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Der Geschmack der Freiheit

Giacomo Casanova trifft Wolfgang Amadé Mozart bei den Musikfestspielen

Es reicht eigentlich die Erwähnung des Namens Casanova, um – nicht nur in literarisch gebildeten Kreisen – einer Unterhaltung einen gewissen erotischen Gout zu geben. Schlichter gesagt nennen wir heute einen Herrn, der in Liebes- und Triebesdingen überwiegend mit Glück und seltener mit Begabung gesegnet ist, einen Casanova. Wenngleich die Analyse nicht immer trifft, reicht die Erwähnung in Damengesprächen zumeist als Warnung. Wenigen ist allerdings bekannt, wer Casanova wirklich war, und noch weniger haben seine Werke oder Memoiren gelesen. Um letztere – „Histoire de ma vie“ – ging es in einem musikalisch-literarischen Abend am Donnerstag im Palais im Großen Garten, zu welchem die Dresdner Musikfestspiele das in den letzten Jahren zu den weltweit ersten Ensembles seiner Art aufgeschlossene Armida Quartett mit dem großen Schauspieler Sky du Mont zusammenbrachte.

Diese Verbindung, ja, der ganze Abend muss in allen Belangen als gelungen bezeichnet werden, gleich ob man von Temperamenten, Gefühlen oder Formen spricht. In summa befand man sich als Zuhörer in einer geistreichen, auch vergnüglichen Atmosphäre, und die Leichtigkeit von Casanovas nur selten ins Geplauder abdriftender Sprache passte zudem exzellent zur ausgewählten Musik von Wolfgang Amadé Mozart und Joseph Haydn. Dass sich Mozart und Casanova 1787 zur Premiere des „Don Giovanni“ in Prag an einem Abend im gleichen Haus befanden, ist verbürgt – ob sie sich kennenlernten und gar mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte am neuen Opernwerk, das im übrigen ja einen ebensolchen Lebemann porträtiert, Hand anlegten, weiß man bis heute nicht genau. Dementsprechend spannend gestaltete sich die posthum inszenierte musikalisch-literarische Begegnung, und diese war nicht nur als „Lesung mit Musik“ konzipiert, sondern offenbarte in der unglaublich guten Qualität ihrer Darbietung Freiräume und Subtexte, über die man – in Leichtigkeit der Formierung der Gedanken, wohlgemerkt! – noch einige Zeit sinnieren durfte, und nicht wenige taten dies nach dem Konzert in der lauen Spätabendatmosphäre im Großen Garten auch, so dass man sich wahrhaftig wie „in Gesellschaft“ einer Academie anno Siebzehnhundertpaarundachtzig vorkam.

Denn die ausgewählten und von Sky du Mont mit hervorragender, Spannung tragender Ruhe und Übersicht gelesenen Texte stellten uns Casanova nicht nur als Verführer und Abenteurer, sondern vor allem auch als aufklärerischen Freigeist vor, und nicht wenige der aufgestellten Gedanken und Erkenntnisse, die der alte Casanova rückblickend aus der Tinte fließen ließ, konnte man als Spiegelbild der damaligen Gesellschaft, aber auch als mutigen Gegenentwurf oder individuelle Weiterentwicklung begreifen. Darüber wäre noch einiges zu philosophieren – ebenso über den Gedanken der Freiheit. Und damit landen wir sofort bei Mozart und Haydn, denn bei wem käme nicht sofort der unglaublich wichtige Wert der musikalischen der Freiheit ins Gespräch angesichts der wunderbaren Quartette der beiden Komponisten? Das Armida Quartett fand weit jenseits des Illustrativen auch bei Einzelsätzen etwa aus dem „Jagdquartett“ von Mozart oder dem D-Dur-Quartett Op. 33/6 von Haydn zu einer Individualität, die zu Casanovas Freiheitsbegriff passte, Niveau und Klasse vermittelnd.

Zu spüren war dies vor allem im letzten Mozart-Beitrag, als Martin Funda und Johanna Staemmler (Violine), Teresa Schwamm (Viola) und Peter-Philipp Staemmler (Cello) noch einmal mit neuer Artikulation und beherztem Zugriff aufwarteten. Schon zuvor überzeugten sie durch eine brillante Formung des Gesamtklanges, der durch wenig Vibratoeinsatz immer schlank, aber enorm flexibel war. Lediglich der 1. Satz aus dem Dissonanzenquartett von Mozart geriet ein wenig aus dem pulsierenden Fluss, weil man sich nach tollem Beginn auf eine leichte Zerfaserung in der Motivgestaltung einließ. Doch eben dies bringt selbst den Schreiber dieser Zeilen zurück zum Thema Freiheit: den Geschmack derselben zu erkennen, ist ebenso Verdienst von Casanova und Mozart, mit ihr umzugehen, erscheint – damals wie heute – unser aller Auftrag zu sein und ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch der Genuss an den Künsten, am Schönen, am prallen Leben selbst, das lehrte dieser Abend auch, dürfen wir dabei keinesfalls verlieren.

Foto (c) Oliver Killig

 

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