Brodelnde Notenströme

Sinfonietta Dresden musizierte „Schnittpunkte“ online

Wenn ein aus freien Musikerkräften in Dresden bestehendes Kammerorchester eine eigene innovative Konzertreihe veranstaltet, die ein- bis zweimal im Jahr mit einem ansprechenden, alle Kräfte fordernden Programm aufwartet, so ist es um so bedauerlicher, wenn ein solches Konzert gleich zweimal der Pandemie zum Opfer fällt. So geschehen mit dem neuen „Schnittpunkte“-Konzert der Sinfonietta Dresden, das vom April in den November verschoben wurde, um nun erneut das Damoklesschwert über sich baumeln zu sehen.

Doch mit intensiven Bemühungen der kooperierend agierenden Musikhochschule konnte in letzter Minute eine Lösung gefunden werden, die der Musik zum Erklingen verhalf und sogar gut zweihundert interessierte Zuhörer online anlockte: kurzerhand wurde die Hochschulveranstaltung, die ja als Prüfung für die teilnehmenden Studierenden ohnehin durchgeführt wurde, gestreamed und man konnte sich auf diese Weise samt einer moderierten Einführung einen anregenden Abend zu Hause verschaffen. Für die Musiker, die sich am Montagabend im Konzertsaal der Musikhochschule Carl Maria von Weber sichtbar anstrengten wie vor einem vollen Haus war es eine dankbare Möglichkeit, das bislang im Stillen Geprobte nun auch zur Vollendung zu bringen. In der im letzten Jahr gestarteten Konzertreihe „Schnittpunkte“ erklingen neben allen fünf Klavierkonzerten des Jubilars Ludwig van Beethoven weitere Stücke aus der Beethovenzeit, eine Uraufführung einer oder eines Studierenden der Musikhochschule sowie eine zeitgenössische Komposition aus den Partnerstädten Dresdens.

Der Zeitgenosse Beethovens war diesmal Johann Gottlieb Naumann, dessen Sinfonie D-Dur von Alexander Ebert dirigiert wurde – ein munteres Werk ohne große Schwierigkeiten, das in seiner filigranen, offen liegenden Struktur dem Ensemble gut in den Fingern lag. Ganz anders „terra pinguis“ des Österreichers Johannes Maria Staud, einem Komponisten, der als einer der ersten „Capell-Compositeure“ der Sächsischen Staatskapelle öfters in Dresden zu hören war. Das Stück weist noch hinter die Klassik zurück in Sphären der barocken Alchemie, gemeint ist mit „terra pinguis“ die „fette, schwefelige Erde“ aus den Schriften von Johann Joachim Becher. Solcherlei Naturerkundungen setzten bei Staud einiges an musikalische Inspiration frei und Phänomene wie Wärme, Hitze, Verbrennung, Verdampfung konnte man nun in dem phantasievollen Stück plastisch verfolgen, denn Dirigent Jan Arvid Prée hauchte dem erst im letzten Jahr uraufgeführten Werk ordentlich Leben ein, mehr noch: da war ein Brodeln zu spüren, das zwar verbal schwer darstellbar ist, sich aber in immenser musikalischer Energie verlautbarte. Auch die Sprachäußerungen der Musiker wirkten völlig natürlich dem dramatischen Fluss der Musik zugehörig, wie ein Lava- oder Feuerstrom wälzten sich die Noten immer wieder um.

Danach sorgte die Uraufführung von Jadwiga Maria Frejs „Solange es draußen weht“ für einige Beruhigung, da nun auch die Musiker im Saaldunkel spielten. Lichtlosigkeit und Wind waren im Werk selbst eher wenig erkennbar, vielmehr ging es wohl um Kommunikation der Instrumentalisten und am Ende auch um eine Art neu zu (er)findender Harmonie. Dionysos di Pantis behielt da die Übersicht vom Dirigentenpult aus und die Sinfonietta sorgte sich vor allem im ersten Abschnitt mit zwei schneidend hohen Geigenstimmen um eine packende Klangkultur.

Von dieser hätte man sich auch im abschließenden Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur von Ludwig van Beethoven eine Fortsetzung gewünscht, doch genau diese Übertragung gelang diesmal in die Welt der Wiener Klassik nur bedingt: von der südkoreanischen Solistin Jieun Kim vernahm man eine sehr korrekte, stets freundliche Interpretation, die sich nur in der Kadenz im 1. Satz einmal einen Ausflug in ein beinahe freiheitliches Musizieren erlaubte, und Georg Christoph Sandmann als musikalischer Mentor des Abends wollte hier die sichere „terra“ wohl auch nicht verlassen, das Ergebnis war ein etwas zähes, eskapadenfreies Klangbild, wobei man sich aber jederzeit über die klangschöne Ausgestaltung im Orchester freuen durfte.


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Wie im echten Leben?

AuditivVokal öffnet (s)einen musikalisch-virtuellen „Schützraum“

Es ist ja schon ein bizarrer Vorgang geworden, dass man sich Online-Konzerte brav in den Kalender einträgt und fast schon ritualisiert Kaffee oder Gebäck zum Bildschirmgenuss bereitstellt. Sind dann noch die anderen 14 Arbeits-Tabs im Browser geschlossen und der auditive Echtraum vom Garten (da spielen, noch ganz analog, tatsächlich Kinder im Sandkasten) durch Fensterschließen gedimmt, steht der ruckelfreien Übertragung der zeitgemäßen Klänge aus dem Äthernet von AuditivVokal nichts mehr im Wege.

Derweil hat man am Freitagabend im Konzertsaal der Musikhochschule ebenfalls Vorbereitungen getroffen: die Gäste sind da, nämlich gut zwei Dutzend Bildschirme, die in den Reihen Platz genommen haben und dementsprechend für die pünktlich um 19.30 Uhr bei youtube und facebook streamenden Sängerinnen und Sänger das Publikum bilden. Ganz wie im echten Leben? – Nein, einiges ist bewusst schräg und schief in diesem zweistündigen „Webzert“ auskomponiert, denn mit der Entwicklung des Formates erfolgt beim Ensemble auch gleich die Hinterfragung, kaum dass der Tracker zählen konnte, wie viele denn überhaupt beigewohnt haben. Das Publikum, das – auch dies schon ein Kontinuum der überbordenden Streamangebote in Corona-Zeiten – brav im Chat die Darbietung goutierte, wurde vom Ensemble gleich einbezogen. Eher trocken dargeboten und im Saft der 60er-Jahre belassen war dabei die Wiederaufwärmung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“, der mit einer sehr viel extremeren Behandlung besser beizukommen gewesen wäre: das angekündigte Webmobbing verlief im literarischen Sande.

