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Einblicke in Zeiten des Umbruchs

Michael Ernst notierte die Erinnerungen des Dirigenten Michail Jurowski

jurowskiDer 1945 in Moskau geborene Dirigent Michail Jurowski ist ein Kosmopolit wie viele seiner Zeitgenossen, die einem künstlerischen Beruf, einer Berufung nachgehen. Nicht wenige haben Russland für immer verlassen (müssen), um ihre Kunst entfalten zu können und eine wechselvolle, dynamische Beziehung verbindet sie zu ihrer Heimat. Wendepunkte der Staaten sind auch Wendepunkte in ihrem Leben geworden, so auch bei Michail Jurowski und seiner Familie, die über mehrere Generationen ohne Musik undenkbar ist: der Vater war Komponist, die Söhne Vladimir und Dmitri sind ebenfalls Dirigenten. 1991 ließen sich die Jurowskis in Berlin nieder, nachdem Michail Jurowski bereits in den 70er Jahren an der Komischen Oper dirigierte und ab 1989 auch ein Engagement an der Semperoper innehatte.

In Dresden ist er in den letzten Jahren immer wieder präsent gewesen, vor allem bei den Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch. In Gesprächen mit dem Kulturjournalisten Michael Ernst erinnert sich Jurowski an sein Leben in der nicht mehr existierenden Sowjetunion, insbesondere an seine Begegnungen mit Kulturgrößen und Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch, dessen Musik er immer wieder in Konzerten und Aufnahmen interpretiert hat. Ernst gelingt aber mit diesen „Notizen“ aus dem Leben von Jurowski vor allem ein wertvoller Einblick in eine Umbruchzeit, die sich beispielhaft durch die zwischen den Welten changierende Kulturpersönlichkeit Jurowski abbildet. Der Moskauer Alltag in der Diktatur ist dabei ebenso lebendig nachlesbar wie die schwierigen Karriereschritte Jurowskis zwischen ersten Engagements in Russland und dem Kennenlernen der musikalischen Welt jenseits des Eisernen Vorhangs.
Sicherlich stellt das Buch keinen Anspruch einer kulturell-soziologischen Analyse oder erfüllt gar objektive Erwartungen – dafür gibt es gerade in der Runde russischer Weltenbürger gar zu schillernde Gestalten, Jurowski macht da keine Ausnahme und die Einordnung dieser Erinnerungen obliegt dem Leser. Doch erweckt die Lektüre eben auch Lust darauf, große Aufnahmen russischer Musik einmal unter anderen Aspekten zu hören oder sich mit erwähnter Musik und Künstlern damaliger wie heutiger Zeiten in Osteuropa intensiver zu beschäftigen, um ein sicher kaum bekanntes inneres Bild dieser Künstler sinnvoll zu ergänzen. Eine solche biografische Arbeit ist schon allein deswegen wertvoll, da sie immerhin einen kleinen Baustein in einer leider noch reichlich unvollständigen Reihe von Ansichten und Meinungen über die auch heute stark in Wandlung befindliche russische Kultur und ihre Wirkungen und Auswirkungen, bildet.

* Michail Jurowski. Dirigent und Kosmopolit: Erinnerungen, Gebundene Ausgabe, Henschel Verlag 2016, 24,90 €, erhältlich beispielsweise in der Buchhandlung Ihres Vertrauens.

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