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Da entglitt einem die Teetasse…

8. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit Werken von Britten, Gubaidulina, Vaughan Williams und Elgar

Wenn man vier sinfonische Stücke in einem Sinfoniekonzert anordnet, so kann es – hat man den roten Faden nicht gleich parat – passieren, dass die Werke sich miteinander unterhalten. Die Korrespondenz von Gegensätzen erschafft neue Höreindrücke, im besten Fall einen Aha-Effekt. Doch es kann auch anders kommen – im 8. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden war ein Schwerpunkt mit drei britischen Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesetzt. Genau dort, wo man eigentlich mit angewinkeltem kleinen Finger und wissendem Augenbrauenrunzeln gerade die Teetasse zum „very british“-Genuss heben wollte, erhob allerdings die diesjährige Capell-Compositrice, die in Deutschland lebende russische Komponistin Sofia Gubaidulina ihre starke Stimme.

„Fachwerk“ heißt ihr Konzert für Bajan, Schlagzeug und Streichorchester, das sie im Jahr 2009 schrieb – eine Klangreise, die die Zuhörer vom ersten Ton an gefangen nahm. Der Solist der Uraufführung und Widmungsträger des Stücks, der norwegische Bajan-Virtuose Geir Draugsvoll, spielte das Werk mit einer Intensität, als wäre es just in diesem Moment aus ihm selbst herausgeflossen. Dabei gab es berückende Momente von Schönheit und Innehalten in den Kadenzen oder im Verschmelzen mit dem Streichorchester, das manches Mal wie ein undurchlässiges Dickicht auskomponiert war. Es stellten sich aber ebenso Abschnitte sehr klar umrissener harmonischer oder melodischer Form ein. Ein später Rückgriff zum Beginn des Stücks wirkte nach diesem Riesengesang eben nicht wie ein kompositorischer Kniff, sondern wirklich wie ein „Nachhausekommen“ in Musik. Faszinierend war zu verfolgen, wie sich die immer wieder von Draugsvoll angestoßenen Spiralen, kleine Repetitionen oder große Luftäußerungen ins aufmerksam begleitende Orchester übertrugen. Die der Aufführung beiwohnende Komponistin und der Solist Geir Draugsvoll sowie Gastdirigent Donald Runnicles erhielten stürmischen Beifall vom konzentriert lauschenden Publikum in der Semperoper.

Geir Draugsvoll (Bajan) im 8. Sinfoniekonzert

Da waren die zuvor von Runnicles dirigierten „Four Sea Interludes“ von Benjamin Britten schon Geschichte, auch das Programm nach der Pause hatte es schwer, und leider häuften sich auch kleinere Unstimmigkeiten in der Ausführung. Mit der „Dämmerung“ der Interludes überhaupt ein Konzert zu starten, erscheint schon mutig, aber auch im Seesturm des 4. Satzes lag der Teufel oft im Detail. Ließ Runnicles einmal die Emotionen frei, waren rasante Tutti-Passagen nur noch annähernd zusammen. Eine zweite, bei den britischen Werken auffällige Interpretationshaltung war Runnicles Neigung, eher laute Gefilde anzusteuern oder sie auch nicht zu verhindern. Diesen Eindruck hatte man bereits bei Britten, wo der Dirigent sich viel mehr Atmosphäre hätte leisten dürfen. Nach der Pause wurde Ralph Vaughan Williams „Tallis-Fantasie“ zwar intensiv von den Kapell-Streichern ausgeführt, eine akustische Differenzierung, die die Feinheiten des an die Renaissance gemahnenden Satzes offengelegt hätte, wurde nicht optimal erreicht.

Dass ich Edward Elgars Konzertouvertüre „In the South“ ohne Kenntnis des touristischen Kompositionsanlasses (Elgar verlebte gerade einen glücklichen Italien-Urlaub) bislang immer an die südenglische Küste verortet hatte, tat dem Genuss keinen Abbruch. So unenglisch und unelgarisch schwappte dieses Werk durch’s Opernrund, dass man Richard Strauss‘ Geist in der Seitenloge nur beifällig nicken sah und auch den Kapellisten kam dieser dichte spätromantische Satz merkwürdig bekannt vor. Wirklich britisch klang das ohnehin nicht und so verdankte man das herausragende Musikerlebnis an diesem Abend den starken und stark umgesetzten Klangbildern von Sofia Gubaidulina.

Fotos (c) Matthias Creutziger

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