Die erwünschte Interaktion mit den Menschen „draußen“ an den Bildschirmen fand jedoch, wenn auch ein wenig unauffällig, in mehreren kurzen vokalen Uraufführungen von Alberto Arroyo, Amir Shpilman, Richard Röbel, Fojan Gharibnejad und Manuel Sánchez García zu Gefühlszuständen wie Hass, Verlangen oder Trauer Eingang – Zuhörer sendeten dazu kleine Soundclips über Whatsapp und Facebook-Chat. Glucksen, Zungeschnalzen und kehlige Geräusche waren da ebenso zu hören wie das Statement „Ich mag Gemüse“, ein seltsam reales Abbild von der Fülle an Interaktionen, die wir aus Chats und Kommentarspalten nur zu gut kennen, allerdings hier in eine kompositorisch ernsthafte Umgebung gebettet.

Bei den aus dem realen Fernsehen sattsam bekannten Einblendungen von Telefonnummern und Lauftexten fehlte eigentlich nur, dass es irgendwelche sinnlosen Gegenstände zu gewinnen gab, oder die Nummer selbst bloß eine vokale Abzocke war. Auch dies also ein Experiment, gar Satire, die bewusst in die Leere (!) des Schützraumes zu laufen verdammt war?

Der Schützraum von AuditivVokal ließ für die Zuhörer zwar offen, in welche Richtung er sich wirklich bewegen wollte. Jedoch wurde eine eher klassische Anordnung von Gesprächs- und Musikblöcken gebildet, die beinahe Erinnerungen an Alexander Kluges Bildungsfernsehen auf abseitigen Programmplätzen wachrief, außerdem konnte man eine fast schon stoische Vermeidung des Theatralischen und des Fails beobachten: eine wohlgeordnete Performance bloß?

Bleibt das absichtsvolle „ü“ im Titel, und damit die Musik von Heinrich Schütz, die mehr als 350 Jahre alt ist und trotzdem ihre Wirkung nicht verfehlt: der „Ruf in die Stille“, den AuditivVokal mit der Motette „Verleih uns Frieden“ in den ersten Corona-Wochen gen Dresden schickten und hier auch noch einmal gezeigt wurde, berührt in Harmonien, die zum Innehalten auffordern. Solcher Art Rückverwurzelung dient dem Verstehen der Vorwärtsbewegung, der wir mit Schütz, mit einem „alten Wissen“ sozusagen das passende Vokabular verleihen. Dann tun sich auch musikalisch neue Wege auf – eine Polyphonie in einer Hybrid-Komposition etwa, wie es die Kompositionsklasse des neuen Professors Stefan Prins an der Musikhochschule für dieses Konzert probiert hat.

Im Kollektiv haben die jungen Studierenden ihre sieben kurzen „Comprovisations“ mit Computer, Instrumenten und Stimme in immer neuen Übermalungen erstellt. Das Ergebnis ist durchaus spannend, wenngleich von der Persönlichkeit der Autoren seltsam entkörperlicht. Das Menschliche bleibt in der Stimme auffindbar, so auch bei Reiko Fütings „in allem frieden“, von AuditivVokal 2018 uraufgeführt und in dem neuen Projekt integriert. Am Ende bleibt weniger der Eindruck, einem Konzert beigewohnt zu haben (und auch dies nur fern-gesehen), sondern einem Ensemble, das sich mit jedem Projekt neu sortiert, neu befragt, sich und die Musik weiterdenkt. Das ist ein innovativer Nährboden, der erst die aktuellen Verschränkungen von Nähe und Ferne, Virtuellem und Realem auf das Diskurstablett hebt – mit offenen Ergebnissen.

Bei Youtube ist der Schützraum weiterhin begehbar:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=BveihTA2Sh0?start=1887]

 

 

 

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Die innere Welt erneuern

An den Dresdner Kunsthochschulen kehrt wieder Leben ein

Mit den ersten Lockerungen in der Corona-Krise wird seit dieser Woche schrittweise auch der Präsenzunterricht an den Dresdner Kunsthochschulen wieder möglich. Doch wie geht es den Studierenden und wie nehmen Sie die Brüche und Veränderungen ihres Studiums und der künstlerischen Ausübung wahr? Alexander Keuk hatte Gelegenheit, mit einigen von ihnen zu sprechen.

Eigentlich sollte jetzt schon auf der Probebühne der Dresdner Musikhochschule im Neubau an der Grünen Straße Tamino seine Pamina anflehen und Papageno dazu sein Lied auf der Flöte spielen. Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel „Die Zauberflöte“ wollten Studenten der Dresdner Musikhochschule aus eigener Initiative heraus erarbeiten und aufführen. Die Premiere im Wintersemester wird zwar weiterhin verfolgt, aber nun fanden sich die Sängerinnen und Sänger, die der Dirigierstudent Alexander Sidoruk zu Beginn des Projekts gewonnen hatte, vor Bildschirmen zu den Proben wieder und sind über die halbe Welt verstreut. Denn viele internationale Studierende waren zum Corona-Shutdown im März in den Semesterferien zu Hause in ihren Ländern und mussten es dann auch bleiben. Ein Opernquintett in einer Videokonferenz zu proben war dann auch eine ungewohnte Herausforderung für die Sängerinnen und Sänger, die aber natürlich diesen Strohhalm der Fortführung ihres Projektes annahmen.  Mittlerweile haben die Kunsthochschulen in Dresden einen eingeschränkten und den Maßgaben entsprechenden Betrieb wiederaufgenommen. Für freischaffende Künstler gibt es ja Möglichkeiten der Grundsicherung und Förderung, aber wie ist die Lage der Studenten?

