Eine ernste Gefahr

Die GEMA wird auf ihrer anstehenden Mitgliederversammlung in München Reformpläne zur Abstimmung bringen, die für Komponisten und Interpreten der sogenannten „ernsten Musik“ eine existenzielle Gefährdung bedeuten. Die Annahme der Reformpläne würde nichts anderes als eine Auflösung der Sparte E-Musik und gleichzeitig damit eine Ungerechtigkeit in der Verteilung von Vergütungen bedeuten. Schon jetzt zeigt die Kommunikation der GEMA, dass es im Diskussionsprozess Intransparenz gab, somit also eine Institution, die eigentlich vollumfänglich im Sinne ihrer Mitglieder arbeiten und walten müsste, offenbar andere Interessen voranstellt.

Die Stimmen des Protestes sind deutlich, dabei stellen die Vertreter der Sparte E-Musik gar nicht die Reform in Frage als vielmehr den aufoktroyierten Prozess einer Rasur der Sparte E-Musik – sie würde in einem Inkasso-Markt eingegliedert werden, der die Leistungen der Komponisten unangemessen honoriert. Ihre Preisgabe würde nichts anderes als eine Zerstörung des vielfältigen zeitgenössischen musikalischen Schaffens bedeuten.

Die Sächsische Akademie der Künste hat – wie viele andere Hochschulen, Akademien, Verbände und Künstler:innen dazu eine Stellungnahme verfasst, die einen deutlichen und fundierten Widerspruch beinhaltet. Verfasst vom Vizepräsidenten der Sächsischen Akademie der Künste, Prof. Ekkehard Klemm wurde sie im Auftrag der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste bereits im Januar 2025 an den Vorstand der GEMA versandt.

„Es geht darum, Kunstmusik als eigenständige Art des Denkens, Komponierens und künstlerischen Schaffens zu schützen.“, so Prof. Ekkehard Klemm. Und weiter: „Die GEMA war bisher trotz aller bereits stattgefundenen Umstrukturierungen und Diskussionen noch immer eine Institution, in der der Solidaritätsgedanke eine nicht unwesentliche Rolle spielte und jenes Schöpferische, das sich nicht umstandslos vermarkten lässt, sondern die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihrer Kultur sucht, bewusst unterstützt und gefördert wurde.“ Geopfert wird mit der Reform nicht weniger als ein Kunstverständnis und damit hat der derzeitige Prozess auch eine immense gesellschaftliche Relevanz: „Die Anerkennung und der Schutz von schöpferischer Individualität und Unabhängigkeit, hochprofessioneller Qualifikation, Spezialisierung, Innovationskraft, Neugierde und Mut (…) gehört neben vielen anderen Kriterien zu jenen, die auch andere Genres maßgeblich beeinflussen und zum Selbstverständnis einer offenen und demokratischen Gesellschaft beitragen.“, so die Stellungnahme.

Ab dem 13. Mai findet die Mitgliederversammlung der GEMA in München statt. Diesem Organ obliegt es, die derzeitigen Umwälzungspläne in vernünftige, für alle annehmbare Bahnen zu lenken und nicht ein Genre gegen andere, oder noch offensichtlicher – Kunst gegen Kommerz unwiderruflich auszuspielen. Die Differenzierung in einer Solidargemeinschaft, die auch an anderen Stellen der Gesellschaft mehr und mehr ausbleibt zugunsten falscher und rücksichsloser Nivellierung, gehört zu den Grundpfeilern demokratischen Denkens und Handelns. Sie sollte auch in der GEMA vorherrschendes, ethisches Prinzip bleiben.

Der volle Wortlaut des Schreibens ist hier im Anhang zum Download beigefügt und von vielen namhaften Mitgliedern der Akademie und weiteren Unterstützern mit unterzeichnet.

SADK Stellungnahme GEMA

Weitere informative Beiträge zum Thema:
* Kommentar von Dr. Charlotte Seither, Komponistin, Mitglied im Aufsichtsrat der GEMA
* SWR-Gespräch mit Moritz Eggert, Präsident des Deutschen Komponist-innenverbandes e. V.
* Kommentar von Helmut Lachenmann, Komponist, in der FAZ

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

 




Wien Modern steht in den Startlöchern

Vergangene Woche stellte das Team von Wien Modern die kommende 37. Festivalausgabe vor, und man könnte im Hinblick auf ein besonders außergewöhnliches Konzert des Jahrgangs auch mit dem Satz starten „Da haben wir den Salat!“ – Doch dieses Motto war dann wohl doch zu waghalsig, weshalb man sich auf die soziale Komponente sowohl in der Küche als auch in Uraufführungslaboratorien besann. Ergo heißt das Festival nun: Und jetzt alle zusammen | Neue Musik für Publikum und findet wieder einen ganzen Monat lang, vom 30.10.–30.11.2024 statt.

Ob sich meine beiden Assoziationen dazu, nämlich zum einen die Partyatmosphäre von zusammen gegrölten Schlagern und zum anderen ein gefühlt ewig dauerndes Auseinandernehmen eines Kompositionspuzzleteils im Probenprozess, der genau mit diesem Satz vom Dirigentenpult meist sein aufatmendes Ende findet, einlöst, werden wir erleben. Ein erstes Hossa! löste schon einmal das Auftauchen von Manos Tsangaris Konterfei aus – der Komponist wird sich mit Arnold Schönberg einige Klinken und Aufzüge in die Hand geben, um den Jubilar würdig und theatralisch ins 21. Jahrhundert auf (oder nieder?) fahren zu lassen.

Gefeiert wird ordentlich in diesem Festivaljahrgang, denn neben Schönberg wäre da der fünfzigste (!) Geburtstag des Arditti Quartetts, der mit einem Zyklus MIT Schönberg und ikonischen Werken des 20./21. Jahrhunderts von ihnen selbst begangen wird. Das sollte man ebensowenig verpassen wie den Schwerpunkt zu Beat Furrer, der zum 70. Geburtstag u.a. mit seinem bereits in Salzburg erfolgreich aufgeführten Musiktheater „Begehren“ einmal mehr das Festival bereichern wird.

