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Wogen und Fließen

Wagner, Franke und Tschaikowsky im Philharmonie-Konzert

Zwischen Richard Wagner und der Dresdner Philharmonie mag man im ersten Moment keine großen Schnittmengen erkennen, wurde das Orchester doch erst 1870 gegründet, als Wagner schon „über alle Berge“ war. Doch das Gewerbevereinshaus an der Herzogin Garten war für kurze Zeit auch Wagners Domizil, und die Programme des Orchesters bezeugen die Wagner-Pflege von Beginn an. Heute weht der Geist des Meisters nicht mehr so intensiv durch die Dresdner Konzertsäle wie zu seinen Lebzeiten, doch das Wagner-Jahr 2013 nimmt sich auch die Dresdner Philharmonie gerne vor – mehrere Konzerte sind noch bis zum Sommer dem Wirken Wagners in Dresden gewidmet.

Da erste Entwürfe zum „Ring des Nibelungen“ auf die Dresdner Zeit datieren, erschien zum Auftakt das Vorspiel zum „Rheingold“ sinnfällig. Was da so naturalistisch in Es-Dur ganze vier Minuten lang von der Bühne strömt, ist eine kleine Revolution der Musikgeschichte: wir sehen den Impressionismus vorgebildet, die klassische Opernouvertüre ad acta gelegt, zudem die Tetralogie des Rings im Urzustand vorgebildet. Chefdirigent Michael Sanderling begnügte sich nicht mit der bloßen Darstellung (der – dem Schauspielhaus sei es verziehen – der feinste akustische Zauber noch fehlte) dieses Stückes, sondern stellte der ruhigen und empfundenen Interpretation des Rheingold-Vorspiels eine zeitgenössische Komposition zur Seite:

2010 schrieb der in Leipzig lebende Komponist Bernd Franke (*1959) „The way down is the way up (II)“, ein Stück, dass explizit das Rheingold-Vorspiel als Inspirationsansatz benutzt. Sanderling ließ das Stück auch attacca auf Wagner folgen, um somit die Verbindung, aber auch die „neue Welt“ zu verdeutlichen. Frankes Werk will weder eine Huldigung oder Nachzeichnung, noch einen radikalen Kontrast oder ein In-Frage-Stellen formulieren. Stattdessen beschäftigt er sich mit großem Klanggespür mit Fragen des Fließens und der Bewegung, mit Stocken und In-Gang-Kommen auf dem Grund einer doch durchgehend ruhig wirkenden harmonischen Basis. In vier Sätzen entfaltet sich so ein überaus farbiges Klanggemälde, in dem allen flächigen Passagen und Schichtungen genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird. So bekommt man viele Details wie leicht orientalisch anmutenden Melismen, unterschwellig brodelnde Bewegungen oder die starken Violin-Soli im 4. Satz gut mit. Frankes Proportionen erzeugen eine eigentümliche Schönheit, die Sanderling mit dem Orchester gut hervorbrachte – bei aller Schwierigkeit einiger eruptiver Passagen lag die Stärke der Interpretation vor allem im Atmosphärischen, Leisen. Leider konnte das überwiegende Publikum am Sonntagvormittag kaum etwas mit diesen Klängen anfangen – schade, dass das übrigens auch durch sehr angenehm eingesetzte Lichtstimmungen unterstützte Engagement für das Neue kaum Begeisterung erzeugte.

Dass nach diesem intelligenten Beginn Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie in der nicht durchweg ertragbaren musikalischen Selbsttherapie des Komponisten eine leichte Schräglage erzeugte, konnte Sanderling durch eine ungemein sorgfältige Interpretation kompensieren. Schön, dass nicht gleich die Dramamunition im 1. Satz verpulvert wurde und das Orchester von Sanderling immer wieder zu ruhigem Ausspielen angeleitet wurde. Statt Gewalt erzeugte die Philharmonie so Intensität und Leichtigkeit und veredelte die Mittelsätze mit schöner Phrasierung. Nach dem sehr pointiert angelegten Scherzo fasste Sanderling im 4. Satz die Wogen des Werkes mit griffiger Lesart zusammen – von einer Sensation, die Tschaikowsky nach eigenen Worten wohl mit dem Werk in Dresden 1889 erregte, dürfte heute jedoch nicht mehr die Rede sein.

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