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Starke Handschriften vom Nachwuchs

„Klassenarbeiten“ mit dem Ensemble Recherche bei den Tonlagen Hellerau

Hefte raus, Klassenarbeit! Bei diesem Ausruf zuckt man innerlich kurz zusammen, wenn man nicht gar der ganz große Streber in der Schule war. „Klassenarbeit“ als Titel für ein Konzert mit Werken von Kompositionsstudenten öffnet allerdings den Assoziationsraum. Hier geht es nicht um eine zu bewertende Abfrage von Wissen, eher um die Abbildung des Spektrums einer Kompositionsklasse – der Konzertzeitpunkt spitzt die oft über einen langen Zeitraum wirkende musikalisch-stilistische Entwicklung der Studenten auf ein klingendes Ereignis zu.

Also doch eine Klassenarbeit im Wortsinne – deren zählbare Bestandsaufnahme dem Rezensenten verbleibt: 12 Komponisten aus vier verschiedenen Hochschulen in Helsinki, Stockholm, Bern und Dresden, in zwei Konzerten von neun Musikern gespielt, die ihrerseits seit 29 Jahren zusammenspielen und gut 600 Uraufführungen bestritten haben – damit ist das Projekt „Klassenarbeit“ des Ensemble Recherche beim Tonlagen-Festival Hellerau zumindest zahlenmäßig beschrieben. Hinterfragen wollten sich die Initiatoren auch selbst – neben der unschätzbaren Möglichkeit, dass die Studenten über einen längeren Zeitraum intensiv für und mit dem renommierten Ensemble zusammenarbeiten konnten, wurde die Frage gestellt, wie im jeweiligen Kämmerchen der Hochschule gearbeitet wird und ob es zwischen den einzelnen Klassen ästhetische Gemeinsamkeiten oder Unterschiede gibt.

Letztlich gelang so ein hervorragender Einblick in das Laboratorium der aktuell entstehenden zeitgenössischen Musik und die Antwort kann gleich gegeben werden: die Musik war so vielfältig und individuell wie die Menschen, die sie geschrieben haben eben auch ihre persönlichen, kulturellen Einflüsse mitbrachten. Eine Zahl muss ergänzt werden, nämlich ausgerechnet die Null als Anzahl der im zweiten Konzert am Donnerstag vorliegenden Werkeinführungen. Somit kann nur im freien Assoziationsraum spekuliert werden, worauf es den Komponisten in den einzelnen Stücken ankam. Sicher erscheint, dass die sechs Darbietungen allesamt starke Handschriften aufwiesen und zum Hinhören zwangen.

Von Joe Lake (Dresden) hörte man eingangs eine schöne Studie in leisesten Dynamikbereichen, wobei präpariertes Klavier und Schlagzeug fast zu einem einzigen glockenartigen Instrument verschmolzen. Deokvin Lee (Dresden) wartete in „Prufrock“ für großes Ensemble mit einem recht steinigen Kompositionsweg auf – das sehr lange Werk verschleuderte einiges an Material, ließ eine wirklich „rockige“ Phase erkennen, aber keine wirkliche Zielrichtung. Nicolas von Ritter (Bern) hatte sich für eine Streichtriobesetzung entschieden – „Light and Fog“ fand zu einer interessanten Sprache fortschreitender Bewegung mit einer Art Selbstverlust des Stückes am Ende. Rosalie Grankull (Stockholm) konfrontierte eine saftige Pulsation mit zerbrechlicher Harmonie im Wortsinne – das war ebenso mutig wie überzeugend. Bei Sebastian Hillis (Helsinki) „Hypha“ standen sehr klar formulierte Abläufe und Algorithmen im Vordergrund, hier fehlte aber eine sinnliche Ebene fernab der mit zahlreicher Ornamentik ausgestatten „Aufstiegsarbeit“ der Tonhöhen.

Anthony Tan (Dresden) blieb der Schluss vorbehalten: „Observing the Ph(r)ase“ war ein sehr schönes Stück mit viel Binnen(be)handlung, das unterschiedliche Zustände musikalischer Dichte beleuchtete. Schlicht faszinierend war es, dem Ensemble Recherche bei der Formung dieser musikalischen Welten zuzusehen und zuzuhören – für einen solchen Ensembleklang und Nachvollzug der Ideen und Ansprüche wird auch jeder der gespielten Komponisten höchst dankbar sein.
(18.10.14)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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