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Ein zweiter Frühling?

Was war, was wird? Was war herausragend, wo konnten Erwartungen dagegen nicht erfüllt werden? Auch die vergangene Kultursaison hatte wieder vieles im Angebot: zwischen großartigen Aufführungen und missratenen Abenden. Nun gehen DNN-Autoren zum wiederholten Mal auf Erinnerungsreise mit Blick auf die abgelaufene Saison. Wie jede Rezension, wie jeder subjektive Blick auf kulturelle Veranstaltungen in Dresden soll auch dieser Rückblick streitbar sein und Widersprüche produzieren. Heute bilanziert Alexander Keuk.

Herausragendes Ereignis

Selbstverständlich überragte ein Ereignis viele andere, nämlich die pünktliche Wiedereröffnung des Kulturpalastes samt neuem Konzertsaal, auf den die Dresdner Philharmonie samt ihres auch in der Umbauzeit treuen Publikums Jahre gewartet hatten. Der letztlichen Umsetzung, den neuen, modernen Saal in den Kulturpalastkorpus einzubauen, ging eine Zeit intensiver Diskussionen voraus, noch 2009 hatten sich namhafte Dirigenten für den Neubau eines Konzerthauses eingesetzt. Doch nach der Eröffnung am 28. April 2017 setzte ein großes Durchatmen ein – mehr noch: mit Bibliothek, Kabarett und nun bald auch Kulturhauptstadtbüro im gleichen Haus hat Dresden endlich einen kulturellen Mittelpunkt in der Stadt erhalten, dem nach Westen hin Semperoper, Musikhochschule und das ebenfalls neu eröffnete Kraftwerk Mitte folgen. Das ist ein Akzent, ein Statement von Stadt und Bürgern und hoffentlich ein zukunftsweisendes Modell. Wenn ich mir noch etwas wünschen darf, dann bitte auch die zeitgemäße, urbane Radinfrastruktur, um alle diese wunderbaren Orte zu erreichen. Die Anfahrt zum Kraftwerk Mitte über die radtechnisch katastrophale Könneritzstraße etwa ist ein Russisch Roulette, für das man 25 Jahre nach der Wende dem zuständigen Amt einfach nur den Vogel zeigen kann.

Überraschendster Künstler

Diesmal sind es nicht junge Pianisten oder Geiger, die mir ein „Hoppla – großartig!“ entlockten, sondern es ist ein Grandseigneur der Dirigentenzunft. Dass der ehemalige Chefdirigent der Dresdner Philharmonie Marek Janowski im Kulturpalast gleich nach der Eröffnung dirigieren durfte, ist eine späte Wiedergutmachung für den Weggang im Jahr 2003, als in Sachen Kulturpalast in der Stadt gar nichts voranging. Nun dirigierte er nicht nur einen Abend im Hygiene-Museum und ein grandioses Bruckner-Konzert, sondern lotete als Einspringer für Markus Poschner mit Gustav Mahlers 6. Sinfonie auch noch die letzten Ecken im neuen Saal akustisch aus. Ist Marek Janowskis musikreicher zweiter Frühling in Dresden gar eine Initiativbewerbung für die ab 2019 freiwerdende Chefdirigentenstelle bei der Dresdner Philharmonie…? In Bayreuth geben sich Janowski und Thielemann schon die (Wagner-) Klinke in die Hand. Träumen sei erlaubt.

Enttäuschte Erwartungen

Musikalisch wird man in Dresden über eine Saison hinweg kaum enttäuscht, und Erwartungen sind ohnehin einem bereichernden Kunstgenuss nicht förderlich. Schlimm wäre ein Dresdner Musikalltag, in welchem man innerlich ein Häkchen hinter den Konzertbesuch setzt. Und abzuraten ist von einem Usus des Weghörens oder gar des Desinteresses trotz Anwesenheit. Auch bei den Musikern kann hochrangiger Konzertalltag eine gewisse Nivellierung und Resignation hervorrufen. Zeitgenössische Musik? Da kommt keiner. Und, habt ihr Spaß damit? Naja, ist anstrengend, muss aber sein. So bitte nicht. Wenn mal eben hingelegte Uraufführungen – weil gerade noch für die Durchführbarkeit angemessen gefördert – den Hauch einer Notwendigkeit haben, welche die Priorität der Musik fernab legt, wäre zu überlegen, ob man nicht Dinge einfach mal neu denkt, Strukturen und Musiklandschaften aufbricht. Wie das gelingen kann, zeigte zum Beispiel in den letzten zehn Jahren das Ensemble AuditivVokal Dresden, das sich vokal in alle möglichen Themen und Anlässe in der Stadt einmischte, Akzente setzte, Dinge weiterdachte. Nur mit aktivem Einsetzen für die Gegenwart kann auch eine kulturelle Zukunft entstehen, dazu gehört auch das Reiben an Monumenten, das Unverständliche, Irritierende, gar auch die Ablehnung. Und das sollte man nicht nur den „Alten“ überlassen, aber auch diese an ihre Pflicht erinnern. So überraschte die Staatskapelle Dresden zwar mit einem wunderbaren Kammermusikmarathon für Sofia Gubaidulina in der Schlosskapelle, aber auf einen jungen Capell-Compositeur wartet man weiterhin vergeblich: der 81-jährige Este Arvo Pärt wurde für die kommende Saison ernannt – Uraufführungen Fehlanzeige.

Was fehlte in der Saison?

Neben dem oben angesprochenen Mut fehlte vor allem Feingefühl. Ein Verhältnis zwischen Orchester und Träger ist sicher in keiner Stadt der Welt ein leichtes und muss immer wieder neu diskutiert und verhandelt werden. Beide Seiten – Dresdner Philharmonie und Stadt – sahen Ende November 2016 nicht gut aus: der Stadtrat versuchte die Geldschraube fester zu drehen, und als Folge schmiss Chefdirigent Michael Sanderling hin. Es ist vorstellbar, dass es auch andere Reaktionen, andere Lösungen dieser Problematik gegeben hätte. Der Handtuchwurf kam plötzlich – wie hätte beispielsweise ein Kämpfen für die Sache und das gemeinsame Tun, eine visionäre, langfristige künstlerische Entwicklung des Orchesters vorausgesetzt, ausgesehen? Andererseits setzte Sanderling damit ein konsequentes Statement und stellte Grundbedingungen für die Basisarbeit fest. Deren Bewertung ist ein komplexes Thema – 2019 darf sich ein neuer Dirigent damit befassen.

Worauf ist die Vorfreude groß?

Nach den Kleinoden der spätsommerlichen Kammermusik beim Moritzburg Festival darf es gerne im Herbst etwas massiver werden: Hector Berlioz‘ Grand Opéra „Les Troyens“ (Premiere am 3. Oktober in der Semperoper) ist schon aufgrund der gewaltigen Ausmaße selten auf den Bühnen zu erleben. Das Gustav Mahler Jugendorchester gastiert in Dresden mit Olivier Messiaens einzigartiger Turangalila-Sinfonie (2.9.) und natürlich lockt die Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie mit Gustav Mahlers 8. Sinfonie (25.8.), bei der erstmalig auch die von Bürgern gestiftete Orgel im Kulturpalast erklingen wird. Damit seien gleich drei potenzielle Höhepunkte für den Rückblick 2018 genannt. Vom in Dresden äußerst vielfältigen „Rest“ lasse ich mich gerne überraschen.

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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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