter Leitung von Robert Mlkeyan das erste armenische Stück stimmungsvoll von der Orgelempore sang, wurde die gerade entstandene Atmosphäre jäh zerstört, da sich nach unnötig provozierter Klatscherei das „Adagio“ für Streicher von Samuel Barber anschloss, ein Werk, das aufgrund seiner emotionalen Unausweichlichkeit ohnehin nur bei passenden Anlässen ertragbar ist. Vermutlich wollte man dem Chor nicht allein das Feld überlassen, lediglich ein einziges kurzes Werk wurde gemeinsam musiziert. So litt vor allem die erste Konzerthälfte unter den unvereinbaren Musikwelten. Bemerkt werden muss ebenfalls, dass in diesem Armenien-Schwerpunkt die stärkste kompositorische Stimme dieses Landes – der Komponist Awet Terterjan – komplett fehlt, wodurch im vermittelten musikalischen Bild des Landes eine Schieflage entsteht. Terterjan wäre eine sinnfällige Ergänzung des Programms gewesen, in dem das Barber-Violinkonzert am Ende des viel zu langen ersten Teils als bloßer Fremdkörper stand.

Die Interpretation mit dem Geiger Mikhail Simonyan und Sergey Smbatyan am Dirigentenpult war nicht durchweg befriedigend. Zu viele Unsicherheiten im Orchesterpart konnten Simonyans engagiertes Spiel nicht aufwiegen; der dritte Satz war in seiner vorbeifliegenden Hektik wiederum ein Beweis, dass man bestimmte Stücke in der Frauenkirche aus dem Altarraum heraus nur schwerlich überzeugend präsentieren kann. Ganze fünf Minuten Pause gönnte man dem Publikum in dem über zwei Stunden langen Konzert, versöhnend wirkte jedoch die Klangkultur, mit der der Armenische Kammerchor vor allem im zweiten Teil aufwartete. Zu exaltiert und dynamisch trotz der Fähigkeiten der Sänger als grenzwertig zu bezeichnen war noch im ersten Teil die Interpretation der „Drei Gesänge“ von Alfred Schnittke – der hinzugefügte Bombast ist sicher nicht vom Komponisten intendiert.

Tigran Mansurians drei Chorwerke auf Texte von Avetik Sahakyan waren aber ebenso eine spannende Entdeckung wie die rhythmisch und melodisch faszinierenden Gesänge von Komitas Vardapet, dem großen armenischen Musikforscher und Komponisten. Strömend dicht und obertonreich musizierte der Armenische Kammerchor diese Musik, die keine Vergleiche benötigt, sondern kulturelle Identität ausstrahlt. Etwas einsam stand Eduard Hayrapetyans „With Ecstasy…“ für Chor und Streichorchester am Schluss des Programmes, war aber schlüssig ausgewählt als Beispiel einer auf den kulturellen Wurzeln des Landes fußenden, zeitgenössischen armenischen Musik, wenngleich auch hier im Dickicht polytonaler Flächen und ohne Kenntnis des Textes der Zugang für den Hörer nur bruchstückhaft gelang. Mit Konzentration und Zugeständnissen wäre hier vielleicht ein überzeugendes Konzert gelungen, insgesamt überwog aber leider der Eindruck, dass im Vorfeld verschiedene Planungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis zusammengeführt werden konnten – es ist schade, dass so das Wichtigste, die Musik selbst, ins Hintertreffen geriet.
(30.9.12)

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