Weiterhin verriet Wien Modern im ersten Pressegespräch einige Highlights: „In vielen Momenten des heurigen Festivals darf sich das Publikum auf neue Hörmöglichkeiten freuen – und teilweise sogar an den Aufführungen mitarbeiten. Wien Modern stellt sich in einem Jahr voller Jubiläen, Ur- und Erstaufführungen – die Frage, warum wir nicht viel öfters darüber reden, wie Musik Menschen zusammenbringt. Bereits das Eröffnungskonzert am 30.10. mit dem RSO Wien lässt bei Stücken von Nina Šenk (die slowenische Komponistin ist Erste-Bank-Preisträgerin und auch mit weiteren Konzerten im Festival präsent), Iannis Xenakis und John Luther Adams die Standards der klassischen Sitz- und Rollenverteilung zwischen Musik und Publikum hinter sich.

 

Am Tag darauf spielen die Wiener Symphoniker unter erstmaliger Leitung von Elena Schwarz eine österreichische Erstaufführung von Clara Iannotta in Gedenken an den im März überraschend verstorbenen Peter Eötvös. Abseits der Sitzreihen großer Konzersäle ist man etwa bei den feministischen Begehungen der Wohnung von Architektur-Pionierin Margarete Schütte-Lihotzkys, dem mehrteiligen Stationentheater Arnold Elevators von Manos Tsangaris und dem transakustischen Spaziergang entlang der zukünftigen Straßenbahnlinie 12 mit IFTAF gemeinsam unterwegs. Bis hin zum Festivalabschluss am 30.11.2024 in der Oberen Ausstellungshalle des MAK. Hier wird Enno Poppe mittels seiner neuen Versuchsanordnung an zehn Drumsets den Bogen der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des musikalischen Zusammenspiels schließen.“

Freuen wir uns also auf einen zeitgenössischen Herbst in Wien mit 59 Produktionen, 57 Komponistinnen und 77 Komponisten, 50 Ur- und 12 österreichische Erstaufführungen, 28 Spielstätten in 14 Bezirken. Das detaillierte Programm von Wien Modern ist online unter www.wienmodern.at veröffentlicht (hier ein Überblick), der Vorverkauf läuft bereits.

 




Persönlicher Rückblick

„Marek Janowski – Die Möglichkeit einer gewissen Distanz“, ein neues Buch über den Dirigenten Marek Janowski, versammelt sieben ausführliche und persönliche Gespräche und erschien pünktlich zu seinem 85. Geburtstag.

Der Dirigent Marek Janowski feierte am 18. Februar seinen 85. Geburtstag – ein Alter, in dem sich viele Menschen schon lang und berechtigt zur Ruhe gesetzt haben. Dank einer guten Gesundheit und auch mental ungebrochener Fitness ist Marek Janowski weiterhin auf den Bühnen der Welt präsent, kürzlich erst wieder bei der Dresdner Philharmonie zum Gedenktag-Konzert mit Dvořáks „Stabat Mater“. Mit Bedacht hat er erst im letzten Jahr den Chefposten in Dresden niedergelegt, auch um, wie er selbst einmal betonte, einen guten zukünftigen Weg freizumachen für das Orchester in allen seinen Belangen.

Marek Janowski im Kulturpalast Dresden, Foto Björn Kadenbach

Nun ist er ein gern gesehener und vom Dresdner Publikum umjubelter Gast und spricht gewissermaßen natürlich in seinen musikalischen Interpretationen. In den letzten Jahren gab es aber auch einige Gespräche mit dem Journalisten Carsten Tesch, die weiter gingen als ein verabredetes Standard-Interview und über einen längeren Zeitraum und an verschiedenen Wirkungsorten des Dirigenten geführt wurden.

Für das von Claudia Woldt nun herausgegebene Buch „Die Möglichkeit einer gewissen Distanz“ hatten sich zwei Gesprächspartner gefunden, die über das Interesse harmonieren, und man hört Marek Janowski auch an, dass er bestimmte Verläufe in seinem Leben, Zusammenhänge oder auch Phänomene über das Gespräch gerne rekapitulieren oder auch zuspitzen mag. Das bestätigt den Eindruck eines absolut kommunikativen Menschen, den man von Marek Janowski über die Jahre erhält – nicht im Sinne eines Geplappers, das läge ihm denkbar fern, sondern im Sinne einer erhellenden Unterhaltung, die sich auch oft nonverbal in seinen Proben und Konzerten ausdrückt. Die Wahl dieser Form, und nicht einer belletristisch-biographischen Annäherung an die Persönlichkeit Marek Janowski, die es im übrigen schon gibt und ebenso lesenswert ist (Wolfgang Seifert, „Marek Janowski – Atmen mit dem Orchester“, 2010), führt zu Ergebnissen, die zwar in bestimmter Hinsicht auch bekannt sind, was etwa das Handwerk der täglichen Arbeit mit einem Orchester oder mit Partituren angeht, doch Janowskis dezidierter Umgang damit fasziniert auch im Verbalen.

Denn seine nunmehr über sechzigjährige Erfahrung mit dem Korpus Orchester, der ja letztlich aus Menschen und somit vielen gemeinsam schaffenden Individuen besteht, erzeugt Haltungen und Blickwinkel, die weit über ein bloßes Hinstellen und Organisieren der Musik hinausweisen. Schon im ersten Gespräch, das in seiner letzten Chefdirigenten-Wirkungsstätte Dresden stattfand, geht es sehr schnell um psychologische Feinheiten in der Probenarbeit, um Blicke, Kontakte, Gesten und Wirkungen. Vielfach geht es auch im Dirigentenjob um Beziehungen und Entscheidungen, ob nun im Ringen um einen Takt in der Probe oder bei Verhandlungen um Konzerte oder Finanzen. An vielen Stellen blitzt der Politiker Janowski hervor, man fühlt sich aber eher an den Urgrund des Begriffes erinnert, denn Politik beschreibt ja nichts anderes als eine zielführende Regelung eines Gemeinwesens, und mehr als einmal hat Janowski, der beispielsweise beim Orchestre Philharmonique de Radio France über 16 Jahre amtierte, nicht nur zur Reifung eines Klangkörpers beigetragen, sondern auch zuvor oder währenddessen zu dessen Rettung gegen alle möglichen politischen Widerstände.

