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Zu schön, um wahr zu sein

Das Gustav Mahler Jugendorchester gastierte in der Dresdner Semperoper

Traditionell gastiert zur Eröffnung der neuen Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle das Gustav-Mahler-Jugendorchester in der Semperoper. Diesmal bekam Christian Thielemann mit der Staatskapelle den zeitlichen Vorrang und die Jugendlichen des vor 30 Jahren von Claudio Abbado gegründeten und seitdem einen internationalen Spitzenplatz dieser Ensembles einnehmenden GMJO stellten ihr diesjähriges Sommertour-Programm am Sonnabend in einer Matinee vor. Das Konzert kann man durchaus als einen Seismograf sehen, wie hochwertig die Ausbildung junger (Spitzen-) Musiker ist – sie alle gemeinsam in einem Konzert zu erleben, garantiert ein spannendes Musikerlebnis und für die Musiker ist das Mitwirken mit bleibenden Eindrücken verbunden.

Und dies gilt erst recht für diesen Jahrgang, denn ausschließlich letzte Werke und kompositorische Auseinandersetzungen mit Tod und Abschied standen auf dem Programm. Wie eindrucksvoll und vielschichtig Komponisten diese Thematik aufgriffen, würde sich im Spiel wiederspiegeln – und lernt man nicht auch immens für das Leben, wenn man sich gerade über eine universelle Sprache wie der Musik mit dem Tod auseinandersetzt? Insofern schien die Auswahl von Johann Sebastian Bachs Kantate „Ich habe genug“ BWV 82 in der Gegenüberstellung mit Anton Bruckners 9. Sinfonie d-Moll mutig und schlüssig. Denn beiden Werken ist zu eigen, dass der christliche Hintergrund den Tod nicht nur als unausweichliches Ereignis beschreibt, sondern auch die Position und Emotion des Menschen, der ihm begegnet.

Mit Christian Gerhaher als Solist in der Bach-Kantate waren diese menschlichen Regungen in allen Facetten kongenial zu erleben. Von einem kleinen, unter Leitung von Philippe Jordan mit äußerster Vorsicht begleitenden Ensemble traf Gerhaher genau den Ton eines ernsten Vortrages, der einen packte und nicht wieder losließ, gleich ob er von Trost, Erlösung oder Schrecken sprach. Von einem solchermaßen gefestigten, willensstarken Ausdruck getroffen war man als Hörer vor dem Tod nicht mehr bange, und fast wünschte man sich innerlich Gerhaher (und Bach) für seine letzten Tage herbei. Bernhard Heinrichs formte in den Arien dazu noch eine sprechende Instrumentalstimme, das gemeinsame, gelassene Atmen und Agieren in dieser Kantate war schlicht bewundernswert.

Anton Bruckner vermeidet das Wort in der 9. Sinfonie und doch kündet sie von ähnlichen Aussagen und Emotionen. Trotz aller Versiertheit des international zusammengesetzten Orchesters, trotz aller wunderbarer Momente der Hörner, Holzbläser und Streicher blieb genau dieser tiefe Ausdruck auf der Strecke, ohne dass man einen wirklichen Grund benennen könnte. Vielleicht war es Jordans aus dem Körper heraus vielerlei Ansagen verteilendes Agieren vom Pult aus, was zu einem Schritt-für-Schritt-Musizieren führte. Geradezu aus den Angeln gehoben erschien das Scherzo mit seinem pochenden Schritt, das in Tempo und Agogik eher zu dem Missverständnis eines harten Höllenritts führte statt zum Blick auf die Lebendigkeit des Lebens. Und allgemein irritierte immer wieder eine zu blockhaft eingesetzte Dynamik, die bei Bruckner in dieser Art in eine jenseits der Musik liegende Mechanik führt. Fünf aufeinanderfolgende Streichernoten im fortissimo sind eben nicht gleich.

Das Prinzip Spannung und Entspannung in unterschiedlichen Notenwerten oder im Tremolo war gerade in den scheinbar mühelosen tutti-Passagen oft viel zu wenig umgesetzt und die allgemeine Lautheit des Orchesters ist ja keine interpretatorische Qualität, die es an Bruckner zu beweisen gälte. Am besten gelang dem Gustav-Mahler-Jugendorchester das finale Adagio und sein ruhiges Ausschwingen nach dem auch harmonisch wunderbar ausbalancierten, kraftvollen Höhepunkt. In all dieser Präzision und dem von Jordan vorrangig sauber geordnetem und natürlich hervorragend umgesetzten Spiel platzierte sich dieses letzte Werk Anton Bruckners vor den Toren des Himmels fast als zu schön, um wahr zu klingen.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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