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Ein Saal mit Charakter

Die Dresdner Philharmonie eröffnet den Kulturpalast mit einem eindrucksvollen Festkonzert

Es ist vollbracht: der Kulturpalast ist wiedereröffnet, nach fünf Jahren im Interim und Vorplanungen, die über zwanzig Jahre zurückreichen. Fest stand die ganze Zeit über, dass die Dresdner Philharmonie einen neuen Saal benötigt – der alte im Jahr 1969 eröffnete Mehrzweckbau wurde für die zahlreiche Orchesteraufführungen genutzt, war akustisch jedoch völlig ungeeignet. Das bejahten die Stadträte in wechselnden politischen Konstellationen bereits seit 1994 ohne aber ein finanzielles, durchführbares Konzept vorlegen zu können. Erst 2012 – nachdem ohnehin Schließung des Gebäudes wegen ungenügendem Brandschutz drohte (und mittlerweile ein Chefdirigent – nämlich Marek Janowski – verschlissen war, dem die städtische Lavierei zuviel wurde) konnte die Sanierung und der Einbau eines neuen Konzertsaals begonnen werden. Über ein Konzerthaus diskutierte man da auch nicht mehr, obwohl noch 2009 namhafte Dirigenten für einen Neubau plädierten, auch, um den Mehrzwecksaal für die Stadt zu erhalten. Es kam anders – die Historie ist übrigens, wie auch die DDR-Geschichte des Kulturpalastes in einem neuen Buch von Bettina Klemm nachzulesen.

Am Eingang – alles wie immer?

Sonnabend, der 29. April 2017. Bei meiner Ankunft ist scheinbar alles wie noch vor der Schließung 2012: die Brunnen auf dem leider weiterhin baum- und grünlosen Vorplatz sprudeln. Links neben der Eingangstür steht in Zigarettenqualm gehüllt Peter Zacher und sinniert über die Musik – nein, das geht nicht mehr, aber das Bild ist sofort wieder da. Auf dem Balkon im Foyer stehen die Neugierigen und beobachten die Ankömmlinge. Man staunt über dieses sehr bekannte Terrain, auf das man sich in den behutsam rekonstruierten und wie früher weiträumig-offenen Foyers begibt: hat sich vielleicht doch gar nichts geändert? Nachdem man auf ebenfalls bekanntem Wege zur leicht im hinteren Untergrund befindlichen Garderobe geeilt ist, betritt man aber spätestens an den Aufgängen zu den Rängen Neuland. Und nimmt, wie die Musiker vor (sehr) wenigen Tagen, den Konzertsaal zum ersten Mal in Augenschein und später dann intensiv sehend, empfindend, hörend in Besitz.

Festkonzert

Nach dem Festakt am Freitag erwartete die Besucher im ausverkauften Saal am Sonnabend das erste reine Konzert der Dresdner Philharmonie. Beim Programmstudium setzte erstes Stirnrunzeln ein, denn wieder einmal muss für einen solchen Anlass Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie d-Moll mit der „Ode an die Freude“ herhalten. Damit wurde aber auch an die Eröffnung des Hauses im Jahre 1969 erinnert – damals dirigierte Kurt Masur. Und dass dieser Beethoven derart fesselt, dass einem entfährt: so gut, so überragend interpretiert hört man diese Sinfonie so schnell wieder – das ist erst 120 Minuten später klar. Andere Programmpunkte in der Dramaturgie werfen ernstere Fragen auf. So fehlt die ursprünglich angekündigte Uraufführung von Krzystof Penderecki, und der Solist Matthias Goerne hat sich für drei von fremder Hand orchestrierte Lieder von Franz Schubert entschieden, die auch einen Tag später noch keine rechte Wirkung entwickeln wollen.