Dass man zu bestimmten Zeiten und vor bestimmten Menschen, denen offenbar Kultur und erst recht Musik gar nichts mehr galt dann mit einem Orchester, für das man verantwortlich zeichnet und Ziele im Kopf hat, sich wie ein Don Quijote vor den Windmühlen fühlen musste, erlebte Janowski ja nicht zuletzt in seiner ersten Amtszeit in Dresden, als ihm ein vernünftiger Saal für die Philharmoniker ausgeschlagen wurde. Von Resignation sind diese Gespräche jedoch weit entfernt, Janowskis wacher Geist verharrt auch in erinnernden Anekdoten nicht in einer Verklärung, sondern es gibt immer Bezüge zur Gegenwart und Konstanten, die sich auch im Musikalischen niederschlagen, so etwa seine fast magnetisch an- und abstoßende Hinwendung zur Oper, die im Fall Wagner ja beispielsweise in weltweit akklamierte konzertante Ring-Aufführungen mündete.

Und natürlich kommt auch der typisch trockene Janowski-Humor nicht zu kurz, denn mit der Herkunft aus dem Wuppertal der Nachkriegszeit bekommt man nicht nur das Herz auf dem richtigen Fleck mit, sondern auch eine „Schnauze“, die manchmal sehr direkt Dinge formuliert, für die etwa ein Wiener drei Sätze höflichsten Umweg braucht. Insofern ist die Entscheidung, dieses Buch auch als Podcast zur Verfügung zu stellen, nicht nur für Nichtleser spannend, man bekommt sozusagen die Einsichten und Haltungen auch stimmlich unterfüttert, zudem enthält der Podcast zwei zusätzliche Episoden aus Paris und Köln. Zusätzlich zeigen auch die im Buch abgedruckten schwarzweißen Fotos aus den letzten Jahren die Persönlichkeit des Dirigenten auf ganz eigene, intensive Art.

Mit dem Titel „Die Möglichkeit einer gewissen Distanz“ wiederum eröffnet einen ganzen Kosmos bei Janowski, der sich sowohl auf ein Gespräch, eine musikalisch gewinnbringende Arbeit oder schlicht einen interessanten Gegenstand beziehen mag – möglicherweise liegt in dieser Formulierung ein Credo des Künstlers Janowski. Auch dieser Artikel könnte nun sehr lange das neue Buch besprechen und auseinandernehmen, aber hält nun ebenfalls den Appetit in der gewissen Distanz – lesen und hören Sie selbst!

Marek Janowski – Die Möglichkeit einer gewissen Distanz
Schott Verlag Mainz, 1. Auflage, 2024, 178 Seiten, 24,40 Euro

zum Podcast bei Spotify

 

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.




Eine wahrhaft heilsame Unruhe

„Arnold Schönberg & Karl Kraus“ – Neue Ausstellung im Arnold Schönberg Center Wien

Sie sind beide große Denker und herausragende Kulturpersönlichkeiten Wiens und sie sind im gleichen Jahr geboren – der Komponist Arnold Schönberg und der Literat Karl Kraus. Beide haben in ihrem Wirken das Neue, das Widersprüchlich-Experimentelle ebenso befördert wie auch den Diskurs, den Kontrapunkt. Und natürlich gratuliert Wien beiden Künstlern zu ihren Geburtstagen in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen.

Das Arnold-Schönberg-Center hat sich gleich einmal beide Persönlichkeiten vorgenommen. Wenig offengelegt wurden bisher die Schnittpunkte und Verbindungen. In der neuen Ausstellung „Arnold Schönberg & Karl Kraus“, die vom 17. Januar bis zum 24. Mai im Center am Schwarzenbergplatz gezeigt wird, kann man 115 Exponate betrachten, die Manuskripte, Schriften, Gemälde und Zeichnungen, aber auch Briefe und Fotografien umfasst und somit nicht nur den engeren Zirkel um Komponist und Literat zieht, sondern auch die Netzwerke in beide Richtungen, Musik wie Schrift und Sprache betrachtet.

Zudem gibt es reizvolle Überschneidungen, da sich Schönberg auch als Schriftsteller (und Maler) betätigte, und etwa in Kraus Arbeitszimmer ein Porträt von Schönberg hing. Trotz gegenseitiger Achtung hat Schönberg Kraus nie vertont (seine Schüler hingegen mehrfach), und in Kraus‘ berühmter Schrift „Die Fackel“ ist nur einmal ein Schönberg-Text erschienen. Im brieflichen Dialog und im wachen Interesse für den jeweils anderen zeigt sich jedoch beider scharfer Geist: „Die beiden Jubilare einte ein unausgesprochenes Verstehen in künstlerischen und gesellschaftlichen Belangen, ein gemeinsames ethisches Programm, das auf Wahrheitsanspruch in allen Bereichen der Kunst abzielte.“, so das Schönberg-Center.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=ceVKIw1CfAw?start=5&feature=oembed&w=500&h=281]

Wegkreuzungen von Schönberg und Kraus über insgesamt drei Jahrzehnte werden in der Jubiläums-Ausstellung abgebildet und musikalische Beispiele und Stimmen lassen die Welt zwischen Fin de Siècle und Zwischenkriegsgesellschaft aufleben.

