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Intensive Ansprache in Tönen

3. Philharmonisches Konzert der Elbland Philharmonie Sachsen

Zwischen dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, dem 27. Januar, und dem Dresdner Gedenktag am 13. Februar erscheint es adäquat, sich im Konzertleben mit den Themen Geschichte, Erinnerung und Gedenken zu beschäftigen. Ernste Musik bestimmt die Programme der hiesigen Orchester, wobei das Gedenken Trost, Hoffnung und auch die gegenüber von manchem Schatten stehende Lebensfreude zumeist miteinbezieht – nicht zuletzt aus dieser speisten viele Widerständler ihren Kraft, ihren Mut, auch in dunklen Zeiten ihren humanistischen Überzeugungen zu folgen und zu vertrauen. In der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts ist der Münchner Komponist Karl Amadeus Hartmann eine solche Persönlichkeit, der wie viele Zeitgenossen, waren sie nicht ohnehin ins Exil geflüchtet, in den stillen Untergrund ging. Das Anschreiben in Noten gegen eine Diktatur musste zuweilen von Hoffnungslosigkeit begleitet gewesen sein. Dem Widmungsträger der „Klagegesang“-Partitur, dem Chemiker Robert Havemann, gesteht Hartmann geistige Verwandtschaft zu: „…auch Sie, lieber Freund haben für die Freiheit gekämpft und mußten dafür leiden.“ Bis heute werden Hartmanns Werke selten aufgeführt.

Der Chefdirigent der Elbland Philharmonie Sachsen Ekkehard Klemm hat sich lange mit dem 1944 entstandenen „Klagegesang“ auseinandergesetzt und dieses erst 1990 unter Leitung von Zubin Mehta in Pittsburgh uraufgeführte sinfonische Werk nun im 3. Philharmonischen Konzert im Stammhaus der Landesbühnen Sachsen in Radebeul am Sonntagabend vorgestellt. „Zum Gedenken“ war das Konzert benannt und zusammen mit dem ebenso bedrückenden Orchesterwerk „Mahnmal für Lidice“ des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů gelang eine beeindruckende erste Konzerthälfte, in der der musikalische Ausdruck von Schmerz und Erinnerung im Vordergrund stand, wenngleich man angesichts beider Stücke erst einmal ein Bewusstsein entwickeln musste, dass angesichts der damals den Komponisten gegenüberstehenden, grauenhaften Ereignisse so etwas wie Musik überhaupt möglich erschien. In dem tschechischen Dorf Lidice hatten Nationalsozialisten 1942 in einem Vergeltungsakt die dortige Bevölkerung ausgelöscht, Martinů schrieb seine hymnische Trauermusik bereits aus dem amerikanischen Exil.

Für die Musiker der Elbland Philharmonie war dieses Konzert keinesfalls gewöhnlich – neben den auszuspielenden emotional extremen Momenten gab es auch viele technisch anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen. Hartmanns komplexe, in fünf Sätzen auch erstaunlich geschlossen wirkende Partitur begnügt sich nicht mit den Trauerfarben der Klage, er zeichnet verschiedene Ebenen oft in kontrapunktischer Gleichzeitigkeit, die einem expressionistischen Gemälde gleich einen harten Strich erfordern, aber viele Perspektiven und Deutungen zulassen. Das einmalige Hören erschloss, zumal im akustisch fragwürdigen Raum, auch dem versierten Konzerthörer kaum alle Verästelungen der Musik, und auch das Orchester konnte trotz größtem Engagement nur bis zu einem bestimmten leistbaren Punkt der Umsetzung vordringen. Das instrumentale Toben in der Mitte des Stücks ist zwar offenkundig chaotisch oder in einem altbegrifflichen Sinn „kakophonisch“, doch die gleichzeitig durchscheinende Organisation der Klangmassen wirkt wie ein kontrolliertes Aufbäumen, wie ein unabdingbares Beieinanderhalten der Sinne, wo doch „draußen“ sich schon alles im Chaos verliert. Genau an diesem Punkt entfaltet Hartmanns Musik ihre Aktualität, sind wir aufgefordert, hinzuhören und uns selbst zu positionieren. Eine direktere, intensivere Ansprache in Tönen erlebt man in einem Konzert selten.

Bitter war an diesem Abend festzustellen, dass sich dafür gerade einmal rund achtzig Zuhörer interessierten, was schon fast einer kulturellen Verwahrlosung gleichkommt, in die sich die Ablehner freiwillig begeben. Ein kulturell beschlagener Mensch sollte doch erst recht nicht nur die eigenen Bequemlichkeiten samt Lustprinzip bedienen, sondern alle Sinne für die Bereicherung, das Weitergehen in der eigenen Entwicklung oder schlicht für ein überraschendes Musikerlebnis öffnen. Für den Trost und die Lebensfreude stand dann das Werk der zweiten Konzerthälfte exemplarisch, und man spürte in Antonín Dvořáks 6. Sinfonie D-Dur manches Freispielen auf der Bühne, was dem Urmusikantischen der böhmischen Musik entgegenkommt, manchmal dann aber zu wünschender Präzision im Wege steht. Ekkehard Klemm versuchte da auszubalancieren und vor allem mit viel Lebendigkeit eine Interpretation zu gestalten, die die ansteckend positive Charakteristik des nur im zweiten Satz leichte Melancholie aufblätternden Werkes hervorhob. Im mit saftigen Klängen schön ausgehörten 1. Satz wie auch in der vorwärtsdrängenden Stretta des Finales gelang dies am besten.

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