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Eine musikalische Sternstunde

Bach und Bruckner mit Herbert Blomstedt in der Frauenkirche

Dresden, Leipzig, Kopenhagen, San Francisco. Diese Orte stellen nur eine kleine Auswahl der bisherigen Schaffensmittelpunkte des Dirigenten Herbert Blomstedt dar. Zu seinem 85. Geburtstag machte sich Blomstedt selbst wohl das bescheidenste Geschenk, seinem großen Publikum in aller Welt aber das größte: er arbeitet und dirigiert, will „seinen“ Orchestern und den Zuhörern Musik schenken, die er besonders gerne aufführt – in diesem Jahr sind dies das „Deutsche Requiem“ von Brahms, Beethovens „Missa Solemnis“ und Sinfonik von Beethoven und Bruckner. In Dresden, wo Blomstedt zehn Jahre die Geschicke der Sächsischen Staatskapelle leitete, ist er stets hochwillkommen – auch wenn diesmal „seine“ Dresdner nicht zur Verfügung standen.

Für das Gastspiel in der Frauenkirche reiste er mit den Bamberger Symphonikern an, deren Ehrendirigent er ist, und mit denen er Anfang November eine Tournee nach Japan unternimmt, von wo die Staatskapelle dann gerade zurückkehrt.
Dass rund um den Globus Blomstedts Interpretationen gefeiert werden, ist nicht eine späte Ehrerbietung, sondern die Würdigung eines Lebenswerkes, die sich vor allem – das sah man beim Gastspiel in der Frauenkirche deutlich, in der nie versiegenden Freude am Musikmachen und in der Erfüllung in der Arbeit an den Partituren niederschlägt. Solches Musikmachen verschafft Respekt und führt den Zuhörer tief in die Werke ein.

Im Dresdner Konzert stellte Blomstedt der 4. Sinfonie Es-Dur von Anton Bruckner ausgerechnet eine Kantate von Johann Sebastian Bach zur Seite. Obwohl das eigentlich eine völlig verständliche Kombination ist, hört man diese Gegenüberstellung im Konzert selten und dementsprechend erhellend war das Musikerlebnis. Bei allen Unterschieden der Epochen und Persönlichkeiten zeigen sich beide vereint beim „lieben Gott“ und in der Meisterschaft des Kontrapunktes. Ein Meisterwerk ist Bachs Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ zweifellos, die Virtuosität des Werkes, das ohne Chor auskommt, weist auf das italienische Vorbild hin. Ruth Ziesak (Sopran) war für dieses Stück ideal besetzt und kostete die in allen Registern geforderten Koloraturen genüsslich aus – Blomstedts kleinbesetztes Ensemble begleitete zuverlässig und klangschön, jederzeit dem Wort untergeordnet.

Kaum jemand im Publikum mochte zur Pause aufstehen – zu gespannt war man auf die große Bruckner-Sinfonie, die dann zu einer musikalischen Sternstunde geriet. Blomstedts unprätentiöses Dirigat, das sofort Vertrauen schafft und zu Homogenität und Spannung aufruft, brachte eine lichte, traumhaft geschlossene Interpretation hervor. Schon der einleitende Hornruf beschwor eine selbstbewusste, überhaupt nicht mystifizierende Klangwelt, die durch Blomstedts stets federnd-leichtes Metrum und dem hervorragenden Können der Orchestergruppen Leben erhielt.

Sorgsam ausgehört war die Balance im Orchester, Steigerungen erhielten von Blomstedt in organischer Weise Zeit und Atem. Von irisierender Schönheit waren die Kantilenen der Bratschen im Andante; selten hörte man auch, dass schlichte Tonwiederholungen oder Oktavsprünge so spannungsvoll gestaltet werden können – das besorgte eine exzellente Holzbläsergruppe, während das Blech warm intonierend selbst im Tutti des 4. Satzes zwar strömende Wucht, aber nie Gewalt verbreitete. So glanzvoll, positiv und stimmig hört man diese Sinfonie selten in einem Konzert und die Standing Ovations des Publikums für Herbert Blomstedt und das auf allerhöchstem Niveau musizierende Orchester waren nicht nur berechtigt, sie kamen auch – Geburtstagswünsche inklusive – von Herzen.
(22.10.12)

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