Zur Ausstellung erscheint außerdem die Publikation »Arnold Schönberg & Karl Kraus« von Kuratorin Therese Muxeneder, in welcher die Geistesverwandtschaft dieser beiden maßgeblichen Impulsgeber der Wiener Moderne erstmals beleuchtet wird (mit kommentiertem Briefwechsel und Zeitzeug:innenstimmen). Der Komponist Ernst Krenek erinnert in einem im Buch publizierten Artikel daran, dass es „merkwürdig und bezeichnend sei, daß die österreichische Decadence im gleichen Jahre 1874 diese beiden Männer hervorgebracht hat, die bestimmt sind, in zahllosen Generationen eine wahrhaft heilsame und für die europäische Kultur entscheidende Unruhe hervorzurufen.“

 

Ausstellung „Arnold Schönberg & Karl Kraus“ im Arnold Schönberg Center

Öffnungszeiten
Montag – Freitag 10–17 Uhr
feiertags geschlossen
Sonderöffnungstag zum 150. Geburtstag von Karl Kraus: 28. April 2024, 11 – 19 Uhr

Tickets
Erwachsene: € 6
Senior:innen, Menschen mit Behindertenausweis/Assistenzpersonen: € 3
Besucher:innen mit Vienna City Card, Stadt Wien Vorteilsclub: € 4,80
Mitglieder von Club Ö1, Ö1 intro, mdw club: € 5,40

Freier Eintritt
Kinder und junge Menschen bis 26 Jahre
Kulturpass-Inhaber:innen
ICOM

 

Fotos (c) Arnold Schönberg Center Wien

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.




Vorzeitige Bescherung

Sir Donald Runnicles soll Chefdirigent der Dresdner Philharmonie werden

Es raschelte bereits im Oktober in der Dresdner Gerüchtekiste, aber da waren die Tücher noch nicht ganz trocken und Geduld war angesagt. Auf der Überholspur vor dem Christkind  beschenkt die Dresdner Philharmonie sich und die Stadt aber nun mit einem neuen Chefdirigenten. Es ist der aus Schottland stammende 69-jährige Sir Donald Runnicles, der seit 2009 an der Deutschen Oper Berlin als GMD wirkt. Dieses Amt, so teilte Runnicles im September mit, wird er 2026 niederlegen. Sir Donald Runnicles ist außerdem Künstlerischer Leiter eines Festivals im US-amerikanischen Jackson und Erster Gastdirigent des Atlanta Symphony Orchestra. Beim Scottish Symphony Orchestra der BBC war er von 2009 bis 2016 Chefdirigent und wurde dort zum Conductor Emeritus berufen. In Großbritannien wurde er vielfach ausgezeichnet und bekam 2020 den Titel des Knight Bachelor verliehen.

Als Dirigent ist er sowohl in der Sinfonik wie auch in der Oper tätig und steht für ein außerordentlich breites Repertoire zwischen Mozart und der Avantgarde, das in der Vergangenheit auch einige Ur- und Erstaufführungen (John Adams‘ „Doctor Atomic“) sowie Wiederentdeckungen umfasste. Einen Schwerpunkt mag man bei Runnicles, der in den letzten Jahren übrigens auch gern gesehener Gast der Staatskapelle Dresden war, in der Spätromantik sehen; er besitzt außerdem eine besondere Expertise für britische Musik aller Couleur und der Musik der ersten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Vertragsentwurf wird in Kürze dem Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden zur Beschlussfassung vorgelegt. Vorgesehen ist, dass er das Amt in der Saison 2025/26 antritt und für fünf Spielzeiten übernimmt. Bereits ab der kommenden Saison 2024/25 soll er die Dresdner Philharmonie als designierter Chefdirigent leiten. Runnicles und die Philharmoniker gingen schon auf Tuchfühlung und so freut sich der künftige Chefdirigent auch auf die Zukunft: „Als ich vor einem Jahr zur Dresdner Philharmonie kam, war ich sofort gefesselt von der Schönheit und dem hervorragenden Klang des Konzertsaals. Und das setzte sich beim Orchester fort: Ich bin auf eine exzellente musikalische Qualität, auf großes Vertrauen und eine Art des Zusammenspiels getroffen, wie ich sie vorher kaum irgendwo erlebt habe.“

Die Chemie scheint beiderseitig zu stimmen, denn wie Orchestervorstand Robert Christian Schuster betont, sei das Orchester „beeindruckt, wie zugewandt und gleichzeitig souverän er uns von seinen musikalischen Vorstellungen überzeugt hat.“ Ein Frohlocken gibt es natürlich auch von Seiten der Intendanz der Dresdner Philharmonie und von der Stadt, denn nicht nur wäre nun eine Planungssicherheit wieder gegeben, die Philharmonie bewahrt sich auch vor einer allzu langen cheflosen Zeit, die Erreichtes in Frage gestellt hätte und Neues in ungewisse Zukunft verschoben hätte.

Annekatrin Klepsch, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur, Wissenschaft und Tourismus teilte mit, Runnicles stehe „für höchstes künstlerisches Können und eine feste Verankerung in der internationalen Musikszene“. Was Runnicles vorhat und wie er das hervorragend von Janowski ‚intonierte‘ Orchester in eine auch gesellschaftlich herausfordernde Zukunft begleiten wird, das ist nun die spannende Frage, der man sich erwartungsvoll stellen darf und die man auch stellen muss – denn ein toller Saal allein macht noch keine Philharmonie. Für Details wird man die Spielzeitvorstellung 2024/25 abwarten müssen, doch Runnicles zeigt sich schon startklar: „Ich bin überzeugt, dass ich gemeinsam mit diesem enorm engagierten Orchester Programme entwickeln und Konzerterlebnisse realisieren kann, die den hervorragenden Ruf der Dresdner Philharmonie weiter festigen und ausbauen. Dazu werden sicher auch internationale Tourneen, konzertante Opern und andere, ganz besondere Projekte beitragen. Schon jetzt steht fest, dass wir am 13. Februar 2025 Benjamin Brittens „War Requiem“ spielen werden – das ist mir als Brite und als Britten-Verehrer ein sehr wichtiges Signal für ein gemeinsames Erinnern.“

Beim Aufbruch in neue Zeiten trifft Runnicles auf ein bestens bestelltes Feld, das allerdings guter Pflege bedarf. Dass er hier auf ein durchaus begeisterungsfähiges Publikum treffen wird, dürfte ebenso unbestritten sein wie sein Können. Zu wünschen ist den Dresdnern eine vor allem zeitgemäße Persönlichkeit, die Musik und Menschen in der Stadt zu verbinden weiß, aber gleichzeitig auch die Profilierung des Orchesters nicht nur zu halten vermag, sondern auch mit eigener, ausdrucksstarker Handschrift bereichert. Noch in dieser Saison kann man Runnicles live am Pult der Dresdner Philharmonie erleben, am 1. und 2. März 2024 stellt er Werke von Maurice Ravel und Claude Debussy Alexander Skrjabins visionärer Tondichtung „Promethée“ gegenüber – das klingt nach einem vielversprechenden und vielfarbigen Auftakt.

 

(Text abgedruckt in den Dresdner Neuesten Nachrichten, 21.12.2023)

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

 




Adventskalender 2023

Pardon, in diesem Jahr bin ich etwas spät dran, aber möglicherweise kann man ja bei einigen Kalendern auch die ersten Türchen noch öffnen, so dass man nun mindestens sechsfachen Spaß hat. Hier ist sie also, die traditionelle und unkonventionelle Kalenderschau bei mehrlicht.
Statt Kerze und Räuchermännel habe ich mal wieder ein Adventsfoto von einem Ort beigefügt, wo ich auch in dieser Jahreszeit am liebsten wäre – ihr seht dort einen Teil der Sextener Dolomiten.
In diesem Jahr bin ich auch in den Links minimalistisch unterwegs und nehme nur die Kalender auf, die ich weiterhin interessant finde und auch selbst immer mal anklicke. Gerne sendet mir aber wieder Eure Tipps! Und nun viel Vergnügen!

Kultur & Classics
* bei BR Klassik darf man dieses Jahr Weihnachtslieder erraten und erhält im Glücksfall einen tollen Gewinn.
* concerti hat wieder seinen beliebten klingenden Adventskalender

Wien & Österreich
* jeder in Wien kennt den Vorteilsclub vor allem für Veranstaltungen aller Art – und natürlich gibt es im Vorteilsclub-Adventskalender weitere Highlights
* austria.info bietet jeden Tag ein Stück Österreich im Kalender
* mehr Wien-orientiert ist natürlich der vienna.at Kalender
* 1000things hat nicht nur Tausende Tipps für Österreich und Wien, sondern auch einen Pop-Up-Kalender
* und auch beim falter gibt es natürlich wieder einen Kalender

Dresden
* der Neustädter Advent ist wieder besonders vielseitig
* tatsächlich hat der Dresdner Kammerchor dieses Jahr einen Adventskalender auf der Instagram-Seite, natürlich mit feinster Vokalmusik und es gibt sogar Tickets hinter einigen Türchen…
* …und für mehr feine Musik öffnet man am besten noch das Türchen bei der Frauenkirche Dresden.

und sonst:
* das Adventsquiz der SZ / Süddeutsche Zeitung

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

 




Durchgestartet

Von Dresden in die Welt – Petr Popelka wird Chefdirigent der Wiener Symphoniker

Wenn man nach langem Studien, vielleicht vielen Stationen in kleineren Ensembles und Stadtkapellen als Instrumentalist eine Stelle in einem so herausragenden Orchester wie der Staatskapelle Dresden erlangt, dann – so sagen manche –  hat man ausgesorgt. Man spielt auf seinem geliebten Instrument Oper und Konzert und geniesst wunderbare Musikerlebnisse, die Erfüllung des Lebenstraums ist da für viele perfekt. Doch es gab und gibt auch immer wieder Künstlerpersönlichkeiten im Orchester, die vielleicht gerade durch die Qualitätsansprüche und die Kommunikation mit den anderen Musikern erst recht ihre kreativen Potenziale entdecken und tatsächlich noch anderes Terrain entdecken wollen. Beispiele dafür gibt es viele, Cellist Jan Vogler etwa ist Intendant der Musikfestspiele, Isang Enders entschloss sich zu einer solistischen Karriere, und Gaetano d’Espinosa leitet heute am Haus erfolgreiche Opernproduktionen.

Der in Prag geborene Kontrabassist Petr Popelka landete nach seinem Studium in Freiburg schon mit 23 Jahren in der Staatskapelle Dresden. Im Gespräch erzählt er von diesen wertvollen Erfahrungen in jungen Jahren, erwähnt aber auch, dass er auch komponiert, Klavier spielt und immer den Traum zu dirigieren hatte. In Dresden konnte er dazu erste Schritte unternehmen: Im neu entwickelten Format „Kapelle 21“, das sich in kammermusikalischen Formationen der zeitgenössischen Musik widmete, leitete er Konzertabende und betont im Gespräch die Unterstützung seiner Musikerkollegen bei seinen Vorhaben, die quasi noch im geschützten Raum der Kapellumgebung stattfanden.

Popelka nahm ein Urlaubsjahr und dann entwickelten sich die Dinge rasant – nach einem Dirigierwettbewerb erhielt er die Anfrage des Norwegischen Rundfunkorchesters Oslo, die gerade einen neuen Chefdirigenten suchten. „Manchmal war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und die Position in Oslo war wunderbar, ich wurde sehr freundlich aufgenommen.“ Nach Gastdirigaten in seiner tschechischen Heimat interessierte sich dann auch das Prager Rundfunkorchester für den charismatischen Dirigenten, 2022 wurde er auch dort zum Chefdirigenten ernannt. Damit legte Popelka den Kontrabassbogen vorerst zur Seite, und 2020 war in Dresden – zumindest im Orchester – Schluss. Längst weiß der geneigte Leser, dass Popelka der Staatskapelle Dresden weiterhin eng verbunden ist und etwa mit Dmitri Schostakowitschs Oper „Die Nase“ 2022 im Graben der Semperoper in Dresden einen großen Erfolg feierte.

Popelka lebt in Prag, sieht sich aber mit vollem Herzen als Europäer. So kann er auch die unterschiedlichen Mentalitäten seiner Orchester gut beschreiben, denn während die Norweger mit hohem Respekt und Freundlichkeit agieren, geht es in Prag meist emotionaler zu, „in Prag diskutiert man auch gerne einmal herzhaft über die Striche und Interpretationen – aber es geht immer um das beste Ergebnis“. Nun betritt Popelka das nächste Parkett, denn nach mehreren Zusammenarbeiten haben ihn die Wiener Symphoniker zu ihrem nächsten Chefdirigenten ab der Saison 2024/2025 erkoren.

In Wien trifft Popelka auf einen alten Bekannten aus Dresden, denn als Orchesterdirektor ist Jan Nast tätig, der über siebzehn Jahre die Geschicke bei der Staatskapelle Dresden leitete. Nast und Popelka blicken in Wien mit viel Leidenschaft in die Zukunft – „Wien biete eine historische Fülle“ der Musik und die Symphoniker sehen sich als aktive Botschafter in der Hauptstadt der Musik, in der von Mozart und Schubert über Mahler und Zemlinsky, aber auch Beethoven und Brahms alle ihren Platz bekommen, so auch die Jubilare 2024, Anton Bruckner und Arnold Schönberg.

Popelka hat in Prag das Schönberg-Jubiläum schon einmal vorgezogen und im Juni eine umjubelte Aufführung der monumentalen „Gurre-Lieder“ im Prager Nationaltheater geleitet. Der Dirigent fühlt sich eng mit der zweiten Wiener Schule und der zeitgenössischen Musik verbunden. Gerade für jüngere Menschen brauche es leidenschaftliche Uraufführungen: „Wenn ich als Musiker nicht selbst an die Stücke glaube, wer dann?“ Jan Nast sieht sich bei den Wiener Symphonikern als Dienstleister für eine moderne Gesellschaft – in Verbindung mit dem Europäer Popelka, der mit überwältigender Mehrheit auch vom Orchester gewählt wurde, dürfte das Orchester spannenden Zeiten entgegensehen. Bereits im November dieses Jahres steht Popelka in Wien wieder am Pult und leitet am Theater an der Wien die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger. Bleibt nur noch zu hoffen, dass der die Kulturen verbindende „Vindobona“-Zug zwischen Dresden, Prag – nicht zu vergessen Brünn! –  und Wien erhalten bleibt…

  • Arnold Schönbergs „Gurre-Lieder“ in der Prager Aufführung vom 20.6. kann man bei Radio Vltava im Audio-Player anhören. Es spielt das Prager Rundfunkorchester und das Norwegische Radioorchester Oslo gemeinsam mit Solisten und Chören aus Brno und Bratislava unter der Leitung von Petr Popelka

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

 

 

 




Umjubelte Aufführung, bedeutende Ehrung

Gestern abend fand eine denkwürdige Aufführung der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ an der Wiener Staatsoper statt. Der Satz könnte fast eine Floskel sein, denn die Oper allein ist so riesig, dass man kaum einmal ohne eine denkwürdige Aufführung in jeglicher Hinsicht entlassen wird. Steht dann noch Christian Thielemann am Pult und ist ein so exzellentes und auf das Stück perfekt passendes Sängerensemble am Start, und wird dann auch noch der Dirigent zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt, so ist das Prädikat denkwürdig mehr als angebracht.

Die Oper wurde als Wiederaufnahme in der Inszenierung von Vincent Huguet (Premiere 2019) gezeigt, und nach diesen laschen Bildern hätte ich mir lieber eine konzertante Darbietung gewünscht, da das Hauptaugenmerk sowieso auf Stimmen und Orchester liegt. Oder die bunte Inszenierung von rosalie, damals an der Semperoper, dirigiert noch von Giuseppe Sinopoli, da wurde man wenigstens auch visuell in ein Märchen entführt. Doch mit luxuriösem Blick aus der Seite des 2. Rangs in den Orchestergraben ausgestattet, konzentrierte ich mich schnell auf die auditiven Höhenflüge dieser Aufführung, und was das Staatsopernorchester mit Thielemann da anrührte, war exzellent, lustvoll, in ständiger Hochkonzentration und natürlich immer mit und für die Sänger in Balance gebracht.

Dementsprechend – bevor ich hier zur Pressemitteilung der Ehrung überleite – gab es schon nach den ersten beiden Akten großen Jubel, und musikalisch war diese Darbietung in ihren leisesten und lyrischsten ebenso wie in entfesselten Passagen phänomenal. Krasse Bläserchoräle, die Cello- und Violinsoli im 2. und 3. Akt zum Niederknien schön gespielt und dazu ein (stehend-sitzend-liegendes) Sängerensemble, das sich dank der Regieverweigerung voll auf die Stimmen konzentrieren konnte und im Schlussquartett noch immer mit voller Kraft stürmte. In vielen Aufführungen haben sich Orchester und Dirigent über Jahre natürlich auch so dermaßen gegenseitig vertrauend in das Stück vertieft, dass hier Nuancen und Balancierungen möglich waren, die man kaum je in diesem Werk vernimmt, weil oft bei der bloßen Organisation der Klangmassen zumeist das Ende der Gefühle erreicht ist. Insofern: pures Glück, wer am Sonnabend dabei war (die live übertragene Radiosendung ist noch eine Woche verfügbar, siehe unten).

