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Ein starkes Statement

Deutsche Erstaufführung der „Mesopotamia Symphony“ von Fazıl Say mit der Dresdner Philharmonie

Dass ein Konzert mit der klassischen Folge Ouvertüre-Konzert-Sinfonie eine Vielzahl an unterschiedlichen Emotionen aufwirft und man am Ende bewegt vor dem Ergebnis steht, ist ein seltenes, unbedingt zu begrüßendes Erlebnis. Dabei muss nicht einmal eine völlige Identifikataon mit Werk oder Interpret erfolgen, denn schon eine auch kontrovers führbare Auseinandersetzung mit der Musik darf als Erfolg von intensiv musizierten Aufführungen gewertet werden. Intensität war beim Albertinum-Konzert der Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende der Schlüssel, der Türöffner zu musikalischen Welten, die schroff aufeinanderprallten und dennoch zur Inspiration einluden.

Da war der schöne Beethoven-Klang des Orchesters in der „Egmont“-Ouvertüre, bei dem man gleich aufhorchte – Michael Sanderling hat die schlanke, flexible Spielkultur für Beethoven in der letzten Zeit derart geschliffen, dass auf dieser Basis hochinteressante Interpretationen möglich werden. Hier war bemerkenswert, dass Sanderling in der kurzen Ouvertüre bei allem Energiestrom Raum für die melodische Entfaltung gab – das war eigentlich in der Summe zu schön, um wahr zu sein.

Vom f-Moll der Ouvertüre ging es in die fast noch düsterere Atmosphäre des c-Moll im 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Von hier an gab der türkische Pianist und Komponist Fazıl Say den Ton an und schuf eine vom ersten bis zum letzten Ton hochemotionale, für manchen Hörer vielleicht auch ungewohnte Interpretation, die Beethoven beim Wort nahm – nicht im Sinne einer demonstrierten Perfektion, sondern in unbedingtem, persönlichem Ausdruck, der in der Aufführung gemeinsam mit dem Orchester entwickelt wird, sich Bahn bricht. Say war auch in den Pausen präsent, vergrub sich regelrecht vor den Tasten und fand für jeden der drei Sätze eine spezielle, klar ausgeführte Charakteristik.

Selten hat man den 2. Satz mit einer derartigen Einsamkeit umwoben gehört, und auch die schon kompositorisch ringende Unentschiedenheit der Ecksätze wurde durch Says rhythmisch achtsame Phrasierung und durch eine mit Beethoven rustikal ins Gespräch kommende eigene Kadenz bedeutungsvoll. Mit seinem eigenen Klavierstück „Black Earth“ als Zugabe kostete Fazıl Say erneut Emotionen von Verlust und Einsamkeit (das Stück ist inspiriert von einem bekannten türkischen Song des Dichters Asik Veysel) aus und verwandelte den Steinway-Flügel mit Abdämpfung der Saiten in ein exotisch anmutendes Instrument.

Von solchen Klangmalereien gab es nach der Pause in Fazıl Says „Mesopotamia Symphony“, die als deutsche Erstaufführung erklang, reichlich. Das 2012 in Istanbul uraufgeführte, für eine sehr große Orchesterbesetzung instrumentierte Werk hat nicht nur epische Ausmaße (und leider auch im Albertinum als grenzwertig empfundene Phonstärken), es ist ein Bekenntniswerk besonderer Art, formuliert doch der Ausnahmekünstler Fazıl Say hier in einer fasslichen, dennoch sehr eigenen Musiksprache Gedanken zu seiner Heimat in Musik, die hier nicht in Worte rückübersetzt werden müssen.

In seiner Musik findet Fazıl Say nicht nur Unterschlupf, sondern auch eine universell verstehbare Sprache, die Licht und Schatten der Welt künstlerisch betrachtet, und auch von Wut und Schmerz kündet. Diese Auseinandersetzung führt Say hier in zehn Sätzen ohne Visier, mit plastischen klanglichen Mitteln, die am ehesten an die cineastische Gewalt der Sinfonik von Dmitri Schostakowitsch erinnern. Die stärksten Momente hatte die „Mesopotamian Symphony“ in kammermusikalischen Passagen mit versierten Solisten am Schlagzeug (Aykut Köselerli), Bassblockflöte (Cagaty Akyol), Bassflöte (Bülent Evcil) und am Theremin (Carolina Eyck) – vor allem letzteres hört man selten in einem Orchesterkonzert und der Fertigkeit der von Carolina Eyck war es zu verdanken, dass sich das elektronische Instrument sehr überzeugend mit den anderen Flöten-Instrumenten zu einem großen Gesang verband.

Es stimmt nachdenklich, wenn einem auffällt, dass der im Altertum geprägte Begriff Mesopotamien im Sinne einer Kulturlandschaft im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris heute das einzige scheint, was in sich die Hoffnung des Gemeinsamen, des Friedlichen in sich birgt. Davon künden auch die Lieder, die Fazıl Say in seiner Sinfonie zitiert – es ist ein Kulturschatz, den Say dem Vergessen entreisst und gleichzeitig wird im Singen selbst eine Trauer gegenwärtig. Für dieses starke sinfonische Statement, für das sich das Dresdner Philharmonie mit Chefdirigent Michael Sanderling eindrücklich einsetzte, erhielt Fazıl Say am Ende stehende Ovationen des Publikums.
(11.04.16)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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