Chefdirigent Michael Sanderling und die Dresdner Philharmonie haben sich für die Eröffnung insgesamt kein „Feuerwerk der Klassik“ vorgenommen, das ist insofern löblich, da auf diese Weise eine Überstrapazierung und Fehlvorbereitung wie in Hamburg vermieden und dem Zuhörer Gelegenheit gegeben wird, bei zwei kürzeren und einem längeren Werk nach und nach in den Klang des Saales einzutauchen. Trotzdem: die Chance auf eine Uraufführung zur Eröffnung wurde ebenso vertan wie diejenige, Dresdner Komponisten oder Solisten mit einzubeziehen – auch der Philharmonische Chor sang am Sonnabend in der Beethoven-Ode leider nicht. Doch sprechen wir darüber, was tatsächlich klingt in diesem Eröffnungskonzert, und vor allem: wie es klingt! Und nehmen das Fazit gleich vorneweg: Dresden hat einen Saal mit Charakter und Eigenheit erhalten, einen Saal der Spitzenklasse in jedem Fall, aber vor allem auch einen Saal, der in seinem äußerst interessanten Klangbild kaum woanders zu finden sein wird, weswegen künftig Besuche in Dresden auch deswegen lohnen. Bei aller in diesen schon zusammenfassenden Sätzen erklingender, ehrlicher Freude – dieser Saal macht Arbeit! Und nach allem, was man aus den Reihen des Orchesters im Vorhinein hörte, ist es genau dies, was die Musiker und ihr Chefdirigent sich gewünscht haben: keine glatte (und völlig überzogen-überteuerte) Akustikpräzision, sondern ein Ideal, das Freiräume eröffnet, die sich ein Ensemble erspielen muss. Und dies wird nicht in einem Eröffnungskonzert gelingen, auch nicht in den nächsten zehn folgenden Konzerten, sondern es ist eine große Aufgabe für Musiker und Dirigenten, Werk, Stilistik und Haltung zur Musik immer neu zu be- und erfragen, und zwar mit dem Raum als Instrument.

Der Klang im Saal

Wir sehen uns hinter’m Strick – 1. Rang, 1. Reihe im „K-Block“

Einige erste Auffälligkeiten seien natürlich sehr subjektiv von meinem Platz im K-Block – meine Fanzugehörigkeit zur Dresdner Philharmonie ist damit auch bewiesen – aus benannt, wo im übrigen die Sicherheitsdrähte der Balustrade in Augenhöhe gewöhnungsbedürftig sind, hingegen (ein schönes Gimmick!) die eingesetzten Spiegel in der Empore den MDR-Rundfunkchor auf den Kopf stellten. In der „Festlichen Ouvertüre“ von Dmitri Schostakowitsch ist sogleich der warme, präsente Gesamtklang zu spüren, der direkt zum Zuhörer gelangt, aber nicht erschlägt. Klar ist: jeder Ton braucht eine Richtung, jeder Spannungsabfall wird sofort bestraft, denn insbesondere bei den Bläsern ist die Präsenz äußerst hoch und kleinste Phrasierungsnuancen und eine große dynamische Bandbreite sind sofort festzustellen. Es mag sein, dass der erste Konzerteindruck insgesamt auch das Wort „bläserfreundlich“ hervorruft, aber die etwas dunkle, fast matte Timbrierung der Streicher muss kein Nachteil sein. Sie klingen goldig und warm, und Vertrauen um die gemeinsame Sache, die Nachbarn am Pult sind hier für die Homogenität unabdingbar. Besonders bei den drei Schubert-Liedern probieren Michael Sanderling, der Bariton-Solist Matthias Goerne und das Orchester eine Piano-Kultur aus, die reichlich entspannend wirkt.

Doch man spürt man den feinen Verästelungen der Musik nach und ist beispielsweise über die Abrundung der Streicher in den hohen Lagen erstaunt. Die Abrundung betrifft aber auch das Fundament – die Kontrabässe wirken etwa im Gegensatz zu den Fagotten und Posaunen in der Klangkraft minimal benachteiligt, erst im großen Bass-Solo im 4. Satz der Beethoven-Sinfonie wird man ihrer Schönheit gewahr. Wie das bei Gustav Mahlers in Untiefen gründender 6. Sinfonie Prägnanz erhält, wird man in drei Wochen erleben.

Nach dem ersten Konzert – Panoramablick auf die Bühne.

Staunen und Entdecken

Das Staunen und Entdecken geht bei Beethoven weiter: was im Albertinum verqueres Spiel und im Schauspielhaus eher Schwerstarbeit bedeutete, geht den Musikern hier leicht von der Hand, trotzdem gab hier jeder alles und im Erregungszustand der Eröffnung gelang Außergewöhnliches – man möchte fast plädieren: für mehr Eröffnungen im Konzertleben! Chefdirigent Michael Sanderling trieb mit flotten, direkten Übergängen, flüssigen Tempi und einem strahlend-positivistischen Klangbild eine Interpretation voran, bei der man sich am Ende schüttelt vor Freude: Wow, Beethoven! Da wirkte dann sogar Schillers mehr zu rufender als zu singender Gassenhauer am Ende sauber geputzt. Vokales indes ist nochmal ein eigenes Thema in diesem Saal, denn im fugato fing es im Tutti ein klein wenig an zu klirren. Obertöne mischten sich in der Polyphonie im Tutti nicht optimal, wenn die harmonische Sauberkeit nicht ganz erreicht wurde oder Einzelne zuviel gaben – ein Zeichen dafür, dass das fortissimo im Saal eine gute Gestaltung benötigt. Die vier Solisten Christiane Libor, Silvia Hablowetz, Daniel Kirch und Matthias Goerne machten ihre Sache solide, verschmolzen aber nicht wirklich gut, und wurde wirklich eine Phrase auch nur einen Tic zu wenig artikuliert, war die Textverständlichkeit dahin. Das wiederum hatte der MDR Rundfunkchor in seiner Kulturpalast-Premiere (Einstudierung Michael Gläser) sofort begriffen und herausragend umgesetzt. Da war nicht nur jedes Wort glasklar verständlich, sondern auch bereits ein homogener Gesamtklang im Zusammenspiel mit dem Orchester erreicht.