Die Staatsoper teilte heute mit: „Mit lang anhaltendem Jubel wurde am gestrigen Samstag, 14. Oktober 2023, die Wiederaufnahme von Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten an der Wiener Staatsoper gefeiert. Im Beisein des Publikums versammelten sich nach der Vorstellung neben den Solisten wie Elza van den Heever (Kaiserin), Andreas Schager (Kaiser), Elena Pankratova (Färberin), Michael Volle (Barak) und Tanja Ariane Baumgartner (Amme) auch zahlreiche weitere Mitwirkende und Weggefährten auf offener Bühne, wo der Dirigent des Abends, Christian Thielemann, zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt wurde.

Die Ehrung wurde von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić vorgenommen, anschließend überreichte Theresia Niedermüller, Sektionsleiterin für Kunst und Kultur im BMKÖS, dem Dirigenten die entsprechende Urkunde. Außerdem erhielt der den Ehrenring der Wiener Staatsoper aus dem Hause Juwelier Wagner.

Der Direktor der Wiener Staatsoper Bogdan Roščić gratulierte: »Christian Thielemann hat an der Staatsoper seit vielen Jahren einen ganz besonderen Platz und ist ihr in besonderer Weise verbunden – nicht zuletzt durch seine so enge Beziehung mit dem Orchester, sowohl auf den wichtigsten Konzertpodien der Welt wie auch im Graben der Oper selbst.«

Anschließend ergriff Thielemann selbst das Wort: »Mit kaum einem Opernhaus bin ich so eng verbunden wie mit der Wiener Staatsoper. Ich habe dort unvergleichliche Abende erlebt. Ich fühle mich sehr geehrt, für mein Wirken nun die Ehrenmitgliedschaft und den Ehrenring zu erhalten.«

Christian Thielemann debütierte 1987 mit Così fan tutte an der Wiener Staatsoper und dirigierte hier in weiterer Folge u. a. Premierenproduktionen von Tristan und Isolde, Hänsel und Gretel und Die Frau ohne Schatten, eine Musikalische Neueinstudierung von Die Meistersinger von Nürnberg sowie den gesamten Ring des Nibelungen.

Mit der Wiederaufnahme von Die Frau ohne Schatten am 14. Oktober stand er bei seinem 59. Staatsopern-Abend am Pult. In dieser Spielzeit wird Christian Thielemann noch bis 24. Oktober mit Die Frau ohne Schatten sowie im April/Mai 2024 mit der Premierenproduktion von Lohengrin zu erleben sein.“

 

Pressemitteilung, der Wiener Staatsoper

* Die Aufführung wurde live vom ORF im Radio übertragen und ist in der Ö1 Mediathek noch sieben Tage anhörbar.

 

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.




Liederzyklen von Mussorgski beim Brunner Hausmusikabend

Hausmusikabende begründen sich im Salon des 19. Jahrhunderts, als es zum guten Ton gehörte, dass man ein Instrument leidlich spielen konnte und private Zirkel entstanden, die oft die Grenzen zwischen Laienmusizieren und Professionalistentum verwischten – mit oft interessanten Ergebnissen, denn so konnte man sich aus dem Wohnzimmer auch einmal via Streichquartett ins Konzert vorarbeiten oder sich mit dem nötigen Kleingeld einen gerade angesagten Tastenvirtuosen nach Hause holen. Vor allem aber diente die Hausmusik der Pflege der Kammermusik zu besonderen Gelegenheiten, aber auch schlicht bei familiären Abenden am Kamin.

Solche Abende finden auch heutzutage immer wieder statt, da sie aber meist privatim organisiert und annonciert werden, tauchen sie meist in keiner Konzertvorschau oder Statistik auf. Geschätzt werden Sie sowohl von den Zuhörern als auch von den Interpreten – letztere können sich auf diese Weise nicht nur den Traum des Konzertierens leisten, sondern sie stellen zumeist auch Werk und Interpretation zur Diskussion, der kulturelle Austausch ist somit immer inklusive.

In dieser glücklichen Mischung fand Anfang Oktober wieder ein Hausmusikabend bei Hans Hartmann in Brunn am Gebirge statt. Als Physiker ist er Pensionist, was aber keineswegs den Ruhestand als Musiker für ihn bedeutet. Hartmann erarbeitete sich die großen Werke der Klassik nicht nur im Konzertsaal beim Zuhören, sondern durch die eigenen zehn Finger am Flügel, die in stetiger Lust am Neuen, aber auch mit fortwährender Weiterbildung (Unterricht „genießt“ er auch heute noch) täglich aktiv sind. Das Klavier ist ihm seit der Jugend vertraut, und in der Familie wurde auch die vierhändige Literatur gepflegt, was bei Hartmann alsbald zum Spiel ganzer Bruckner-Sinfonien führte.

Beruflich einige Jahre mit der berühmten Bösendorfer-Klavierbaufirma verbandelt, nennt Hartmann seit einigen Jahren einen besonderen Flügel sein eigen, der früher vom legendären österreichischen Pianisten Paul Badura-Skoda gespielt wurde – Hartmann hat ihn noch persönlich kennenlernen dürfen.

Hartmann organisiert schon seit einiger Zeit „Musik in Brunn am Gebirge“ – an Nachfrage fehlt es ebensowenig wie an aufführbarer Literatur. Während frühere Hausmusikabende sich vor allem Ludwig van Beethoven widmeten, dessen Sonatenschaffen Hartmann besonders verbunden ist, war der Oktoberabend dem Lied gewidmet, und zwar explizit den beiden großen Liedzyklen von Modest Mussorgskij „Ohne Sonne“ und „Lieder und Tänze des Todes“, die zwischen 1874 und 1877 komponiert wurden.

Das Besondere eines solchen Hausmusikabends ist natürlich, dass man Musik und Interpreten besonders nah sein kann und sie dies auch gestatten (worum sich Veranstalter oft jahrelang vergeblich in Vermittlungsprojekten bemühen…). So freute man sich nicht nur über den warm-direkten Klang des Bösendorfer Flügels, sondern auch über kundige Erläuterungen zu den Stücken sowie der Rezitation der Liedtexte auf deutsch.

