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Ins Unsagbare weisend

Sofia Gubaidulinas „O komm, Heiliger Geist“ in der Frauenkirche uraufgeführt

Unzweifelhaft ist die Komponistin Sofia Gubaidulina eine der großen, wichtigen Stimmen der Musik unserer Zeit. Ihre Residenz bei der Sächsischen Staatskapelle in der laufenden Konzertsaison ermöglichte nun das intensive Kennenlernen ihres Werkes. Am Sonnabend kam es in der Frauenkirche zur Uraufführung von „O komm, Heiliger Geist“ für Sopran- und Basssolo, Chor und Orchester, eine geistliche vokalsinfonische Komposition, die inaltlich eng mit dem Pfingstfest verbunden ist.

Das neue Werk ist ein erster fertiggestellter und zudem der finale Teil eines in der Entstehung befindlichen großen Oratoriums, das sich vor allem in Vertonung der Verse des heiligen Augustinus dem Thema Frieden widmet. „O komm, Heiliger Geist“, weist in seiner knapp viertelstündigen Dauer eine frappierende Geschlossenheit auf, das durch die Konzentration auf die Texte des Pfingsthymnus und einen Ausschnitt aus einem Augustinus-Gebet entsteht, von Gubaidulina mit äußerst klaren, direkt treffenden Klangsymbolen umgesetzt, die keinerlei Chiffrierung oder Vorgeschichte benötigen, der Hörer ist von Anfang an „mittendrin“.

Die Klanglinien verdeutlichen hier nicht nur das unerbittliche Voranschreiten der Zeit; sie sind auch dem menschlichen Atem gewidmet, dem Lebenshauch, der sich mal aufgeregt wirbelnd, mal in den Solostimmen (eindringlich gestaltend: Sophie Karthäuser, Sopran und Georg Zeppenfeld, Bass) nachsinnend gibt. Die harmonische Ebene ist hingegen Chor und Bläsern vorbehalten, deren „O komm“-Rufe sich mit fast Brucknerscher Wucht ins Ohr meißeln. Diese Assoziation entsteht nicht nur aufgrund der Wagner-Tuben im Orchester, sie scheint auch legitim, weil Gubaidulina hier ebenfalls einen geistlichen Bedeutungsraum öffnet, der ins Unsagbare weist. Die Bitte nach der Heilung durch den Heiligen Geist formt Gubaidulina zu Beginn des Stückes in flehendem, vom Chor stockend vorgetragenem Gestus. Später verwandelt sich dieses Bitten organisch und rauschhaft in den mit Atem-Glissandi vorangetriebenen Höhepunkt und erreicht im Schlussakkord himmlische Sphären.

Der musikalische Leiter der Uraufführung, der estnische Dirigent Andres Mustonen, war Sofia Gubaidulina schon ein wichtiger Partner in der Entstehungsphase der Komposition, ihm ist das Werk auch gewidmet. Die Uraufführung mit dem exzellent deklamierenden MDR-Rundfunkchor (Einstudierung: Nicolas Fink) war von nachdrücklicher Wirkung. Zu hoffen ist, dass dieses dem Frieden gewidmete Opus Summum Gubaidulinas auch zur Gesamturaufführung nach Dresden findet.

Dem kurzen neuen Stück folgte ein ungleich längeres, ebenso gewichtiges Werk: Franz Schuberts letzte Messe in Es-Dur wirkte nach dieser zeitgenössischen Äußerung stark wie aus einer anderen Welt kommend. Es ist gerade bei diesem Werk unabdingbar, dass die nicht auf den ersten Blick zu entdeckenden Besonderheiten von den Musikern herausgearbeitet werden, damit das Stück nicht zu konventionell oder langatmig wirkt. Genau diese Genauigkeit ließ die Aufführung aber leider vermissen, mehr noch: die im Laufe des Stücks aufgehäuften Mängel, die ursächlich bei Mustonens kaum einen Grundpuls vermittelnden, immer wieder zu lautem, blockhaftem Musizieren einladendem Dirigat zu finden waren, hinterließen einen betrüblichen Eindruck.

Zwar versuchten die Staatskapelle Dresden und der MDR-Rundfunkchor Leipzig Mustonens ausladende Gesten zu deuten und ein dem Kirchenraum angemessenes Spiel zu entwickeln, doch von innerer Gestaltung der Motive oder einer zielgerichteten, charakteristischen Form der Messteile war wenig zu spüren – zwei Mal brach gar in den Chorfugen das Gefüge fast auseinander. Nicht ganz passend zusammengestellt im Timbre der Stimmen, aber durchaus erfreulich gestalteten die Solisten ihre Partien, zu den bereits Genannten gesellten sich Marie-Claude Chappuis (Mezzosopran) sowie Steve Davislim und Lothar Odinius (Tenor) hinzu. Am überzeugendsten agierte der MDR-Rundfunkchor in leiseren Passagen im Credo, doch Mustonens fordernd-massive Grundhaltung verhinderte trotz dem Bemühen aller Kräfte eine Interpretation, die dem Werk irgendwie gerecht werden würde.

* Programmheft des Konzertes zum Nachlesen
* Direktlink zum Konzert (audio) beim MDR
* Das Konzert ist bis zum 26.4. im MDR Webchannel „Classic in Concert“ verfügbar (Loop…)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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