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Innerer Weltenbrand

Gustav Mahlers 9. Sinfonie im Kapell-Konzert mit Myung-Whun Chung

Viel ist über Gustav Mahler gesagt und geschrieben worden – vor allem 2011, als des Komponisten 100. Todestag gewürdigt wurde. Dabei musste „seine Zeit erst kommen“, denn die Rezeption seiner Musik verlief keinesfalls geradlinig. Vielleicht sind wir heute imstande, aus der Distanz besser zu verstehen, welchen Visionen, Lebensentwürfen und Philosophien der Komponist in seiner Musik nachgespürt hat. Vielleicht ist Mahler aber auch – wie Axel Brüggemann im Programmheft zum 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle treffend formuliert – „einer von uns“. Einer von uns – das schließt persönliche Stärken und Schwächen ebenso ein wie höchstes Glück und tiefste Trauer zu erfahren.

Können wir überhaupt den Schöpfer von seiner Musik trennen? Wo sollen wir hinhören angesichts der schonungslosen Existenzialität eines Werkes wie der 9. Sinfonie – bei der man sich ja kaum traut, die Bezeichnung „D-Dur“ hinzuzufügen angesichts des Erlebnisses eines inneren Weltenbrandes, der sich jeglicher Kategorisierung verweigert. Das „Wozu?“ formulierte bereits der Dirigent Bruno Walter als die quälende Grundfrage von Mahlers Seele – in seinen 10 Sinfonien, dem „Lied von der Erde“ und den Liedkompositionen nimmt die Erörterung der Frage weitaus breiteren Raum ein als jeder Antwortversuch. In diesem Sinn konnte man Myung-Whun Chungs recht schonungslose Darstellung des Klingenden begreifen und gutheißen.

Chung hielt sich in bescheidener, fast demütig agierender Weise davon fern, zuviel deuten zu wollen. Mit der „Neunten“ setzte der Erste Gastdirigent der Kapelle seinen Mahler-Zyklus fort, der sich über mehrere Spielzeiten spannen wird. Chung ließ auf eine interessante Art und Weise die Musik schlicht passieren, was zu einer schmucklosen Ehrlichkeit führte. Zwingend und überzeugend wirkte die Interpretation vor allem, wenn Chung mit knappen Signalen ganz aus innerer Ruhe heraus Übergänge formte oder den Instrumentengruppen Freiraum zur Entfaltung gab. Genau dieser Freiraum war es, der den aschfahlen Beginn der Sinfonie erzeugte, später dann vor allem im Holzbläsersatz zu schroffen und mit Mut ausmusizierten Klangfarben im 1. und 2. Satz führte. Unmissverständlich zeigte Chung, dass diese Sinfonie keinesfalls schöne Musik zur Erbauung und Ertüchtigung enthält – hier spricht das Leben selbst mit all seinen extremen Erfahrungen.

Chungs Darstellung überzeugte auch in der Verklammerung der beiden Mittelsätze, deren straffe Tempi – ohne jegliche wienerische Verzärtelung – dazu geeignet waren, eine Ahnung vom schicksalhaften „Weitermüssen“ zu bekommen. Dabei begnügte sich die Kapelle nicht mit Details des Dreivierteltaktes – dieser bekommt bei Chung ohnehin eine bittere Endzeitdramatik. Nach dem ebenso unwirklichen Wirbel der Rondo-Burleske des 3. Satzes schlägt die Tür nach draußen zu. Es bleibt der große Abgesang des finalen Adagios, den die Staatskapelle mit großem Legato und fein austarierten abgedunkelten Klang ausformte. Chung gelang es, die dichten Steigerungen und den allmählich auskomponierten Zerfall dieser Sinfonie unter einen großen Spannungsbogen zu fassen, was in den letzten Takten zu einer seltenen Erfahrung von Stille im gesamten Opernrund führte – in der Summe zu einem großen Musikerlebnis.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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