Zum Inhalt springen →

Brahms in „High Definition“

Lisa Batiashvili und Christian Thielemann im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Die musikalische Bande zwischen der Sächsischen Staatskapelle und ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann ist längst geknüpft – bei den Osterfestspielen in Salzburg, wo die Staatskapelle nun in der ersten Saison als Residenzorchester auftrat und sich höchste Meriten erwarb, konnte sie in den Parsifal-Aufführungen und den Orchesterkonzerten intensiviert werden. Gute Voraussetzungen also für die Rückkehr in gewohnte Sphären, wenngleich das 10. Sinfoniekonzert im Semperbau nur ein kurzes Luftholen in der Heimat bedeutete: mit dem Brahms-Programm dieses Konzertes sowie der 8. Sinfonie von Anton Bruckner begibt sich die Staatskapelle auf eine USA-Tournee, der ein Konzert in der Bonner Beethovenhalle vorausgeht.

Keineswegs durfte man aber die gänzlich bekannten Brahms-Stücke als leichte Kost unterschätzen, zumal Thielemann die sinfonischen Werke des Komponisten in dieser Saison als Dreh- und Angelpunkt seiner Konzerte und CD-Aufnahmen bestimmt hat. Mit der 4. Sinfonie e-Moll Opus 98 komplettierte Thielemann die Aufführungen aller Sinfonien, das Violinkonzert wurde bereits im letzten Jahr für die CD produziert. Beide Werke zeigen den Komponisten in meisterlicher Reife, die beiden zeitlich dazwischen stehenden Ouvertüren ergänzen dieses Bild sinnfällig.

Thielemann entzog der „Akademischen Festouvertüre“ Opus 80 daher auch allen Pomp und konzentrierte sich auf sorgsame Ausarbeitung der Klangfarben ohne den Fluss des Stückes zu verlieren. Nobler Glanz verbreitete sich, doch die kaum mitreißende Patina des Werkes ließ sich kaum verhindern – ein tieferes Musikerlebnis gönnt uns Brahms mit den Studentenliederzitaten eben nicht.

Ganz anders gibt sich das Violinkonzert D-Dur: sinfonisch, virtuos, genial komponiert und mit dem damaligen Interpreten Joseph Joachim erarbeitet. Die Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili, die bereits im Februar mit einem Recital das Dresdner Publikum begeisterte, entschied sich für die wenig bekannte Kadenz von Ferruccio Busoni und teilte damit dem Publikum unzweifelhaft auch eine Haltung mit – nämlich die Legitimation einer Lebendigkeit des Werkes über die Zeiten, die eben auch neue Sichtweisen auf ein Stück einschließt. Nicht nur die Kadenz war von brodelnder Spannung getragen: von Beginn an – die von Thielemann frisch und deutlich angegangene Einleitung blieb dem Orchester vorbehalten – nahm Batiashvili das Heft in die Hand und bescherte dem Dresdner Publikum eine packende Darstellung dieses Konzertes, die über alle drei Sätze trug, und in ihrer in jedem Takt hochmusikalischen Herangehensweise, die Impulsivität, Können und Wissen vereinte überzeugte.

Batiashvili schuf eine eindeutige, von gutem Selbstbewusstsein und herber Klangfarbe bestimmte Charakteristik für alle Themen. Scheinbar belanglose Begleitfiguren erhielten ihre korrekte Bedeutung durch Emphase der Harmonik oder Setzen energetischer Zielpunkte – der 3. Satz erhielt seine bekannte Spielfreude, ohne jemals flüchtig oder oberflächlich zu wirken – eine starke Leistung der aus Georgien stammenden Geigerin. Brahms leuchtete so in „high definition“, wobei das Orchester durchweg aufmerksam diesen Weg nachvollzog – lediglich dem Bläsersatz zu Beginn des 2. Satzes fehlte noch ein Quentchen Souveränität.

Im sinfonischen „Opus Summum“ des Komponisten war es erfreulich, erneut wahrzunehmen, mit welchem offenkundigen gegenseitigen Verständnis Thielemann und das Orchester die Balance zwischen Detailgenauigkeit und Satzfluss herstellen. So erhielt der erste Satz mit weichen Auftakten im Thema und transparenter Durchführung einen enormen Drang zum Satzschluss hin, um den Mittelsätzen den richtigen Platz im Gesamtgefüge zuzuweisen. Die abschließende Passacaglia wiederum zeugte mit zahlreichen wunderbaren Passagen in den einzelnen Orchestergruppen noch einmal von der reifen Größe des Komponisten, der zum Beschlusse seines sinfonischen Werkes den Übervater Bach gebührlich zu Wort kommen läßt.

Auf die Aufnahmen des sinfonischen Zyklus darf man durchaus gespannt sein, man sollte dabei aber nicht die Einzigartigkeit eines jeden Konzertes vergessen – die Lebendigkeit eines vollkommen ausgekosteten Momentes ist bei Werken von Johannes Brahms ein Schatz, der bei Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle in guten Händen aufgehoben ist.

(8.4.2013)

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

  1. thg thg

    Wie gern ich dabei gewesen wäre!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert