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Ich schreibe Reisetagebuch. Aus Norrköping.


Tauben von Gurre.

[Dank Überlastung von http://twoday.net schreibe ich diesen Text nun schon zum zweiten Mal und betrachte es, um nicht ganz an die Decke zu gehen als fortgeschrittenes Gehirnjogging. Ist ja auch total erhebend, spontan geschriebene, sehr große Blogeinträge zweimal aus dem Ärmel zu schütteln.]

Heute also einige Impressionen aus Norrköping, wo ich zu einem 3-Tages-Ausflug nun nach 10 Stunden Anreise endlich gelandet bin. Das Reisetagebuch bleibt vermutlich auf diesen Eintrag beschränkt, denn morgen habe ich sowohl einiges um die Ohren als auch auf. Man verzeihe mir waghalsige Formulierungen wie diese, ich bin seit 18 Stunden auf den Beinen. Da ich eine „Billigheimer-Tour“ gewählt habe, war ich auf einen frühen Flug und die damit verbundene noch frühere Busfahrt angewiesen. Der Ausdruck stellt aber keine Wertung dar, ich muss sogar sagen, dass ich sehr zufrieden war. Der BerlinBus war superpünktlich und angenehm – bis auf einen unvermeidlichen Schnarchmenschen, worüber ich aber zu so früher Stunde schmunzeln konnte. In Schönefeld ging es dann recht fix und ebenso problemlos in den RyanAir-Flieger, der – man höre und staune – ganze 20 Minuten zu früh in Stockholm-Skavsta aufsetzte. Das wurde sogar samt Trompetenfanfare aus dem Lautsprecher im Flieger freudig verkündet.

Skavsta ist ein kleiner, ehemaliger Militärflughafen, der sich im Gegensatz zum Hauptflughafen von Stockholm, Arlanda, südlich der Stadt befindet. Das macht wiederum die Weiterreise nach Norrköping zum Kinderspiel, da es einen direkten Bus gibt. Kinderspiel leider nur auf den ersten Blick, denn der Bus fährt nur alle 2,5 Stunden und der 10 Uhr-Bus war bei exakter Landung um 10.20 natürlich weg. Also zweieinhalb Stunden den Flughafen erkunden. Was nach sieben Minuten erledigt war, denn Skavsta ist ungefähr so übersichtlich wie der Dresdner Flughafen und hat auch ein ähnliches Fahrgastvolumen (sagt man das so? – Ach, nein – Fahrgastaufkommen. Da rächt sich schon der doppelte Blogeintrag…). 120 Minuten hielt ich mich also an einem Kaffee fest und das sollte man in Schweden auch tun, will man die dafür hingeblätterten Kronen wirklich anständig beweinen.
Der Bustransfer nach Norrköping war unspektakulär, Schweden zeigte sich hier vor allem von der baumbestandenen und auch regenverhangenen Seite. Kaum dass man mich aber in Norrköping am Bahnhof (der übrigens exakt so aussieht wie ein klassischer Bahnhofsbausätz auf der Märklin-Modelleisenbahnanlage!) regulär des Busses verwiesen hatte, riss der Himmel auch wieder auf. Daher beschloss ich, das Hotel, auf der anderen Seite der Innenstadt befindlich, zu Fuß anzusteuern, ich hatte ohnehin nicht viel Gepäck dabei.

Norrköping ist vor allem eine Industriestadt, deren Blütezeit aber schon etwas zurückliegt. Zahlreiche Bauten künden noch von der die ganze Stadt dominierenden Textilindustrie. Die Innenstadt kommt etwas protziger daher, als die Stadt eigentlich groß ist, manche Bauten sind klassizistische Fünfgeschosser, stehen aber dennoch etwas einsam herum. Ich musste die lange Hauptgeschäftsstraße entlanglaufen, wo auch die beiden Straßenbahnlinien von Norrköping entlangbimmeln und konnte dabei schon viel entdecken. Man muss genau hinschauen, um etwa die sorgsam restaurierten, teilweise auch erhaltenen Jugendstilhäuser oder -fassaden zu erkennen. Der Präsenz dieses Stils in der Stadt ist auch ein kleines witziges Denkmal an einem Platz gewidmet, wo typische Gegenstände (Tischlampe!) und Intarsien samt Eichhörnchen und Mosaiken zu einer Art Altar zusammengefasst wurden, nur Meister Klimt fehlt auf der Parkbank.


Auf so eine Skulptur muss man erstmal kommen.

Auf dem weiteren Weg zum Hotel geht die Gamla Stan dann in ein Geschäfts- und Einkaufsviertel über, das in jeder Stadt stehen könnte, immer mal steht als Hingucker eine Kirche oder liebevoll aufgearbeitetes altes Häuschen (etwa der „Hörsal“, Zwitter zwischen Kirche und Kulturzentrum) herum. Kurz vor dem Hotel fasste ich noch ein „Dagens Lunch“ ab – den preisgünstigen Mittagstisch sollte man in Schweden immer nutzen. An meinem Hotel tobten eifrige Kanalarbeiten, gottlob ging mein Zimmer nach hinten raus. Da die Sonne noch lachte (und das macht sie nur bis 16 Uhr um diese Jahreszeit), bin ich gleich wieder raus und wollte mir zunächst im Turistbyro einen Stadtplan erwerben – der Resttag war ja ohnehin terminfrei¬. Zum Turistbyro wiesen Schilder, es war aber doch einige hundert Meter entfernt, so dass ich erneut eine Art Stadtbummel, diesmal durch andere Straßen, machen konnte. Nun gelangte ich ins Zentrum der Industriekultur – es liegt mitten in der Stadt, und dieses spannende Viertel ist auch noch durch einen – durchaus wilden – Fluss in der Mitte getrennt.


