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Aus der Welt einen besseren Ort machen

Am Pult des 3. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden steht an diesem Wochenende der ehemalige Music Director der New Yorker Philharmoniker und designierte Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, der US-Amerikaner Alan Gilbert. Alexander Keuk sprach mit ihm über seine Ansichten von Musik, den Visionen eines modernen Dirigenten und das Programm des Konzertes, dem eine China-Tournee folgen wird.

Alan Gilbert, willkommen in Dresden – Sie gastieren nun zum zweiten Mal bei der Sächsischen Staatskapelle. Welches Gefühl hatten Sie eigentlich, als Sie damals angerufen wurden?

Ich war sehr glücklich, hier dirigieren zu dürfen – ich kenne ja viele andere deutsche Orchester und habe auch während meiner Chefzeit in New York oft in Deutschland gastiert. Die Staatskapelle Dresden hat aber eine unverwechselbare Persönlichkeit. Hier ist nicht nur der Klang besonders, sondern auch der Zugang zum Musikmachen. In den Konzerten spüre ich vor allem eine kultivierte, fast bescheiden zu nennende Spielart, und man nimmt sofort die individuellen Handschriften der Musiker im Ensemble wahr. Das ist etwas Einzigartiges, und es war eine spezielle musikalische Erfahrung für mich.

Sie dirigieren hier mit Richard Strauss einen eng mit dem Orchester verbundenen Komponisten und gehen mit dem Programm auch auf Tournee nach China – für den Strauss-Klang ist die Staatskapelle international gerühmt. Nun ist aber die „Sinfonia Domestica“ doch ein – mit Verlaub – recht kurioses Stück, auch wenn man versucht, Form und Wert des Werkes einzuordnen?

Es ist ungewöhnlich, da haben Sie recht. Aber man ist natürlich völlig beeindruckt von der Orchestration, den Farben und der Ökonomie des musikalischen Materials. Strauss benutzt hier nur wenige Themen, aber dann ist es wie bei einem Fisch in einem Bassin: der schwimmt herum und man sieht alle möglichen Facetten, obwohl es der gleiche Fisch ist. Und man kann dem Stück wunderbar gerecht werden, wenn man eine Geschichte erzählt. Das Stück ist ja auf eine faszinierende Weise manchmal ziellos – und auch nicht jeder Moment in unserem Leben muss immer ein Ziel haben, es ist – auf die anspruchsvolle, Strauss’sche Art – auch einmal okay, abzuhängen. Es gibt kurz vor dem Finale einen mystischen Moment, wo man nicht weiß, ob Strauss vorwärts gehen will oder gedanklich zurück – die Form erscheint da regelrecht ausgehebelt. Das sind total spannende Stellen in dem Stück, das mir manchmal wie ein Tagtraum erscheint.

Strauss zitiert sich hier selbst in vielen Passagen – man wird das Konzert sicher mit einigen Ohrwürmern verlassen. Verfolgt Sie die Musik auch in diesen Tagen?

Wenn ich probe und konzertiere, natürlich. Aber ich bin auch glücklich über Momente der Stille dazwischen, die ich genieße. Ich habe drei Kinder in einem Alter, wo sie Musik hören und entdecken, die ich normalerweise nicht von mir aus einschalten würde… Das ist manchmal sehr spannend, aber ich brauche dann auch ein bißchen Rückzug – und höre auch gern einmal Jazz.

Sie waren acht Jahre, von 2009-2017 Chefdirigent eines der renommiertesten Orchester der Welt – der New Yorker Philharmoniker. Man könnte vermuten, man hätte ausgesorgt, ist man dort einmal angekommen. Dennoch haben Sie 2015 erklärt aufzuhören…

Es war schlicht die richtige Zeit dafür. Sie dürfen sich vorstellen, dass die Arbeit mit einem Top-Orchester in den USA alle Kräfte beansprucht. In den acht Jahren gemeinsamer Arbeit haben wir sehr viel erreicht, das Orchester hat sich stark verändert, hat sich auf die Gegenwart und ihre Bedürfnisse eingelassen und seinen Platz in der Stadt stark verbessert – das kann ich jetzt im Rückblick sagen. Und natürlich hat sich auch mein Blick in den Jahren erweitert und nach Europa ausgedehnt.

Sie sind nun der designierte Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters in Hamburg und werden daher ab 2019 in dem Saal musizieren, der seit der Eröffnung zu Beginn dieses Jahres die Klassikwelt begeistert. Sie haben bereits im April mit den New Yorkern dort gastiert – wie ist ihr persönlicher Eindruck?

