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Reichtum der Nuancen

Im Rahmen des Moritzburg Festivals hatte am Dienstag erneut der diesjährige Composer-in-Residence Sven Helbig das Wort. Im Kammermusikabend im Speisesaal von Schloss Moritzburg kamen seine „Pocket Symphonies“ in einer Fassung für Klavierquartett zur Aufführung.

Ein schöner Aspekt von klassischer Musik, insbesondere auch dem Wesen der Kammermusik, ist die ihr innewohnende Überraschung, die eine kundige, atmosphärische reichhaltige Interpretation auszulösen vermag. Niemals wird sich ein Interpret wortwörtlich wiederholen, auch wenn intuitiv sekundengenaue Wiedergaben ganzer Opern dies vermuten lassen. Jeder Musiker wird in Nuancen anders spielen, anders fühlen und mal mehr oder weniger riskieren. Unbedingt aber gehört dieser Reichtum der Nuancen zur Haltung eines Interpreten, wenn eine neue Partitur aufgeschlagen wird. Im Komponistengespräch mit Sven Helbig, dem diesjährigen Composer-in-Residence beim Moritzburg Festival, war genau diese Schwelle des Musikmachens interessant, denn hier gelangen die Musiker vom bloßen Notenspielen in spannende Ebenen hinter dem Notentext.

Dass dies keine bloße Theorie aus der Werkstatt war, zeigten Lucille Chung, Alexander Sitkovetsky, Ruth Killius und Jan Vogler in der im Konzert im Speisesaal von Schloss Moritzburg am Dienstagabend folgenden Aufführung von vier Stücken aus Helbigs 2013 entstandenen „Pocket Symphonies“, in welchen er einfachste (Lied-)Formen zur Herstellung einer am Ende höchst geschliffen wirkenden Miniatur verwendet hat. Selbstverständlich assoziierten Harmonie und Entwicklung der Stücke Helbigs Verwurzelung in Band- und Popkultur, groovt das Ensemble in behutsam gesteigerten Pattern. Der bekennende Grenzgänger Helbig verschließt sich nicht vor Einflüssen aus verschiedensten Bereichen, dazu besitzt er jedoch auch ein hervorragend entwickeltes Klanggespür für die klassischen Instrumente. Es wäre reichlich unsinnig, hier das Fehlen jeglicher Avantgardehaltung zu konstatieren, stattdessen ist die durch die Interpreten geweckte, eigene Kraft der Musik und ihre hier doch eher vorrangig dunklere, melancholische Atmosphäre (der im Gespräch interessante Postrock-Vergleich ist nicht von der Hand zu weisen) vor allem ein Parameter, der das Hin- und Weiterhören spannend machte. Moritzburg-like war dann auch klar, dass sich die vier exzellenten Musiker ebenso intensiv in diese Art Musik hineinlegten, als sei ein weiteres Brahms-Quartett zu entdecken: Helbigs nur auf den ersten Blick einfachen Stücke erhielten viel Leben und Lebendigkeit.

Dass letzteres bei einem klassischen Werk nicht unbedingt zwangsläufig als Wirkung eintreten muss, zeigte die eingangs vorgestellte Serenade D-Dur für Streichtrio, Opus 8 von Ludwig van Beethoven, mit der Kai Vogler, Ruth Killius und Peter Bruns sich keinesfalls einen leichten „Opener“ vorgenommen hatten. Denn genau in der scheinbaren Konventionalität des Werkes liegt sein gordischer Knoten. Hat man diese erst einmal entblößt, ist freies Musizieren möglich. Diesem allerdings ging ein Findungsprozess des Trios voraus, wozu auch die Ensemble-Intonation im Raum gehörte, die sich erst nach dem einleitenden „Marcia“ einstellte. Dann aber schwangen die Saiten auf wunderbar gemeinsamer Vision und Intention, hätte da Beethoven selbst nicht noch mit seinem arg retardierenden Variationssatz kurz vor Schluss eine Bremse eingebaut.

Wie man Form, Harmonik und Ausdruck gleichzeitig zu sprengen vermag und dennoch ein nahezu atemloses Musikerlebnis kreiert, das ist die Kunst des Spätromantikers César Franck, vor der man den Hut zieht, auch wenn man beim ersten Hören seines Klavierquintetts f-Moll dieses unglaubliche Wogen nicht bis in den letzten Takt verstehen muss. Viel Traumwandlerisches ist in dieser stetig schwingenden Musik dabei und so sank man mit den hervorragenden Interpreten gerne in diese luzide Welt. Kai Vogler, Abigél Králik (aus der Akademie sofort ins Festival eingesprungen!), Ulrich Eichenauer, Christian-Pierre La Marca und die sich aufmerksam ins Streichensemble einbringende, stets nach allen Seiten horchende Lise de la Salle am Klavier sorgten für eine vor allem im Lento-Mittelsatz intensive Darstellung dieser Musik, bei der eben nicht der schwitzige Rausch vorherrschte, sondern die klangliche Nuancierung vor allem des Pianos im Vordergrund stand. Dass dabei im Tutti nicht immer perfekte Balance erzielt wurde, ist kein Manko, sondern eben auch eine zuweilen absichtsvolle Nuance einer Lebendigkeit, die eben das leicht Verborgene oder das aus dem Klang Herausragende durchaus legitimiert.

(15. August 2017)

Foto: (c) Oliver Killig

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Veröffentlicht in Rezensionen

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