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Impulsgeber der Zukunft – Wonach wir uns richten werden

Das Medienforum Mittweida hat eine Bloggerparade veranstaltet und sammelt Blogbeiträge zum Thema „Impulsgeber der Zukunft – wonach wir uns richten werden“.

Ich beteilige mich gern mit einem recht spontan geschriebenen Text, der maximal ein Einpersonen-Brainstorming sein kann. Aber man kann sich ja auf eine Fragestellung unserer Zeit gerne einmal nach innen begeben und schauen, was die kleinen Handwerker im Hirn dazu von sich geben.
Als Präludium steht natürlich die Ratlosigkeit im Raum, wie man sich dem Thema überhaupt nähern soll, denn es erfolgt keinerlei Einschränkung in Richtung einer Anthropologie oder einem begrenzt zu beackernden Wissensfeld. Sehr schnell kommt man also bei dem Thema vom Hundertsten ins Tausendste. Gottlob ist hier nur ein Hirn (und zehn Finger) bei der Arbeit und ein sokratisches Gegenüber nimmt gerade seinen Urlaub, so stört also niemand bei der Formung der Gedanken, die ich (spontan, siehe oben) nun auf Kleistschem Wege in der „allmählichen Verfertigung beim Reden“ niederschreibe.

Die Perspektive indes kann nur die des begrenzten eigenen Erfahrungshorizontes sein und da kommen bei mir schon zwei Persönlichkeiten ans Licht, die auf unterschiedliche Weise in der Welt agieren, Impulse aufnehmen, Impulse setzen. Da ist der Musikjournalist, der die große Welt der Musik an sich heran strömen läßt, um hier und da die eine oder andere Musikwolke zu ergreifen und mit der Rezensenten-Taschenlampe einmal auf den Grund zu leuchten. Das ist letztlich eine betrachtende Art, eine, die die Musik nicht beschädigt, sondern sie beschreibt, maximal verbal entwickelt und deutet, aber natürlich (da geht der Blick nach vorne) daraus auch Schlüsse ziehen kann. Die zweite Perspektive indes ist „impulsstärker“. Der Komponist in mir betrachtet zwar ebenfalls, aber hier kommt das Schaffen, das kreative Moment und sogar auch die (körperlich-geistige) Impulsivität zum Tragen. Zeitlich gesehen liegt hier der Impuls deutlich auf der Gegenwart und richtet sich in die Zukunft einer kommenden Aufführung, einer noch erklingenden Musik, während der Musikjournalist immer anschaut, was gewesen ist und nur selten mutmaßt.

Meine erste Theorie wäre, dass die leichte Schizophrenie des Betrachtens des „Passierten“ und der Schöpfungsprozess des „Neuen“ eine günstige Verbindung eingehen kann. So diskutierte gerade die Avantgarde unter den Komponisten lange Zeit die Bedeutung der Tradition. Gerade in der Nachkriegs-Avantgarde der 50er-Jahre war der Bruch mit allem, was auch nur im entferntesten nach Dreiklang oder althergebrachter Verwendung eines Instrumentes zu tun hatte, en vogue. Diese Bewegung ist verschwunden, dennoch gibt es unverbesserliche „Neu-Töner“, die auch heute noch dem Gott der Komplexität frönen und fast eine selbstzerfressende Psychose in der Vermeidung von Tradition entwickeln. In der (ich drösel die Begriffe hier und heute nicht auf, das ist ein anderes Thema…) U-Musik kann man ähnliche Phänomene beobachten, wenngleich der Vergleich unangebracht ist. Doch ich höre noch die Rufe der Techno-Jünger in den 80ern, die eine ganz neue Kultur beschwörten und die Pop-Musik für tot erklärten. Mit gutem Grund haben die jeweiligen „Impulsgeber“ also ihre Pionierarbeit als Anbruch eines neuen Zeitalters gesehen.

Wir wissen es heute besser. Der Serialismus war EIN Weg, und natürlich ein wichtiger Impuls in der Musik im Nachkriegsdeutschland, ebenso wie Techno EINE logische und wichtige Musikentwicklung war. Beides aber war nicht voraussetzungs- und nicht folgenlos. Der Impuls hatte eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Umgebung, er kann auch zumeist nicht auf einen Punkt fixiert werden und genauso weit gefächert ist das „Danach“. Die neuen Stile passten sich also ein in eine übergeordnete Entwicklung der Musik ein, beeinflussten sie gleichzeitig, waren aber niemals allein seligmachend. Stellen wir uns doch die Welt als ein Möbelstück vor, das niemals fertig wird und an dem alle arbeiten. Wo einer eine Schublade herausnimmt, bastelt der nächste eine neu hinein. Die Funktionalität wird kontinuierlich erweitert, der Nutzen immens – „viele Köche verderben den Brei“ – diesen Spruch darf man angesichts heutiger Netzwerkarbeit getrost vergessen. Sie sind in der Lage, den besten Brei aller Zeiten zu zaubern.

