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Der Wald als Seele des Künstlers

Ein Gespräch mit dem Pianisten Andreas Boyde

Der aus Sachsen stammende, in London lebende Pianist Andreas Boyde musiziert wieder einmal in Dresden. Der vielseitige Musiker ist auch als Musikwissenschaftler sowie Herausgeber und Vermittler von Klaviermusik sehr aktiv. Am kommenden Sonntag ist er im Dresdner Kulturpalast im Konzert zu erleben und offenbart dabei eine neue Facette seines Musiklebens, denn es wird eine Uraufführung geben.  Alexander Keuk sprach mit ihm über Schumann, Dvořák und die Romantik in der Musik.

In der letzten Zeit konnte man Dich vermehrt hier im Konzert erleben, spüre ich da wieder eine stärkere Hinwendung von Andreas Boyde zu Dresden?

Andreas Boyde: Das hat sich so ergeben – ich freue mich, dass viele Kontakte erhalten geblieben sind, da ich meinerseits stark mit der Stadt verbunden bin. Ich habe ja elf enorm prägende Jahre vor allem meiner Studienzeit in Dresden verbracht – es gibt hier viele Freunde, Lehrer, familiäre Verbindungen, und selbstverständlich ist das Kulturleben hier etwas ganz Besonderes.

Du wirst nun mit den Dresdner Kapellsolisten erstmals im neuen Saal des Kulturpalastes spielen…

Ich bin außerordentlich gespannt, wie es dort klingen wird. Ich habe ja einige Male im alten Saal konzertiert und die Entstehung und auch die lange Zeit währenden Diskussionen verfolgt – zwischenzeitlich kam ja auch ein Neubau ins Spiel. Ich bin sehr froh, dass Dresden wieder einen offensichtlich – das werde ich nun erfahren – exzellenten Spielort für klassische Musik hat.

Die Zuhörer werden ein Klavierkonzert von Dir hören, das merkwürdigerweise recht selten gegeben wird, nämlich das Konzert g-Moll von Antonín Dvořák…

Ja, das Konzert wird wirklich sträflich vernachlässigt im Konzertleben, dabei ist es das wohl beste böhmische Konzertwerk für Klavier und Orchester! Es hat eine ganz eigene Sprache, auch im Klavierpart. Manche haben das Konzert kritisch „unpianistisch“ genannt, aber ich sehe das anders, für mich liegt in dieser Art auch ein Reiz, weil Dvořák das Klavier auf eine Weise zum Klingen bringt, wie ich das von keinem anderen Komponisten kenne. Und dafür lohnt es sich auch, die eine oder andere Schwierigkeit auf sich zu nehmen – ich werde auch die Originalfassung spielen.

Im Mittelpunkt des Konzertes steht eine Uraufführung – Du hast ein Klavierwerk von Robert Schumann für Orchester bearbeitet – die „Waldszenen“, Opus 82. Was ist das Besondere an diesem 1848 in Dresden entstandenen Werk?

Die „Waldszenen“ sind ein zentrales Werk der deutschen Romantik, wie ich finde. Das Stück liegt auch näher an Dvořák als man meint, denn auch Dvořák war durchaus in der deutschen Romantik verortet. Eine Heimat- und Naturverbundenheit mag uns heute selbstverständlich erscheinen, sie ist aber damals in der Kunst erst erkundet und entwickelt worden. Der Wald etwa wird bei Schumann zur Seele des Künstlers, und zwar in allen Facetten und Schattierungen.

Der Zyklus ist ja im Vergleich etwa zu den „Kinderszenen“ recht unbekannt, dennoch siehst du ihn als ein Schlüsselwerk?

Es ist interessant, dass diese Verbindung zwischen den Dichtern, Komponisten und auch Malern im 19. Jahrhundert in Deutschland etwas hervorbrachte, wo etwa Großbritannien, wo ich ja lebe, trotz etwa der zeitgleichen Industrialisierung nicht mitgehen konnte. In Deutschland war der Wald immer ein Sehnsuchts- und Zufluchtsort, das nutzte Schumann in einem durchaus programmatischen Sinn. Der Wanderer tritt hier in den Wald ein, das ist eine erzählte Geschichte. Zu Beginn ist da eine unschuldige Neugier, die von Erfahrungen und Erlebnissen gefüllt wird…

…die nicht immer schön sind?

Ganz gewiss! Der düstere Charakter, die Eintrübungen sind hier vorhanden. Klar, auch in der „Alpensinfonie“ von Strauss erleben wir ein Gewitter, aber hier ist es Mystik, die sich an einer verrufenen Stelle im Wald auftut – hinter der bloßen Beobachtung. Das wird dann auch ganz fein motivisch verwoben im Sinne des Zyklus.