Das ist wirklich unglaublich dort – zumal ich nun auch weiß, dass der Saal mein neues Zuhause sein wird. Die Elbphilharmonie ist ja nicht nur die erste Adresse für klassische Konzerte, es ist auch der zentrale, kulturelle Ort für die Bürger in Hamburg. Es gibt wirklich wenige Architekturen auf der Welt, die solch eine ikonische Funktion haben. Und natürlich fasziniert die direkte Akustik, mit der nahezu alles möglich ist – aber auch die enge Verbindung mit dem Publikum im Saal ist einzigartig.

Sie wechseln nun von einem US-amerikanischen Ensemble zu einem europäischen, von einem städtischen, dennoch stark privat finanzierten Orchester zu einem deutschen Rundfunkorchester. Was ändert sich für Sie, was ist der Unterschied auch im Profil?

Am Ende sind die Systeme in der Praxis gar nicht so unterschiedlich, höchstens im Zustandekommen. Meine persönliche Präferenz wäre, dass ein Land, eine Regierung seine Künste so gut als möglich unterstützt, um sowohl die künstlerische Freiheit, aber natürlich auch die damit verbundene Verantwortung zu ermöglichen. Sicherlich hat sich die musikalische Landschaft heute verändert – die Musik ist ja in Produktionen und Tonträgern reichlich verfügbar, die Aufgaben sind auch für ein Rundfunkorchester. Die Identifikation mit der Region, der Kontakt zum Publikum, das ist wichtig. Es wird, auch und gerade in der Elbphilharmonie, darauf ankommen, Brücken zu den Menschen zu bauen, sie zu erreichen und zu begeistern. Das sehe ich als meine Aufgabe an.

Sie engagieren sich neben dem Dirigieren auch in gesellschaftlichen Fragen, Sie mischen sich ein, entwickeln neue Formate und Konzepte. Ist der moderne Dirigent heutzutage auch verantwortlich für die Entwicklung der Gesellschaft? Oder sollte der Schuster besser bei seinen Leisten bleiben, sprich: dem Musikmachen?

Das ist eine sehr interessante Frage. 95 % meiner Zeit und Energie gehen weiterhin, das würde ich behaupten, immer in die Musik. Und ich schaue mir den Stand der Welt an und sehe, dass Musik uns die Möglichkeit gibt, Menschen näher zusammenzubringen. Ich habe kürzlich „Musicians for Unity“ gegründet, eine Initiative, die von den Vereinten Nationen begleitet wird und sich weltweit und initiativ mit Konzerten für Frieden und Menschenrechte einsetzen wird. Wir sollten unsere  universelle Sprache der Musik immer einsetzen, um letztlich aus der Welt einen besseren Ort zu machen.

Sie sind bekannt für außergewöhnliche Programme, bringen ein riesiges Repertoire als Dirigent mit, engagieren sich für das Neue. Lieben Sie das Risiko?

Generell natürlich schon. Aber Risiko kann man natürlich auch kalkulieren und es hat auch mit Vertrauen zu tun. Wenn ich in New York ein neues Stück vorgestellt habe, konnten die Zuhörer ahnen, was ich machen würde, weil sie mich kennen. Umgekehrt überlege ich natürlich genau, was ich einem Publikum gerne zumuten würde, welches Risiko es auf sich nehmen würde. Und so etwas kann sich in einer Beziehung zwischen Orchester und Zuhörern in gewisser Zeit wunderbar entwickeln. Sie haben aber recht, ich fordere mich gerne heraus und entdecke sehr gerne unbekanntes Terrain.

Haben Sie eine Vision für das Orchester der Zukunft?

Darüber denke ich sehr viel nach, und ja, auch eine angemessene, zeitgemäße Konzerthalle gehört unbedingt dazu. Musikerziehung und damit verbundene Programme halte ich für immens wichtig. Zugänglichkeit sollte Teil der DNA eines Orchesters sein, denn letztlich berühren wir mit der Musik die Seele der Menschen. Wir brauchen den Zugang für jeden, und wer Vorbehalte hat, dass die Klassikgemeinde etwas Besonderes ist, wo man sich speziell anziehen muss oder stillsitzen muss, dem kann ich auch sagen: es liegt an Dir! Mach doch daraus einen besonderen Event, zwei Stunden, in denen Du vielleicht etwas Einzigartiges erlebst. Dafür lohnt sich auch ein kleines bißchen Protokoll, das ist es wert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto (c) Matthias Creutziger

 

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Veröffentlicht in Interviews Rezensionen

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