Beschäftigt scheinen alle und äußern sich auch erfreut über die wieder aufflammenden, im Detail auch stark veränderten und natürlich von behördlichen Vorgaben geprägten Aktivitäten. Denn das Semester hat wieder begonnen, und sowohl die Musikhochschule als auch die Hochschule für Bildende Künste scheinen nach Aussage der Studenten ihre Schützlinge im behüteten Blick zu haben, was ebenso den Fortgang der Ausbildung als auch die Lebenssituation angeht – von höheren Gewalten wie den immer noch bestehenden Reiseschwierigkeiten abgesehen. Direkter Unterricht mit dem Hauptfachlehrer ist seit Montag an der Musikhochschule wieder möglich – Alexander Sidoruk geht von der Hoffnung aus, die Zauberflöte im Herbst auch wirklich aufführen zu können. Mit seinem Dirigierlehrer, Professor Ekkehard Klemm, findet der Unterricht ebenfalls online statt und aus den Nöten werden Tugenden: da das gemeinsame Klavierspiel im Dirigierunterricht hier nicht übertragbar sei, lerne er stattdessen nun viel Theorie und Hintergründe über das Fach, so Sidoruk, trotzdem sei die persönliche Kommunikation in der Musik unersetzbar.

Der Bariton Mykola Piddubnyk geht sogar einen Schritt weiter und glaubt, „dass wir nach dieser Pause alle noch besser und kreativer werden“. Man hätte auch Zeit gefunden, seine innere Welt zu erneuern. Erstaunlicherweise hört man im Gespräch mit den Studentinnen und Studenten viele dieser positiven, Hoffnung machenden Worte. Die Entschleunigung scheint ihnen ebenso wichtig zu sein, wie sich der Herausforderung zu stellen, völlig neue Aufgaben lösen zu müssen. Kreativ werden auch die Fachinhalte neu befragt und entwickelt. So berichtet die Mezzosopranistin Constanza Filler, dass etwa im Fach „Bühnensprechen“ die digitale Umsetzung in der konzentrierten Beschäftigung mit Hörbüchern und Audiofiles viel intensiveres Erforschen des Themas zulasse. Sorgen bereite ihnen eher die Zukunft, auch nach dem Studium, so Jiyeon Kang, der als Korrepetitor an der Zauberflöte mitwirkt. Dass sich die Kulturlandschaft verändern wird, sagen alle einmütig und schwanken zwischen Ungewissheit und Neugier.

An der Hochschule für Bildende Künste sind die Studierenden des Studiengangs Bühnen- und Kostümbild bislang in der Praxis vernetzt gewesen und probierten sich dort in kleinen und großen Projekten aus – die fielen nun komplett aus oder sind eingefroren. Viele Studierende jobbten an den großen Theaterhäusern, auch diese Nebeneinkünfte sind nun weg. Die Praxis innerhalb der Freien Szene wird in Zukunft schwieriger sein, so die Sorge der Bühnen- und Kostümbildstudentin Hanna Zeyer, nicht nur, weil manche dieser kleineren Bühnen nicht überleben werden, sondern auch die Diversität im Kunst- und Kulturbereich gefährdet scheint.

Sie lobt aber auch ihre Hochschule – für Studierende in Not hätte der Freundeskreis der Hochschule einen Hilfefonds aufgelegt und die Professorinnen und Professoren sind bemüht, nicht nur den Unterricht fortzusetzen, sondern die Studierenden seien auch explizit aufgefordert, sich mit der Situation und ihrer Reflektion künstlerisch auseinanderzusetzen, so Zeyer. Dazu zählt etwa die neue Initiative „Hier und Jetzt“.  Lisa Marie Baier, die aktuelle Stipendiatin des Förderprogramms „The  Artist’s Advocat“, das die HfBK Dresden und die Staatlichen Kunstsammlungen  gemeinsam im Rahmen des Deutschlandstipendiums vergeben, möchte die  künstlerische Atelier-Arbeit im Stadtraum sichtbar machen. Auf fünf digitalen Stelen, die sich rund um das Residenzschloss und das Gebäude der Kunsthochschule befinden, werden im Wechsel Arbeiten von 23 Dresdner KünstlerInnen auf Bildschirmen präsentiert. Über einen QR-Code, der über das Smartphone eingescannt werden kann, erfahren Interessierte Zusatzinformationen über die Autorinnen und Autoren.

Die an der Hochschule ebenfalls studierende Malerin Anna Ditscherlein sagt, sie habe nach dem Shutdown zunächst zu Hause weitergearbeitet. Es gab für sie mehr Zeit, sich intensiver auch theoretischen Arbeiten und Recherche zu widmen. Dennoch sei sie froh, dass nun wieder die Hochschule an der Brühlschen Terrasse belebt sei – „man merkt ja auch, wenn das Haus wieder lebendig wird, und der persönliche Austausch mit den Kommilitonen hat mir schon gefehlt“, sagt sie. Anna Ditscherlein teilt sich ein Atelier mit drei weiteren Künstlern, die Abstände in den großen Räumen sind den Regeln konform.

Auch Hanna Zeyer kann wieder die Ausstattung der Hochschule für ihre Theaterarbeiten nutzen, der bisherige Online-Unterricht sei aber ebenso wertvoll und intensiv gewesen, meint sie. Über eine kritische und echte künstlerische Auseinandersetzung mit der Krisen-Phase zu berichten, ist es wohl noch zu früh – erst einmal sind alle froh, wenn die ersten Lockerungen ermöglichen, dass man seine Freunde wie auch seine Lehrer an der Hochschule wiedertreffen kann und dann auch selbst wieder einen Beitrag zum Wiederaufflammen der Kultur drinnen im Lehrgebäude wie auch unbedingt draußen in der Gesellschaft leisten darf – die künstlerische Auseinandersetzung, so das Fazit dieser Gespräche mit den Studierenden, ist jedenfalls nicht versiegt, im Gegenteil: sie trägt viel Hoffnung und Energie in sich.

 

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Ein ganz besonderer Moment

Vier neue Orchesterwerke werden uraufgeführt – Hochschule für Musik startet Kooperation mit dem MDR-Sinfonieorchester

Sie kennen das: plötzlich haben Sie einen Einfall für eine mindestens sechzigminütige Sinfonie, mit allem, was das Instrumentarium hergibt, und schreiben diese sofort auf. Zack – ein neuer Beethoven ist geboren! Eventuell studieren Sie auch schon an einer Musikhochschule, weil sie drei weitere Sinfonien in der Schublade liegen haben und die Tante einst sagte: der Junge ist begabt! Doch da liegen nun die Noten und schweigen Sie (und alle anderen, die vielleicht von Ihnen etwas hören wollen) beharrlich an. Und genau da setzt die Dresdner Musikhochschule mit ihrer neuen Kooperation mit dem MDR-Sinfonieorchester an. Denn die Profis aus Leipzig kommen nämlich nun tatsächlich nach Dresden und spielen unter der Leitung von Ekkehard Klemm alles, was da gerade frisch getrocknet auf den Notenblättern steht – später soll es auch gesendet werden. Nicht weniger als vier Uraufführungen erklingen am Dienstag im Konzertsaal der Musikhochschule und um mit dem jüngst verstorbenen großen Komponisten Hans Zender zu sprechen: ein fröhliches „Happy new ears“ wird für spannende Hörerfahrungen sorgen.

Brahms‘ Dritte hören Sie noch oft genug, aber was verbirgt sich hinter „Tiere lachen, jammern und spielen“ von Kai Kobayashi oder hinter dem kryptischen Titel „C-JP6Y4“ von Po-Wei Tseng? Das sind zwei von vier Stücken, die im Workshop am Dienstag erklingen. Zudem lernen die Zuhörer die Komponisten auch im Gespräch kennen und erfahren so aus erster Hand, was das Besondere der Stücke ist und vielleicht auch, wie man die oft als schwierig empfundene Sprache der Neuen Musik für sich selbst erschließen kann. Für die Komponistinnen und Komponisten ist eine solche Aufführung, noch dazu von einem absolut kundigen Profiorchester gespielt, nicht nur eine große Ehre, sondern auch nicht zu ersetzende Hilfestellung. „Der Moment, in welchem man das erste Mal das Geschriebene hört, sieht, erlebt – wahrnimmt – ist ein ganz besonderer.“, so Elias Jurgschat, dessen Stück „Besichtigung“ am Dienstag ebenfalls aufgeführt wird. Und noch etwas kommt hinzu: kein digitales Orchester kann die Nuancen im Atmosphärischen oder einen plötzlichen Impuls der Musiker in einer Probe abbilden, da können sich Hans Zimmers Programmierspezialisten mit digital erzeugten Orchestern noch so gütlich tun.

Das Konzert ist der Beginn einer Kooperation der Musikhochschule Dresden mit dem MDR-Sinfonieorchester und gleichzeitig ein wichtiger Baustein in der aktuell wachsenden Aktivität mit zeitgenössischer Musik an der Hochschule: Seit 2019/20 kann der Masterstudiengang Neue Musik gewählt werden, die beliebten Short Concerts (Alte und Neue Musik gegenübergestellt) werden ebenso fortgeführt wie die „Briefmarkenopern“ der Studierenden und es bestehen enge Kooperationen mit den Hochschulen in Bern und Salzburg. Für die Instrumentalisten und Dirigenten gibt es weiterhin einige Möglichkeiten, mit Orchestern der Region zu üben oder den Abschluss zu absolvieren – neben bestehenden Partnerschaften mit der Dresdner Philharmonie, der Elblandphilharmonie oder den Orchestern in Annaberg und Teplice hat Sinfonietta Dresden gerade seine neue Reihe „Schnittpunkte“ im Konzertsaal der Hochschule etabliert, in der der Jubilar Beethoven regelmäßig auf Uraufführung(en) trifft. Hinzu kommt das Institut für Neue Musik an der Hochschule samt KlangNetz Dresden, deren Ensembleverbund ebenfalls Grenz- und genreübergreifend immer wieder kreative Impulse innerhalb und außerhalb des Hauses setzt. Der Konzertabend am Dienstag ist also für und mit der Zukunft gestaltet, und eine gute Gelegenheit, einmal „das Neue“ in der Musik, was immer das auch sein mag, im Live-Erlebnis kennenzulernen.

  • Dienstag, 10.12.2019, 19.30 Uhr, Hochschule für Musik Dresden, Konzertsaal, Wettiner Platz/Schützengasse, Werke von Studierenden der Kompositionsklassen der HfM Dresden: Kai Kobayashi („Tiere lachen, jammern und spielen“), Ji Hyun Yoon („…inneres Gefühl … für Orchester“ 2019), Po-Wei Tseng („C-JP6Y4“) und Elias Jurgschat („Besichtigung“), MDR Sinfonieorchester, Dirigent: Prof. Ekkehard Klemm
  • Eintritt: 8,00/erm. 6,00 Euro / Kombitickets an allen Reservix-Vorverkaufskassen, unter www.reservix.de und an der Abendkasse.

 

 




Luft(ballons) von anderen Planeten?

Sinfonietta Dresden eröffnet „Schnittpunkte“-Konzertreihe

Runde Geburtstage und Jubiläen gibt es im Musikleben Dresdens ja derzeit so einige, denn viele Ensembles und Institutionen haben sich gerade in den ersten Jahren nach der Wende neu zusammengefunden. Sinfonietta Dresden feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen, sorgt in der Stadt stetig für Aufmerksamkeit mit innovativen eigenen Programmen und ist auch fester Bestandteil der Kirchenmusik. Im Januar gab es bereits ein erstes Festkonzert, nun folgte am Bußtag ein zweites, das schon vorausblickenden Charakter hatte: mit den „Beethoven Schnittpunkten“ eröffnet Sinfonietta Dresden eine neue Reihe, die in ebenso bewährter wie doch nun im Konzert auch wieder Ohren und diesmal auch Augen öffnender Weise Altes und Neues gegenüberstellt und damit den Horizont weitet.

Ludwig van Beethovens Klavierkonzerte sind darin ein fester Block – alle fünf Konzerte hat sich die Sinfonietta für die nächste Zeit vorgenommen – passend zum Jubiläumsjahr des Komponisten 2020. Die  Reihe findet in enger Kooperation mit der Musikhochschule statt, die nicht nur Saalgastgeber ist, sondern auch aus den Reihen der Studenten und Absolventen die Dirigenten und Pianisten stellt. Beethoven bleibt nicht unkommentiert: Werke von Dresdner Komponisten seiner Zeit stehen ihm ebenso zur Seite wie Neues von jungen Komponisten aus der Hochschule und jeweils ein musikalischer Beitrag aus einer Partnerstadt von Dresden.

Dementsprechend war das Konzert am Mittwochnachmittag im Konzertsaal der Musikhochschule von reichlicher Abwechslung gekennzeichnet; auch logistisch war es für das Ensemble eine ordentliche Herausforderung. Regelrecht eingepackt von zwei kurzen Sinfonien des heute kaum mehr bekannten Dresdner Hofkapellmeisters Joseph Schuster, der um 1790 in der Stadt wirkte, war das Stück „streets of a human city“ der aus Wrocław stammenden Komponistin Agata Zubel (geb. 1978). Schusters Sinfonien stehen für einen zweckmäßigen musikalischen Alltag, der einem Gusto huldigte, das hof- und dresdenspezifisch in dieser Zeit für wenig Aufruhr sorgte. Ein zurücklehnendes sächsisches „Nuja“ stellte sich da fast automatisch beim Hören ein, das den Stücken kaum widersprach, sie aber auch nicht auf falsche Sockel hob. Trotzdem widmete sich Sinfonietta Dresden unter Leitung von Alexander Sidoruk und Xincao Zhang diesen Stücken ebenso liebevoll wie dem Stück von Zubel, das unter Leitung von Ekkehard Klemm dann als Deutsche Erstaufführung erklang.

Das wiederum war etwa sechs bis acht Planeten von Schuster entfernt und musste auch im Hören erst erschlossen werden, weil es verschiedene bekannte und auch beendet geglaubte Avantgardismen ziemlich munter miteinander verband, so dass man sich irgendwo zwischen Free Jazz, Happening und einer dringlichen instrumentalen Poetik wiederfand. Das Stück war zudem hervorragend und mit kammermusikalischem Spannungsanspruch interpretiert. Ärgerlich jedoch war, dass während dieser Aufführung und auch später vom Rang aus einige Zuhörer andere mit ihrer plappernden Unruhe störten und damit auch das Engagement der Musiker und das Anliegen des Konzertes nicht würdigten.

Nach der Pause gab es eine Uraufführung der in Dresden studierenden koreanischen Komponistin Sowon Yun. Sie spielte in „Hin… und her“ mit der Realität einer Orchesteraufführung und der generellen An- und Abwesenheit eines Klangs – mit ruhiger Übersicht von der Dirigentin Katharina Dickopf geleitet. Das Spiel der Sinfonietta mit Objekt-Luftballons samt bunter Lichtregie katapultierte das Stück auf die Grenze zwischen ästhetischem Hinterfragen und einem Effektexperiment, die musikalischen Materialien waren jedoch auf wenige, zu unklar formulierte Einzeltöne und Stimmungen reduziert.

Doch neue Musik muss auch nicht immer Antworten geben, sie darf auch mal eine Pandora-Kiste oder einen mit Zeug vollgestellten Dachboden (die Assoziation gab es bei Zuber durchaus) öffnen. Am Ende wurde die Erwartungshaltung „Entspannung mit Beethoven“ gottlob auch torpediert, denn der frische Zugang, den Ekkehard Klemm mit der Sinfonietta Dresden wählte, zeigte gnadenlos die modernen wie lebendig-innovativen Qualitäten dieses ersten Konzertes auf. Hyojin Park (Klasse Prof. Winfried Apel) am Klavier wagte es allerdings zu selten, über ihr technisch ordentliches Schönspiel hinaus weitere Interpretationsräume zu öffnen. Es wäre noch das Sahnehäubchen für kommende Konzerte, wenn die noch studierenden Solisten den programmatischen Raum und die Atmosphäre des bereits Erklungenen als Möglichkeiten in ihre Beethoven-Sicht einfließen lassen würden. Die Vorfreude auf das nächste Konzert ist jedenfalls schon geweckt.

Foto (c) Alexander Keuk

 




Jörn Peter Hiekel erhält „Happy New Ears“-Preis 2019

„Happy new ears“ – das war einst ein Neujahrswunsch von John Cage an seine Freunde und Zuhörer, wie immer bei Cage mit einem Lächeln formuliert. Das Lächeln steht für eine Leichtigkeit des Genusses ebenso wie für den Ernst der Botschaft dahinter. 1991 nahm der Komponist Hans Zender den Satz auf und schrieb ein kleines, wichtiges Büchlein darüber, es war (s)eine Zeitverortung und gleichsam intelligente Möglichkeit auch für Nicht-Neutöner, sich im Dickicht von Postmoderne und Avantgarde zurechtzufinden.

Eine Initiative der von ihm gegründeten Hans und Gertrud Zender-Stiftung wurde dann ebenfalls „Happy New Ears“ genannt. Seit 2011 vergibt die Stiftung in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der musica viva und BR-KLASSIK des Bayerischen Rundfunks alle zwei Jahre eine mit dem Cage-Wort betitelte Auszeichnung: den „Happy New Ears“-Preis, aufgeteilt in einen Komponistenpreis und einen Preis für Publizistik zur Neuen Musik – am heutigen Freitag wurde er in München verliehen.

Hans Zender saß noch selbst in der Jury zum Komponistenpreis in diesem Jahr, bevor er am 22. Oktober 2019 verstarb – der Komponist Klaus Ospald wurde in diesem mit dem Preis ausgezeichnet. Den Preis für Publizistik zur Neuen Musik erhält der Musikwissenschaftler Jörn Peter Hiekel. Hiekel ist Professor an der Dresdner Musikhochschule und leitet dort das Institut für Neue Musik. Er engagiert sich in verschiedenen Verbänden und Akademien, leitet seit 2009 das Vermittlungsprojekt KlangNetz Dresden und hat im Jahr 2014 den erstmals verliehenen Sächsischen Lehrpreis erhalten. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen ragt das von ihm herausgegebene „Lexikon für Neue Musik“ (Metzler) und auch ein Band mit Schriften zur Musik von Hans Zender „Die Sinne denken“ (Breitkopf & Härtel) heraus.

 




Spaß mit Schostakowitsch

Junges Sinfonieorchester spielte Absolventenkonzert in der Musikhochschule

Kaum hat das neue Schuljahr begonnen, formiert sich am Sächsischen Landesgymnasium für Musik auch schon das Junge Sinfonieorchester in neuer Besetzung und hat am Mittwoch das erste Absolventenkonzert im Konzertsaal der Musikhochschule Dresden gespielt. Doch von Stress war da wenig zu spüren und die Zuhörer bekamen ein buntes und auch im Charakter positiv-freudiges Programm geboten. Was man meist nicht bei so viel leichter Muse nicht bemerkt, ist, dass ordentlich Arbeit dahintersteckt, bis man zur freien Entfaltung dieser Musik kommt.