Noch ein Gimmick: in den Spiegeln in der Balustrade steht der MDR Rundfunkchor Kopf.

Ein Fazit also: wer in diesem Saal nicht absolut höchsten Anspruch beim Musizieren walten läßt, wird Schiffbruch erleiden. Für die Dresdner Philharmonie, die diesen Saal dauerhaft nutzen wird, werden indes Träume wahr: mit so einem Saal kann ein Orchester wachsen. Gerade einmal wissen wir, wie die Neunte von Beethoven klingt – mit allen Vorbehalten aber auch einer unverwechselbaren Atmosphäre einer nur einmalig zu nennenden Eröffnungsmusik. Spätromantik, Moderne und Barock, Monumentales und Kammermusikalisches wird zu entdecken sein, Orgel und Solisten werden hinzutreten und diesen Saal auf’s Äußerste beleben. Das allerdings geht nur mit einem Publikum, das diesen Saal kennen- und lieben lernt. Die letzte Erkenntnis des Eröffnungsabends nach einem Schlussakkord, bei dem dann doch nicht jeder die Geduld hatte, ihm bis zum (2,2 Sekunden!) Verklingen zu folgen: selbst der Applaus klingt wunderbar.

(ungekürzte, erweiterte Fassung des am 2.5.2017 in den Dresdner Neueste Nachrichten erschienenen Textes)

Nachbemerkung:

Was für ein Arbeitsplatz für Texter, Rezensenten, Komponisten, Bücherwürmer…

Nachdem ich am heutigen Mittwoch auch ganz in Ruhe – und merkwürdigerweise mit recht wenig Publikum um mich herum – die Bibliothek, respective den Rest des Hauses (das Kabarett und die Hinterbühne fehlt mir noch) erkundet habe, muss ich die Überschrift ergänzen: das ist ein „Haus mit Charakter“, denn die den Konzertsaal umschlingende Bibliothek, die städtische Hauptbibliothek, ist einzigartig, wenn nicht gar einmalig in Deutschland – immerhin gibt es im Gasteig in München schon seit langer Zeit ein ähnliches Modell einer Vereinigung von Konzertsaal und Bibliothek in einem Haus, trotzdem hatte ich dort eher das Gefühl von Unübersichtlichkeit und der Überpräsenz von Steinen und Mauern, die eher trennen als vereinigen. Hier gibt es auf zwei Etagen Räumlichkeiten der Ruhe, Vortragsräume, Rampen und Treppenkompositionen, Technikfaszination (zurückgegebene Bücher entwickeln auf Fließ- und Förderbändern eine eigene, dennoch stille Dynamik), viel Holz, riesige Fensterblicke an Arbeitsplätzen oder Sofastationen und – Kaffeeduft.

Der „Kranich-Saal“ ist aus dem Originalgebäude von 1969 erhalten bzw. nachgebaut.

Zu wünschen ist dem Kulturpalast jede Menge Leben – Menschen, die das Haus bereichern, die sich in dieser wunderbaren Atmosphäre der Offenheit, der Weite und der Konzentration austauschen und anderen Menschen etwas geben, erzählen, diskutieren, performen. So wird etwas draus, was wir alle dringend benötigen. Gelebte Kultur, mitten in der Stadt, zukunftweisend.

Lesenswertes zum Kulturpalast in anderen Medien:

Alle Fotos (c) Alexander Keuk

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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

Ein Kommentar

  1. danke für den bericht und die begeisterten worte. vieles kann ich nach meinem rundgang am montag bestätigen (einschliesslich der besichtigung der hinterbühne und der keule. die ist sachlich nüchtern mit ungewöhnlichen sitz-aufteilungen.) den klang kann ich erst nach dem 20. beurteilen – aber es kann nur viel besser werden als im ersten saal bzw. im schauspielhaus.
    liebe grüsse vom ‚taxifrager‘

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