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Armenisches Kolorit und amerikanischer Kehraus

1. Konzert der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus

Fünf Schritte braucht Chefdirigent Michael Sanderling, dann steht er am Pult der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus. Die Plötzlichkeit des Erscheinens war im Kulturpalast nicht vorhanden, da konnte man von der Bühnentür bis zum Pult fast noch einmal die erste Partiturseite innerlich durchgehen. Auch akustisch ist das Schauspielhaus natürlich ein anderer Ort – man wähnt sich optisch zwar näher am Geschehen, ist aber nicht wirklich befriedigt durch den leicht dumpfen, resonanzarmen Klang von der Bühne.

Für die Musiker kommt es hier auf Genauigkeit und Homogenität an, um einen möglichst tragfähigen Klang zu erzeugen. Mit einem spätromantischen Programm wartete das Orchester im 1. Konzert der Schauspielhaus-Reihe auf. Sergej Prokofjew ordnete fünf Sätze aus dem Ballett „Aschenbrödel“/“Cinderella“ Opus 87 zu einer kleinen Suite, bei der aber durch die Handlungsabbrüche der Eindruck der Miniatur überwog, dies aber lösten die Philharmoniker mit gutem Sinn für die jeweilige Szene, mit strömendem Klang wurde der bekannte Walzer zelebriert, der „Streit“ gelang mit markiertem Zugriff überzeugend.

In der Mitte des Konzertes wurde erneut ein Streiflicht auf Armenien geworfen; das Land stand in den bisherigen Konzerten thematisch schon mehrfach im Mittelpunkt. Diesmal widmete man sich dem Violinkonzert von Aram Chatschaturjan, der zwar in Georgien geboren wurde und den Großteil seines Lebens in Moskau verbracht hat, aber sich der armenischen Kultur stark verbunden fühlte. So ist auch die Folkloristik seines Violinkonzertes keine Effektenhascherei, sondern Bekenntnis des Komponisten zu seiner Tradition und Herkunft. Mit dem Solisten Mikhail Simonyan (der das Konzert auch unlängst für die CD einspielte) war ein Botschafter der armenischen Musik gefunden, der einen ganz spezifischen Klang und Zugang für das Werk fand.

Dieser immer vom Gesang und von einer leicht melancholischen Stimmung ausgehende Ansatz sprang als Funke auch schnell auf die Philharmoniker über, die Sanderling mit Temperament und Sensibilität für die großen melodischen Linien im Andante führte. Simbotyan zeigte eine packende Kadenz im 1. Satz und eine tolle Linienführung, die das Kolorit nie verleugnete – Simonyan bedankte sich für den Applaus, wie neulich schon beim Museumskonzert, mit dem „Armenischen Gebet“ von Komitas. Dass „Folklore“ ein weitläufiger und im Einzelfall zu untersuchender Begriff ist, zeigte auch das bekannte Schlusswerk des Konzertes: In Dvořáks 9. Sinfonie findet man viel Gefallen an der amerikanischen Kultur, aber eben auch den böhmischen Musikanten.

Sanderling gab Raum für beides, fand schöne Tempi und ließ vieles ausmusizieren. Erst das Finale bekam einen unerbittlichen, aber positiv leidenschaftlichen Zug bis hin zum letzten sauber intonierten Akkord. Kein spektakulärer, aber musikalisch intensiver und angemessener Auftakt für die Philharmoniker „unterwegs“ im Schauspielhaus.

CD-Tipp: „Two Souls“ Aram Chhatschaturjan, Samuel Barber, Violinkonzerte
Mikhail Simonyan / London Symphony Orchestra / Kristjan Järvi (DGG 2012)

(15.10.12)

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