Zunächst wurde aber gestimmt, und selbst das war diesmal konzertant inszeniert, denn der US-Amerikaner Edgar Varèse hat daraus 1947 ein satirisches Orchesterstück namens „Tuning Up“ gemacht. Einige Zuhörer unterhielten sich dann am Mittwoch auch prompt beim Kammerton der Oboe weiter und wurden damit Bestandteil des Stücks. Dirigent Gunter Berger gesellte sich erst später hinzu und musste die Wogen in den Instrumentalgruppen erst einmal glätten, die Zitat-Splitter aus Varèses eigenen Stücken, Beethoven und „Yankee Doodle“ kamen dabei gut über die Rampe.

Danach wurde es zunächst klassischer: Oliver Zschiedrich war der Solist in Ralph Vaughan Williams Oboenkonzert a-Moll, ein sanft dahinfließendes, melodiöses Werk, das der Solo-Oboe viel Können abverlangt. Nur ganz zu Beginn war noch ein bisschen Nervosität in der Darbietung dieses spätromantischen britischen Stücks, dann vertraute Zschiedrich seinem schönen Ton und traute sich auch die virtuosen Passagen mutig zu. Fast die größere Aufgabe lag im gar nicht so einfachen Satz des Streichorchesters, das sich über das Schuljahr hinweg aber sicher auch zusammenfindet.

Annabell Hertrampf (Sopran) und das Junge Sinfonieorchester Dresden

Die junge Sopranistin Annabell Hertrampf war neulich schon beim TU-Orchester zu hören, hier sang sie nun mit stilistischer Sensibilität eine Romanze von Franz von Suppé und eine Arie von Jacques Offenbach. Zuvor leitete Frank van Nooy das große Blasorchester mit einer Opernouvertüre, ebenfalls von Suppé. Damit waren im ersten Teil des Konzertes schon fast alle Instrumentengruppen der Schule präsentiert, und die Bühne war zumeist prall gefüllt. Da musste Gunter Berger am Dirigentenpult mehrfach in die Knie gehen, um bei den vielen enthusiastisch Musizierenden auch einmal ein Pianissimo hervorzulocken.

Das war beispielsweise im zweiten Teil bei Pedro Iturraldes „La Pequeña Czarda“ auch notwendig, damit der Solist Karl Ferdinand Hase sich optimal mit dem Saxophon entfalten konnte. Erstaunlich auch, wie sicher und souverän er mit der Partitur umging und so gemeinsam mit dem Orchester den tänzerischen Gestus bewahrte; das Stück war auch im Orchesterpart sehr überzeugend und mitreißend dargeboten. Damit war das schon ein gutes Präludium zum Abschlusswerk des Konzerts von Dmitri Schostakowitsch. Diesmal erklang keine der bekannten großformatigen Sinfonien, sondern eine Suite für Varieté-Orchester.

Es ist eine Sammlung von Tänzen, die aus Film- und Bühnenmusiken Schostakowitschs stammen, letztlich Handwerksübung und Geldverdienst, aber optimal unterhaltend schon allein wegen der hervorragenden Instrumentierung. So kam das Publikum auch in den Genuss des berühmten „Walzer Nr. 2“, den Stanley Kubrick für seinen Film „Eyes Wide Shut“ verwendet hat – er ist in der Suite enthalten. Aber auch die anderen Sätze wurden hier, nun mit Akkordeons, Gitarre, Saxophonen und reichlich aktivem Schlagwerk im Orchester ergänzt, mit guter Vorstellung für den Charakter und einem packendem Finale musiziert.

Fotos (c) A. Keuk




Krasse Klangflächen

Landesjugendorchester Sachsen mit einer Erstaufführung von Gavin Bryars im Gepäck

Dass es heutzutage bei der Ausbildung junger Musiker auf einen besonders breiten Horizont der Musikerfahrung ankommt, klingt zunächst einmal selbstverständlich, doch beim vielen Üben und Vorspielen des berühmten „Repertoires“ gerät diese Flexibilität manchmal in den Hintergrund. Gut also, dass das Landesjugendorchester Sachsen, in dem sich die besten jungen Instrumentalisten der Region Jahr für Jahr für zwei Projekte zusammenfinden, sich meist einem Thema oder Motto verschreibt, das auf kreative Weise den Spielhorizont erweitert, die Talente und Fähigkeiten vertieft und auch noch das Publikum staunen läßt. Auch 2019 präsentiert sich das Ensemble wieder als lebendiger, sich immer wieder aus seinen Mitgliedern neu generierender Organismus und verbindet auf sympathische Weise (s)einen hohen Anspruch mit Spielspaß.

Ob sich die Jugendlichen das Motto „Tanz und Trance“ diesmal selbst ausgesucht haben? Die Definition von Trance als einem „dem Schlaf ähnlichen Dämmerzustand“ dürfte ja eventuell aus anderen Zusammenhängen bekannt sein… Nicht wirklich taugt eine solche Haltung jedoch für ein Sinfoniekonzert. Oder war gar das elektronische Musikgenre gemeint? Man war gespannt. Gleich beim ersten Stück war es jedenfalls mit schlafähnlichen Zuständen im Publikum im Konzertsaal der Musikhochschule am Sonntagabend vorbei, denn Jean Philippe Rameaus Tänze aus dem Ballett „Les Indes Galantes“ sprühen vor Lebendigkeit. Moment – nächster Zweifel, Barockmusik mit dem Landesjugendorchester? Aber natürlich! Und sogar mit 40 Streichern! Denn eine Aufführungspraxis muss nicht immer akademisch und staubtrocken-korrekt daherkommen, sondern kann auch einfach mal bedeuten, Rameaus herrliche Musik mit einem tollen, jungen Ensemble lebendig darzustellen. Vieles entfaltet sich da nämlich ganz von selbst, die Phrasierungen der Bläser etwa oder die Kunst, eben genau mit den vielen Streichinstrumenten doch gemeinsame Betonungen zu finden und viel aufeinander zu hören. Tänzerisch federnd nahm der Gastdirigent Christoph Altstaedt diese Suite, und schon hier glänzten in mehreren Sätzen fünf Schlagzeuger des Percussionsensembles Markkleeberg.