Eine Stadt im Rausch.

Der Fluss überwindet in der Stadt einen enormen Höhenunterschied, weshalb künstliche Staustufen und Wasserfälle angelegt wurden (die nachts übrigens toll beleuchtet sind). Die ganze Innenstadtpassage des Flusses säumen kleine Wege und Brücken aus Holz und Stahl sowie ein paar Aussichtspunkte, und da gibt es wahrlich eine Menge zum Staunen. Auf den üblichen Internetseiten, die ich zur Vorbereitung auf die Reise las, wird die Stadt doch ziemlich nüchtern dargestellt, doch es ist die Architektur, die sehr fasziniert, und vor allem, wie man sich auf dem Weg durch die alten Fabrikgelände am Wasser entlang quasi nicht sattsehen kann an immer neuen, modernen und doch stimmigen Bauten.
Der Vergleich zur Zeche Zollverein oder zum Landschaftspark Duisburg drängt sich auf, nur ist in Norrköping das Areal sehr viel kleiner, außerdem zeigen die Textilfabriken andere Gebäudeensembles. Eingegliedert sind nun Kulturstätten (die Konzerthalle etwa als Neubau), die Universität, (leider nur wenige) Cafés, das Arbeits- und das Stadtmuseum.


Vineta??

Einer der Schlote ragt sogar aus dem aufgestauten Fluß, als sei noch eine versunkene Fabrik im Wasser verborgen. Zusammen mit dem Dämmerungslicht war dies ein sehr eindrücklicher Spaziergang, nach welchem ich noch einen Abstecher zum ebenfalls im Jugendstil erbauten Theater machte und meine Ausdauer mit einem „Mocha Latte“ belohnte, der mich um stolze 44 Kronen erleichterte. Am Ende der Innenstadt lockte noch das „Konstmuseum“ mit bunten Lettern an der Fassade (diese erinnerten mich sehr an die Magnettafel in der Kinderecke vieler Arztwartezimmer!), ich war aber eigentlich zu platt, um mir noch schwedische Moderne anzuschauen.


Einladend: das Kunstmuseum

Ich hatte die Rechnung leider ohne den engagierten Museumsmitarbeiter gemacht, der zu der späten Stunde den halbwegs Unentschlossenen schließlich doch noch in die hehren Mauern der Kunst einlud. Allerdings nur zu einer Klangkunstvorführung, die er mir brennend empfahl und die ja auch just gestartet wäre, ich solle doch in Saal 5 gehen. Ich war offenbar ohnehin der einzige Besucher im ganzen Museum. Der Saal 5 war komplett finster, wabernde Musik (diatonische Tonleitern vom Synthi) und Trockennebel prasselte auf mich ein. Irgendwann nahm ich in der Finsternis dann von der Decke herabhängende Skulpturen wahr, die nicht nur grün und rot blinken konnten, sie plusterten sich auch noch auf. Das Menü hieß ungefähr „Ballonartige Fantasiefiguren (die mich entfernt an eine „Krieg-der-Welten“-Karikatur erinnerten) an Wabermusik auf Trockennebel“. Das war dann doch zuviel des Guten und ich flüchtete. Aus dem Raum. Aus dem Museum.

Der Abend verlief ruhig: der obligate Supermarkteinkauf (Wasser, Kekse & Co.) stand noch an. Allerdings hätte ich den halben Markt leerkaufen können, von Rekeost über Senapssill bis hin zu „Björnbärs Kräm“. Werde morgen nur schwer widerstehen können, der Supermarkt ist direkt um die Ecke. Regen und eine gewisse Beinschwere verhinderten weitere Ausflüge. Und morgen gibt es vor allem Musik, dann berichte ich wohl mehr auf dem Petterssonblog.


YUMMY

Nachtrag:
Vom zweiten Tag gibt es nicht so viel zu berichten. Das einzige Privatvergnügen war ein früher Spaziergang in ein Villenviertel, der Fluss ist hier fast zu einem See gestaut, so dass ich ein bißchen das Gefühl hatte, ich umrunde die Alster. Norrköping ist allerdings viel beschaulicher, aber man kann auch außerhalb des Stadtzentrums viel entdecken, wenn man die Augen offenhält. Insgesamt war es für mich eine sehr sympathische, vielleicht doch etwas zu kleine Stadt, die mit ihrer gelungenen Symbiose von Historie und Gegenwart auftrumpfen kann und sich somit ein echtes Profil gegeben hat – soviel kann ich nach zwei Tagen schon einmal sagen. Der Rest des Tages heute gehörte Allan Pettersson, aber das ist eine andere Geschichte…

Zum Beschlusse noch zwei sehr nützliche Links für einen Norrköpingbesuch oder zum Nachlesen, ich fand sie leider erst heute, so dass ich micht nicht mehr intensiv damit beschäftigen konnte, aber sie sind sehr umfangreich:
* En historisk stad – das alte Norrköping
* Med Oppna Ogen – Norrköping mit offenen Augen entdecken (pdf)

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Ein Kommentar

  1. Wanda Wanda

    wandamollt@gmail.com Toller Artikel. Sehr ausführlich und ich habe mal wieder viel gelernt. Kennst Du eigentlich den neuen Blogger-System Anbieter qwer com ? Ich würde mich sehr über eine Antwort auch per Email von Dir freuen. Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg mit Deinem Blog

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