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Feinfühlige Klangforschung, rauschhafte Übersteigerung

3. Kammerabend der Staatskapelle mit Werken von Andre, Lachenmann und Enescu

„Willkommen in der Klangwelt von Mark Andre!“ – wer mit solch sympathischen Worten des Kapellmitglieds Petr Popelka im Konzert begrüßt wird, steigt auch sogleich neugierig hörend in die Stücke des Komponisten ein, und es war interessant zu beobachten, wie im großen Rund der Semperoper gespannte Aufmerksamkeit für diese Musik der Gegenwart herrschte. Denn was da am Dienstagabend im 3. Kapellabend erklang, ist sicher nicht der Alltag der Staatskapellisten, und gerade deswegen beschäftigen sich aber auch die Musiker gerne mit Komponisten unserer Zeit. Das Neue reizt und fordert heraus, oder, wie es Popelka formulierte „wir lernen eine neue musikalische Sprache, ohne unsere musikalische Muttersprache zu verlieren“. Das erschien auch stimmig für den Zugang zum Werk des in Dresden seit neun Jahren lehrenden Mark Andre, der erstmals überhaupt von der Staatskapelle Dresden interpretiert wurde.

Mark Andres Ästhetik bezieht schon im Kompositionsvorgang das ganz genaue Hinhören ein, und das – der Komponist Helmut Lachenmann darf da als Lehrer und Freund sicher genannt werden – betrifft vor allem das Entstehen und Vergehen von Tönen, oft auch den Innenraum eines Klangs oder seine Resonanz. „E2“ für Cello und Kontrabass (Matthias Wilde und Petr Popelka) war da ein gut zugängliches Konzentrat, das weniger auf die Tieftönigkeit der Besetzung abzielte denn auf Resonanzen des Atmens sowie Pulsierungen. Dieses Duo schien tatsächlich eine Art inneres, phantasievolles Leben zu entwickeln. Vertikale Streichbewegungen auf dem Holz, stehende Töne und Tonerzeugungen am Rand des Konkreten waren zu entdecken – der Hörer fand sich wie im Horchen an einem musikalischen Stethoskop wieder und dem energetischen Organismus konnte man gut folgen.

Helmut Lachenmann selbst war mit „Sakura-Variationen“ vertreten, ein (vordergründig) untypisches Stück, kennt man des Komponisten große, neue Klangwelten erkundende Konzertwerke. Typisch ist es allerdings, da Lachenmann im Verlauf seines Oeuvres immer wieder die Marginalie oder das Kindliche reizte – beides ist im Stück, das ein japanisches Kinderlied betrachtet, wundervoll verarbeitet, und dabei gesellten sich Petr Popelka – diesmal am Klavier – Sabina Egea Sobral (Altsaxophon) und Simon Etzold (Schlagzeug) hinzu. In einem großen Ensemble ging es weiter mit Mark Andres „Riss 1“, das erst im letzten Jahr in Paris uraufgeführt wurde. Schön, dass den Zuhörern auch hier einige Klangbeispiele vorgestellt wurden. Neben der Faszination, dass ein Kammerensemble auch wie eine überdimensionale Atempumpe klingen kann, war es im Verlauf des Stücks aber auch die Verwandlung des Materials, die das Stück immer anders leuchten ließ, unterstützt von wenig bekannten, aber in der Mischung wirkungsvollen Instrumenten wie dem Waterphone und zwei eigens für das Konzert gebauten Schwirrbögen im Schlagzeug. Hochprofessionell setzten sich die Kapellmusiker auch für dieses Werk ein, doch vielleicht war nicht jede Schattierung – etwa der Waterphones – im großen Raum gut umsetzbar, hätte man sich auch eine größere Unmittelbarkeit gewünscht, die in intimeren Sälen sofort einsetzt.

Dass eine leichte akustische Überforderung aber auch ein zu Beginn des letzten Jahrhunderts entstandenes Kammermusikwerk betreffen kann, lernte man nach der Pause: Georges Enescus Oktett Opus 7 ist wohl eines dieser Werke, was im Rausch der musikalischen Spätromantik, im jugendlich-kompositorischen Überschwang und im Pariser Fin de Siècle gar nicht gelingen konnte und aber auch aus diesem Grund ein raffiniertes Völlegefühl beim Zuhören erzeugt. Bei der Ziehung der Tonarten aus der großen Enescu-Lotto-Kugel wurde einem besonders in den ersten beiden Sätzen arg schwindelig, gleichwohl hatte man großes Vertrauen in das Kapell-Oktett mit Thomas Meining als erfahrenem Primarius. Da der Komponist die acht Stimmen mehrfach in eine Kontrapunktik verwickelt, neben der etwa die Strauss-Metamorphosen wie ein freundlicher Choral wirken müssen, war akustisch gesehen ein besonderer Mischklang erforderlich, der annäherungsweise die Komplexität dieser Partitur erfahrbar macht. Und wirklich: spätestens im langsamen Satz und im erneut sich rauschhaft-steigernden Valse-Finale war man „drin“ in der Musik und lauschte Kostbarkeiten, die die Eigenart von Enescus Musik ausmachen – diese wiederum ist noch vielfach wiederzuentdecken, wenngleich, das war eine interessante Erkenntnis am Ende des Abends, eine solche Übersteigerung von Werk und Wollen eines Komponisten nahezu mehr Schweiß kostet als die feinfühlige Klangerforschung des Neuen im ersten Teil des Konzertes.

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