Ich höre bei Dir viel Begeisterung heraus. Du hättest ja auch die Waldszenen im Original spielen können. Warum aber hast Du sie instrumentiert?

Mir war aufgefallen, dass ich oftmals bei der Erarbeitung von Klavierwerken schon im Kopf orchestriere, um dann diese Farben wieder aus dem Klavier herauszuholen. Dann habe ich das bei diesem Werk ausprobiert und war sehr erstaunt, wie viel da im Kopf eigentlich schon fertig war. Es ist eben keine Instrumentierung, sondern eine Orchesterfassung. Schumanns Klaviersatz in dieser Zeit ist sehr sparsam – da entwickeln sich Freiräume, die man kompositorisch auch persönlich auffassen darf, darin lag auch der Reiz für mich.

Es ist also auch ein bißchen Boyde in der neuen Partitur?

Ja, und auch ganz bewusst. Es gibt keine zusätzlichen Takte, aber hier und da gibt es auch motivische Anspielungen, eine „riskante“ Komponierweise – etwa bei dem „Jäger auf der Lauer“ – oder eine zyklische Verbindung, mit der ich aber Schumann nur bestätige. Ich möchte das Programmatische im Werk gern unterstreichen, für mich ist die Orchesterfassung auf jeden Fall eine Bereicherung, ein Weiterdenken der Musik.

Umgekehrt wurden ja damals Klavierauszüge von Sinfonien hergestellt…

Ich befinde mich da durchaus in einer Tradition, für die Hausmusik waren Bearbeitungen ja selbstverständlich. Trotzdem muss man Schumanns Sinfonik von den Klavierwerken deutlich unterscheiden, da arbeitet er kompositorisch in der Verflechtung anders. Deswegen konnte ich auch persönlich frei herangehen. Es wird keine neue Schumann-Sinfonie erklingen, trotz der durchaus klassischen Besetzung. Und am Ende hat es mir auch einen Riesenspaß gemacht. Es fließen ja nicht zuletzt auch Erfahrungen im Zugang zu Schumann ein, die ich letztlich auch schon hier in Dresden machen durfte…

Und auch die romantische Literatur spielt sowohl für Schumann als auch Boyde eine Rolle. Schumann versah die Stücke mit Motti, dahinter stehen Gedichte…

Der Roman „Ahnung und Gegenwart“ von Joseph von Eichendorff hat für mich als 18-jährigen schon tiefen Eindruck hinterlassen. Aus diesem Roman stammen ja viele Gedichte, die etwa in Schumanns „Liederkreis“ Niederschlag fanden. Wenn man diesen Roman liest, ist man genau in der Welt drin, zu der sehr viele interessante Komponenten gehören, etwa auch der Blick in eine oft ritterliche Vergangenheit. Wenn dann das Jagdbild etwa auftaucht, dann sind das ja Urinstinkte, zeitlose Gefühle und Beschreibungen – und auch das Düstere ist hier eingearbeitet! Die Ausdruckswelt der „Waldszenen“ ist enorm weit gespannt.

Werden wir noch mehr vom Komponisten Andreas Boyde hören?

Das arbeitet natürlich alles in mir, und der Verlag Peters hat die „Waldszenen“ sehr interessiert aufgenommen. Zurückkehren werde ich nach Dresden aber sicherlich als Pianist: die mir sehr verbundenen Dresdner Sinfoniker, bei deren Debütkonzert ich ja schon gespielt habe, feiern im nächsten Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Ich darf schon verraten, dass ich zu diesem Anlass im Juli 2018 bei einem ganz besonderen, neuen Projekt mitwirken werde. Darauf, und natürlich auf viele weitere musikalische Erlebnisse in Dresden, freue ich mich schon sehr!

Vielen Dank für das Gespräch!

Sonntag, 26. November, 19.30 Uhr, Kulturpalast, Dresdner Kapellsolisten, Leitung: Helmut Branny, Andreas Boyde, Klavier – Werke von Mozart, Schumann/Boyde und Dvořák

Andreas Boyde

* geboren 1967 in Oschatz
* studierte in Dresden bei Christa Holzweißig und Amadeus Webersinke sowie in London bei James Gibb
* außerordentlich breites Repertoire im Solo- und Konzertwerk von Bach bis zur Moderne, zahlreiche Uraufführungen, konzertiert mit Orchestern in der ganzen Welt
* rekonstruierte Schumanns „Schubert-Variationen“ und gab Brahms‘ Klavierwerke neu heraus
* CD-Gesamteinspielung der Klavierwerke von Johannes Brahms
* gastiert regelmäßig in Dresden bei der Staatskapelle Dresden, der Dresdner Philharmonie, den Kapellsolisten und den Dresdner Sinfonikern
* Boyde lebt mit seiner Familie in London

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Veröffentlicht in Interviews Rezensionen

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