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Sich in Tönen zu (ent-)äußern

Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs „Leningrader“ Sinfonie am Elbufer

Allenorten wird von der Schwierigkeit berichtet, Publikum für die klassische Musik zu gewinnen und es wird fleißig experimentiert. Dass der Zugang zu den Menschen keinesfalls mit Zugeständnissen oder einem Qualitäts- oder Unterhaltungsverlust (auch intensives Zuhören kann im besten Sinne Unterhaltung sein!) einhergehen kann, bewies die Sächsische Staatskapelle mit einem hoffentlich nicht einmaligen Experiment – als „Symphonie der Menschlichkeit“ führte das Orchester am Donnerstagabend am Königsufer auf dem gerade errichteten Filmnächte-Gelände die 7. Sinfonie C-Dur von Dmitri Schostakowitsch auf.

Dessen Musik ist ernst, sie ist schonungslos emotional und sie spricht von einem Menschen, der gar nicht anders kann, als sich in Tönen zu (ent-)äußern. Die Entstehungsumstände und Geschichte dieser Sinfonie sind sehr bekannt, trotzdem komplex und vor allem in eindeutiger Interpretation schwer zu verbalisieren. Das wurde in der Anmoderation durch Axel Brüggemann mit dem Dirigenten des Abends, dem Österreicher Franz Welser-Möst, der mit dem Konzert auch sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gab, evident.

Eher noch als alle Deutungsversuche in Richtung vermeintlicher Hitler- und Stalinporträts gelingt die behutsame Annäherung an den Ausdrucksgehalt. Die ironisch gebrochene Fratze eines Krieges ist ebenso vorhanden wie musikalische Trauerarbeit und ein gesungener Friedensappell – wie er am ehesten vielleicht aus dem wunderbar gespielten Fagott-Solo (Thomas Eberhardt) am Ende des 1. Satzes herausscheint. Die Aufführung war keinesfalls eine VIP-Veranstaltung, sondern mit Karteneinheitspreisen von 5 Euro ein echtes Konzert für die Bürger der Stadt, für jedermann. Rund 4000 Menschen lauschten den Klängen von der Bühne, die erstaunlich gut in der tontechnischen Abmischung zum Hörer gelangten. Lediglich wenige von Welser-Möst und dem Orchester leise-spannungsvoll genommene Abschnitte erreichten nicht ganz die letzten Reihen, dafür wirkten die battuto-Schläge der Streicher im Finalsatz per Mikro derart plastisch, dass man Angst um die Instrumente bekam, gottseidank unbegründet.

Überhaupt vermittelte der österreichische Dirigent eine sehr klare Vorstellung des Stückes, arbeitete mit deutlichen Akzentuierungen und bettete auch die Mittelsätze im musikalischen Gesamtgefüge mit guter Führung ein. Welser-Möst ließ aber immer mal, so in den Streicherpassagen des Adagios, die Zügel vom Dirigentenpult aus locker, was die Kapellisten mit hervorragender Ausmusizierung dankten. Hingegegen gab er dem Marsch des 1. Satzes ebenso klare Kontur wie der Schlusssteigerung des Werke, mit dem wohl fahlsten C-Dur-Schlussakkord einer Sinfonie überhaupt, denn gemeinsam mit Schostakowitsch ist der Hörer in den vier Sätzen bereits durch Abgründe gegangen.

Hervorzuheben ist nicht nur die auch unter diesen Outdoor-Bedingungen großartige Orchesterleistung, auch das Publikum lauschte äußerst konzentriert dieser in den Zeitmaßen nicht unbedingt knapp angelegten Musik. Etliche Bratwürste blieben liegen, weil das Musikerlebnis packte. Und dass sich auf dem weiten Areal so etwas wie eine gemeinsame, gar intime Konzertatmosphäre breitmachte, gehört ebenso genannt wie die stehenden Ovationen und Bravo-Rufe, mit denen die Dresdner und sicher auch viele Besucher der Stadt am Ende die Staatskapelle feierten. Dass die Musik außerhalb der hehren Konzerthausmauern völlig im Mittelpunkt stand, ihre Wirkung entfalten durfte und dabei Auslöser vieler menschlicher Begegnungen und Erfahrungen war wie am Donnerstagabend am Elbufer, sollte uns ihren Wert klarmachen, stimmt hoffnungsvoll und bedarf unbedingt einer Fortsetzung.

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