Die jungen Percussionisten waren dann mit ihren Mallet Instruments (Stabspiele wie Vibraphon, Marimba und Xylophon, dazu einige Gongs und Becken) die Stars des folgenden Stücks, das – man glaubt es kaum – als deutsche Erstaufführung erklang! Der 1943 geborene Brite Gavin Bryars schrieb das Concerto „New York“ im Jahr 2004 und bezog sich damit nicht auf die US-amerikanische Metropole, sondern auf einen gleichnamigen Weiler im britischen Lincolnshire. Das aber tritt alles in den Hintergrund, wenn das Stück beginnt, das aus einer einzigartigen Textur zwischen den sechs permanent spielenden Percussionisten und einem sanft begleitenden Orchesterensemble besteht – niemals auftrumpfend, aber immer in changierenden Flächen quasi im Unterwegs befindlich. Was Dozent Thomas Laukel da mit den Schlagzeugern vorbereitet hat, war absolut faszinierend – der jüngste der Sechsergruppe ist gerade zehn Jahre alt, und doch spielen alle zusammen im akustisch schwierigen Umfeld des Konzertsaals mit mehr als einem Dutzend Schlegeln und erzeugen so eine krasse Klangfläche. Trance? Vielleicht entsteht so etwas beim zweiten Hören, beim ersten Mal war man schlicht hellwach und begeistert.

Der Abschluss des Konzerts geriet dann wieder klassisch – mit Ludwig van Beethoven. Beethoven und Tanz? Was um 1800 in Wien als Ballettmusik offeriert wurde, gehörte ja nicht unbedingt zur künstlerischen Avantgarde. Aber Altstaedt und das Landesjugendorchester griffen zur 7. Sinfonie A-Dur und die ist nun in ihren Charakteren vom schreitenden 2. Satz bis hin zur übersprudelnden Freude des Finales absolut „tanzbar“. Dass man mit einem einzigen Stück von Beethoven niemals in einem Leben fertig ist, hat einmal Herbert Blomstedt gesagt, und vielleicht ist das auch der passendste Kommentar zu dieser Aufführung, die von unbändigem Musizierwillen, Konzentration und Spaß aller geprägt war, aber im Finale auch risikoreich mit Altstaedts angezeigtem Turbotempo knapp über einige Grenzen des Machbaren in der Homogenität und Intonation schritt. Und trotzdem liegt genau in dieser Erfahrung im Hören wie im Spielen doch vielleicht das Wertvolle, was wir suchen, wenn wir uns von der Repetition des Immergleichen endlich einmal entfernen wollen: den perfekten Tanz braucht niemand.

 




Viel Forschung, wenig Ausdruck

„Komponieren in Sachsen“ mit Werken von Lydia Weißgerber und Albert Breier

Sollte man jemals für die Reihe „Komponieren in Sachsen“ des Sächsischen Musikbunds in Kooperation mit KlangNetz Dresden und der Hochschule für Musik ein Logo suchen, so würde sich das Unendlichkeitszeichen anbieten – auch nach zwölf Jahren Doppelporträt gehen den Veranstaltern nicht die Protagonisten aus. Selbst doppelt im Doppel porträtierte Komponisten würde man ja nunmehr verzeihen, weil sich in zwölf Jahren künstlerische Handschriften weiterentwickeln. Und wenn wir gerade beim Träumen sind: etwas persönlicher, etwas experimenteller und spritziger darf es auch wieder werden, selbst in der Nischennische des zeitgenössischen Gesprächskonzerts am akademischen Ort.

Dafür sind aber auch die Musiker und Komponisten selbst in der Gestaltung mitverantwortlich – gewisse Grenzen sind gesetzt, da es sich um Kammermusik und studentisches Engagement handelt. Was aber immer gelingt, ist ein zumeist aktueller, oft überraschender Einblick in die Werkstatt der Porträtierten. Die manchmal gar nicht so einfache Situation, als Komponist auf der Bühne im Gespräch mit Moderator Jörn Peter Hiekel noch Fragen zu beantworten und Sinniges über das oft Intimste, Innerste – nämlich die eigene Musik – verbal zu äußern, ist außerdem eine Herausforderung, die je nach Persönlichkeit schwankende Ergebnisse hervorbringt, und natürlich in zehn Minuten ebenfalls ein Schlaglicht bleiben muss.

Am Mittwochabend, diesmal im Rahmen der Tonlagen Hellerau veranstaltet, gehörte das Podium der Dresdner Komponistin Lydia Weißgerber (*1975) sowie Albert Breier (*1961), einem seit 2014 in der Stadt lebenden Komponisten und Schriftsteller. Die Entscheidung, der Aufführung von „Wohnen in fernen Landschaften“ (1997) von Breier zu Beginn gleich die verbale Einführung voranzustellen, sortierte zwar das Verständnis, hatte aber den Nachteil, dass man sich nicht mehr unvoreingenommen auf die Musik einließ. Das war in dem Fall fatal, da die von Breier geschilderten ästhetischen Einflüsse etwa der Malerei beim Hören zu stark als Folie im Hinterkopf wirkten, die Musik aber eigentlich pur aus sich heraus wirkte. Die spannende Besetzung mit vier Klarinetten, Streichquartett und Klavier nutzte Breier in seinen Potenzialen absichtlich nicht aus. Im permanenten Ineinanderfließen aller Elemente vermied er klassische Entwicklungen, Kontrastbildungen oder Dynamik oberhalb eines forte. Damit bewahrte er seiner Musik eine Eigenartigkeit, die nicht einfach zu fassen ist. Intonatorische und agogische Schwierigkeiten des Ensembles im leise-langsamen Ungefähren erschwerten die Aufnahme im Hören, so dass man sich am Ende ohne einen konzisen Ausdruck haltlos fühlte, und man muss Breiers Worten widersprechen: leise Musik zwingt nicht automatisch zum Hinhören.