Momentan scheinen wir in einer Zeit zu leben, in welcher sich Impulse in einen Fluss einordnen, altes auf Grundlage der gegenwärtigen Wahrnehmung weiterentwickeln und daraus ein „Mehr“ (manchmal auch ein „Meer“, wenn man etwa an die Retro-Schwemme der Popmusik denkt) entwickeln, also eine Bereicherung des Horizontes, die wir als Individuum aufgrund der Komplexität und Geschwindigkeit heutiger Informationen kaum noch zu fassen in der Lage sind. Egal auf welcher wissenschaftlichen oder künstlerischen Ebene wir arbeiten, WIR sind natürlich die Impulsgeber der Zeit und der Zukunft, entscheidend ist, an welchem Rädchen wir mitdrehen dürfen, können, uns einbringen.

Wenig halte ich davon, ein Postulat der Technik vornanzustellen, denn auch dahinter stehen Menschen. Natürlich haben wir es mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu tun, was die Weiterentwicklung der Möglichkeiten angeht, gerade im Medienbereich. Oft habe ich das Gefühl, dass die Impulsgeber hier gar nicht mehr namentlich benannt werden können. Dem Erfinder der Glühbirne kann man noch ein Denkmal setzen, aber die rasanten Entwicklungen etwa im Online-Medienbereich kommen aus vielen Richtungen, bedingen sich einander, plötzlich kommt aus dem Urgrund von Programmentwicklung ein neues Feature hinzu, dass die ganzen Entwicklungen wieder umwälzen kann, unser Medien-Verhalten schleichend oder plötzlich wieder verändert. Reiten wir auf der Welle? Haben wir noch Einfluss auf die Impulsbläschen im Meer der Technologie?

Ich komme zum Möbelstück zurück: Wenn wir uns auf uns selbst besinnen, halten wir es doch letztlich wie bei der Einrichtung einer Wohnung (und da sind wir ganz bei uns selbst, unseren Vorlieben, unseren Fähigkeiten und inneren Eigenschaften) – wir richten uns ein. Wir kommen klar mit dem was wir kennen, wir brauchen dringend das Neue, um Farbe und Horizont in unser „Nest“ zu lassen. Wir fragen – ganz wichtig – auch die anderen, die uns auf Dinge bringen, die wir selbst nie gewusst hätten. Wir sind vielleicht auch offen für Überraschungen und – das wäre wichtig, liegt aber nicht jedem – als „Wohnungseinrichter der Impulse“ sind wir auch zum Scheitern bereit.

Denn wenn wir heutzutage keine Revolutionen mehr anzetteln können (war der „Aufschrei“ nicht doch nur eine furchtbare Trend-Blase? Ist das „Empört Euch“ nicht nur ein kurzes Wachschütteln am eigenen Gewissen gewesen?), so sei uns der Lindberghsche Pioniergeist vergönnt. Einmal ordentlich die Flügel auf den Rücken geschnallt, auf den Hügel rauf und ab dafür. Dann liegen wir auf der Schnauze. Aber ohne Lindbergh und viele Purzler danach könnte heute kein einziges Flugzeug fliegen, wären wir gar nicht bereit für die Zukunft. Hier allerdings ist die Kunst als Impulsgeber weit voraus: wenn wir nicht gerade in Platitüden verfallen, ist das Scheitern durchaus mit Potenzial verhaftet. Jedes zusammengeknüllte Blatt Notenpapier bringt mich ja näher in die Richtung des wirklich Tönenden. Sicher dürfen wir uns trotzdem nicht wähnen. Wer Impulse setzt, sollte sich vor Endgültigkeit und Heilsversprechen hüten. Der nächste Impulsgeber steht eh schon in der Schlange vor der Tür. Lassen wir ihn herein, denn eins ist sicher: das Schillersche „Alle Menschen werden Brüder“ werden wir ebensowenig erreichen wie den Hippietraum vom Weltfrieden.

Das Postulat von der Macht des Einzelnen gerinnt sofort zur Illusion, wenn man den Rand, das Offene, das Unbekannte, DEN Unbekannten nicht einbezieht. Ebenso wie das Scheitern kreativ anzuwenden ist es ratsam, von Zeit zu Zeit das „Ich weiß es nicht“ auf der Zunge zergehen zu lassen. Anstelle wie in der Schule den Arm reckend „Ich, ich, ich“ zu rufen, um danach ins Stottern zu verfallen, weil sich alles Wissen zum Chaos knäult, kommt man doch viel weiter, wenn man die Fragezeichen auf der Stirn pflegt wie die Blumenkästen auf dem Balkon. Es gibt Pflanzen, deren Blühen und Vergehen wir nie verstehen werden, andere, bei denen wir genau wissen, wieviele Tropfen Wassers zur Pracht verhelfen. Wir sollten uns aber jedes Jahr aufs neue fragen, was in den Blumenkasten soll. Und uns am Gestrüpp ebenso erfreuen wie am plötzlich Früchte tragenden Mandarinenbäumchen. Nur die alljährlich gleichen Geranien, die Früchte der Bequemlichkeit und des „hamwaschonseitjahrensogemacht“, die gehören auf den Kompost.

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Veröffentlicht in Weblog

Ein Kommentar

  1. thg thg

    zum dritten Mal gelesen, immer noch gut (sprachlich und inhaltlich)!

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