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Fliegen lernen

Simeon ten Holts „Canto Ostinato“ im Coselpalais

In der Konzertreihe „Musik zwischen den Welten“ kam es zu einem ganz besonderen Jahresendkonzert. Der „Ausklang“ wurde wörtlich genommen und gestaltete sich über 80 Minuten Dauer in einer großen Schleife des Repetitiven: Simeon ten Holts „Canto Ostinato“ ist eine Komposition, die der Minimal Music zuzuordnen ist. Wie viele andere Werke dieser Gattung spielt das Stück mit der Freiheit und der Festlegung, mit Aufführungsdauern, Mustern und der Wiederholung als Phänomen. Minimal Music ist heutzutage schon selbstverständlich geworden, viele Film-Dokumentationen nutzen die Musik von Phil Glass und Steve Reich, insbesondere der kaum geistig genutzte Bereich der „Hintergrundmusik“ freut sich über repetitive Muster, die dem Hirn eine vordergründige Entspannung bieten, da leere Repetition keinerlei Botschaften vermittelt. Wohl dem, der sich bei diesen Wiederholungsgewittern also bequem zurücklehnen kann. Im Coselpalais sorgte eine fabelhafte Interpretation zweier Pianisten für den rechten Drive des Werkes, das in den Niederlanden bereits Kult-Charakter besitzt, aber kaum einmal über die Grenzen dringt. Stefan Eder (Dresden) und Johannes Wohlgenannt Zincke (Wien) ließen sich auf die Wegstrecke des ununterbrochenen Musikbandes ein, das übrigens keineswegs eintönig wirkte, die Muster changierten immer wieder leicht und bildeten so den Nährboden von dramatischen Prozessen oder Beruhigung. Dabei durchlaufen Interpreten wie Zuhörer verschiedene Phasen von Konzentration und Hin-Hören vom kompletten Sich-Beruhigen bis hin zum innerlichen Aufwühlen. Insgesamt bleibt ten Holts Stück eine Übung im Weg-Fliegen der Gedanken, denn die geistige Konzentration auf den pianistischen Vollrausch führt zu nichts außer der Erkenntnis, dass man es an den Flügeln mit zwei souveränen Sachwaltern dieser Musik zu tun hat. Die vom Veranstalter hergestellte Konzert-Situation mit Vollbestuhlung und den Flügeln in der Mitte hat Konsequenzen: die Atmosphäre bleibt „klassisch“ und außer Augenschließen und Beine ausschütteln passiert in den 80 Minuten im Auditorium nicht viel. Ein vom Klavierklang und der Komposition geprägtes und daher stark begrenztes Frequenzspektrum, das über eine große Zeitspanne pausenlos ins Zuhörerohr gepustet wird, entfaltet dennoch interessante körperliche Wirkungen. Ob man dies „eigenwillige Schönheit“ (Programmheft) nennen mag, sei dahingestellt. „Zutiefst bewegend“ kam das Werk ebenfalls nicht an, denn eine kompositorische Aussage fehlt den nackten Klavierläufen. Melodie und Harmonik verbleiben im Banalen, sodass ab und an das bewusste Hin-Hören zur Qual wird. Dass Meditation einhergehen soll mit der Entleerung des Geistigen, bleibt insbesondere im musikalischen Bereich eine diskutierenswerte These, die sich gerade anhand dieses faszinierenden Konzertes wieder neu stellte.

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