Im zweiten Konzertteil – und das ist nun ausgerechnet das, was wohl beide Komponisten in den unterschiedlichen Stücken einte – war die Abstraktion auf der Ausdrucksebene hinderlich für ein wirklich sinnliches, erfreuendes Konzerterlebnis, was man leider auch den Instrumentalisten (Einstudierung und Leitung: Tomas Westbrooke) am Ende ansah. Viel hingetupftes Material wurde etwa in Weißgerbers Uraufführung „Für Oboe, 2 Celli, 2 Kontrabässe, Harfe und Toy-Piano“ ausgebreitet und zunächst erfreute man sich auch an der raumgreifenden Klanglichkeit dieser absolut ungewöhnlichen Besetzung. Doch die im Gespräch – muss dafür denn immer ein Lehrer oder Mentor herhalten? – herbeizitierte Polyphonie bewegte sich kaum einmal von der Stelle und war recht trocken im Klangergebnis. Viel lebendiger hingegen wirkte Weißgerbers ebenfalls uraufgeführtes „aus der Hand geben“ für Violine, Akkordeon und Klavier, da sie hier die geschriebene Musik „fluten“ ließ, auf der Suche nach der musikimmanenten Kraft des Fortgangs – mit überraschenden Ergebnissen! Dass diese Suche auch im fertigen Stück weiterhin einen Prozess schildert, ist unbedingt erlaubt. In dem tiefen Forschen der beiden Komponisten lag vielleicht auch eine Schönheit des Tuns verborgen, die an diesem Abend noch nicht für jeden Zuhörer verständlich war und im klingenden Resultat seltsam verblasste.

 




Implodierende Partituren

Gesprächskonzert mit Brian Ferneyhough an der Musikhochschule Dresden

Musikstudenten kennen das: ein Konzert steht an, und es fehlt noch etwas neue Kammermusik im Programm. Der beflissene Pianist schleppt eine Partitur aus der Bibliothek an. Man schlägt die Noten auf und erstmal klappt die Kinnlade herunter: Alles schwarz! Irgendwo zwischen Spielanweisungen, Klammern und Akzenten verbergen sich tatsächlich zu spielende Noten. Und doch: wer die Noten wieder zuschlägt und die Aufführung eines Werkes von Brian Ferneyhough erst einmal ablehnt, muss nichts falsch machen. Manche Entscheidung bedarf neben dem vorausgesetzten Talent Mut und Reife oder den richtigen Zeitpunkt im Leben. Die „Erfahrung Ferneyhough“ ist mit Sicherheit etwas Besonderes, und allein dafür dürfte das gute Dutzend teilnehmender Musiker des von KlangNetz Dresden veranstalteten Gesprächskonzertes am Donnerstag in der Musikhochschule schon dankbar sein.

Der 1943 geborene britische Komponist gilt als Hauptvertreter einer „Neue Komplexität“ genannten Strömung der zeitgenössischen Musik. Alle Parameter der Musik werden hier bis in gerade noch vom Hirn vorstellbare Details und Möglichkeiten ausgereizt. Damit bekommen Ferneyhoughs Werke einen oft konstatierten „nervösen“ Zustand an einem Grenzraum des Musikmachens. Sie läßt konventionelle Hör- und Interpretationsvorstellungen schnell hinter sich und eröffnet eventuell einen Raum in der neu entstehenden Lücke, im „Dazwischen“, wie sich auch der Komponist im Gespräch mit Jörn Peter Hiekel in ähnlichen Worten an seine eigenen Werke verbal heranzutasten versuchte. Es war interessant zu beobachten, dass selbst das Gespräch zwischen den musikalischen Darbietungen am Donnerstag einen Grenzfall darstellte, weil Ferneyhough nie Antworten auf Fragen gab und sich in seinen Wortbeiträgen ähnlich verschachtelte, wie seine Stücke oft selbst vom Ohr erst einmal freigegraben werden müssen.

Als der Komponist dann in der Beschreibung zum Ensemblewerk „La Chute d’Icare“ (Der Sturz des Ikarus) von einem gedachten „V“ in der Musik erzählte, das den Beinen des kopfüber ins Wasser gestürzten Ikarus nachempfunden war, war dies von einer plötzlich heftigen Bildhaftigkeit, dass man erschrak. Zuvor vermisste man diese Art von gewohntem oder gewöhnlichem Haltegriff in den präsentierten Stücken – trotz nachfolgender Erläuterungen des Komponisten, die um das Gestische, Schattenhafte, um Konkretes und Improvisiertes kreisten wie Planeten in einem eigenen Sonnensystem, das einfach passiert, aber nichts will. Wer dennoch der Abstraktion einen Glanz abzugewinnen vermochte, war in dem Konzert richtig aufgehoben. Wirklich interessiert waren nur wenige, und man mag auch angesichts der vorgestellten Stücke, deren jüngstes bereits über dreißig Jahre alt war, fragen, ob die Uhr der neuen Musik sich nicht längst über die Marke Ferneyhough hinaus weitergedreht hat. Eine musikalische Gegenüberstellung oder Gegenposition hätte der insgesamt trockenen Gesamtatmosphäre ebenfalls gutgetan. Auch was Ferneyhough heute denkt und komponiert blieb offen, stattdessen näherte man sich liebevoll-nostalgisch den „Klassikern“ an.

Staunenswert waren die Darbietungen allesamt, da die Interpretinnen und Interpreten mit fast meditativer Körperruhe den quasi implodierenden Partituren begegneten, so dass das Querflötenstück „Cassandra’s dream song“ durch Clément Michelot beinahe eine Sanftheit zurückerhielt, die man nicht zuallererst mit dem Komponisten verbinden würde. Tomas Westbrooke konnte „Intermedio alla Ciaccona“ für Violine Solo als gestisches Puzzle formulieren. Die aus der notwendigen Fokussierung heraus entstehende emotionale Kälte der Musik wirkt dann aber irgendwann nur noch belanglos, auch in den folgenden „Four Miniatures“ für Flöte und Klavier (Isabelle Thiele, Flöte und Kei Sugaya, Klavier) war jede einmal angesetzte Energie schon im Folgetakt erstickt, trotzdem war auf engstem Raum zu präsentierende Ausdrucksspektrum der Flötistin enorm. Hier und im abschließenden Ikarus-Stück, das Albrecht Scharnweber an der Solo-Klarinette mit einer reifen Flugleistung versah, vollbrachten die jungen Musiker absolute Höchstleistungen, worüber man am Ende glücklicher war als über den Aspekt des Scheiterns, der einen nach dem Abend noch nicht losließ.