Sopranistin Xenia Galanova

Die Lieder selbst wurden in der Originalsprache von einer Muttersprachlerin gesungen – der Sopranistin Xenia Galanova, die ebenfalls einige Anmerkungen einbrachte, so zum Beispiel, dass die meisten Aufnahmen der männlichen Kollegen transponierte Fassungen der „Lieder und Tänze des Todes“ seien – an diesem Abend erklangen die Lieder im Original, so wurden sie u. a. auch von der Sopranistin Galina Wishnevskaja aufgenommen.

Dass der Abend rein von der Thematik der Zyklen in beiden Fällen eine eher ernste Angelegenheit werden würde, war klar, doch Mussorgskij beleuchtet in den „Liedern und Tänzen des Todes“ auf Gedichte von Arseni Arkadjewitsch Golenischtschew-Kutusow durchaus verschiedene Farben und Persönlichkeiten des Todes. Demgegenüber wirkt „Ohne Sonne“ auf Texte des gleichen Dichters eher wie eine pessimistisch-poetische Meditation, die aber verschiedene Deutungen zulässt.

Es wurde dennoch kein trauriger Abend, denn Hartmann und Galanova sorgten für eine höchst lebendige Interpretation der Lieder, in denen eben auch traditionelle russische Tänze wie der Trepak eingewoben sind, zudem gab es einen kontrastierenden Programmpunkt mit der Arie der Eva aus dem 2. Akt der „Meistersinger“ von Richard Wagner. Und was da stimmlich wie pianistisch zu vernehmen war, erregte in höchstem Maße die Begeisterung des Publikums, wohl eben auch, weil in dieser Hausmusik das Fremde plötzlich vertraut scheint, die Kunst greifbar wurde und man sich im Gespräch nach dem Konzert auch über das Gehörte austauschen konnte.
Viel mehr brauchte es tatsächlich für ein glückliches Musikerlebnis nicht.

Fotos (c) Michael Paulus

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 




Alles bewegt sich: Wien Modern „GO“ startet am 31. Oktober

Herbstzeit in Wien heißt Wien Modern. Die 36. Ausgabe des Festivals für zeitgenössische Musik befindet sich in den Startlöchern. Die Eröffnung findet am 31. Oktober 2023 statt und verspricht spektakulär zu werden.

Bei der Pressekonferenz im Wiener Musikverein am Mittwoch betonte der Direktor des Hauses Stephan Pauly den wertvollen künstlerischen Austausch und das Kuratieren gemeinsamer Projekte: „Unser künstlerisches Ziel ist es Tradition weiterzuführen, aber auch Inhalten der Gegenwart einen zentralen Platz einzuräumen.“ In der Reihe „Musikverein Perspektiven“ wird nach Georg Baselitz im letzten Jahr erneut ein international arrivierter Künstler als Musikmensch und Diskutant eingeladen, der mit Wien Modern im Musikverein eine ganze Woche auf die Reise gehen wird – in diesem Jahr ist es der Schweizer Architekt Peter Zumthor.

Der künstlerische Leiter von Wien Modern Bernhard Günther stellte das Festivalthema 2023 vor:  „GO – Bewegung im Raum“ ist als ein Freispielen nach den Pandemiejahren gedacht und läßt sich als Aufforderung, aber auch in viele Richtungen als Ausdruck von Dynamik und Entwicklung verstehen. Dass ein „Einrostungsprozess der Klassik“ im Gange sei, sei kein neues Statement (siehe auch die neue Publikation von Axel Brüggemann). Günther erwähnte als Beispiel die Berliner Philharmonie, die an dem Ort einer früheren Rollschuhbahn gebaut wurde, ein durchaus ‚bewegter Untergrund‘ also. Ob man Musik in Stille und Regungslosigkeit im Sitzen genießen müsse, sei mit Blick auf die heutige Gesellschaft stärker als früher dahingestellt. Das aktuelle Wien Modern-Bild zeigt einen Astronauten, der das Gehen auf dem Mond übt – das könnte durchaus als zwinkernder Blick zurück in die experimentellen 60er Jahre verstanden werden, aber sicher auch als Aufforderung, tatsächlich körperliche (Musik-) Erfahrung erneut zu exerzieren und zu entdecken.

Das alles beginnt für das Publikum mit einem „walk in the park“ am Eröffnungstag – der Wiener Stadtpark wird mit einer Fanfare von Maria Gstättner musikalisch durchmessen. Im Konzerthaus angelangt, kann das Publikum zur Uraufführung von Peter Jakober phasenverschobene Klänge von 60 Streichern aus drei Sälen mit geöffneten Türen in Ohrenschein nehmen. „Räume werden oft ausgeblendet, aber sie können was“, so Günther, und natürlich sei auch die Einladung des Architekten Peter Zumthor in diesem Kontext spannend.

Die ersten Tage von Wien Modern wie auch ein Mini-Marathon von vier aufwändigen (z. T. Raum-) Konzerten im Musikverein seien „utopische Projekte“ betonte Günther, deren Einmaligkeit nicht nur im organisatorischen Aufwand liege, sondern ganz sicher auch im einmaligen klanglichen Ergebnis und Erlebnis. Wer zu Georg Friedrich Haas „11.000 Saiten“ am zweiten Festivaltag nicht ins Konzerthaus käme, seie „selbst schuld“, so Günther. Und tatsächlich klingt das schon in der rein verbalen Vorstellung unvorstellbar und ja, auch wahnsinnig: 50 im Hundertsteltonabstand gestimmte Klaviere nehmen den großen Saal im Konzerthaus ein, dazu spielen die Wiener Symphoniker, das Publikum wandelt im Klang. Eine Aufnahme dieses Werkes sei ziemlich unmöglich, es wäre in etwa so, als würde man einem gewaltigen Naturereignis bloß im Fernsehen zuschauen. Wer dennoch wissen will, worauf er sich einläßt, kann ja das folgende Video anklicken und nach zwei, drei Minuten wieder abschalten, um dem Live-Erlebnis nicht vorzugreifen:

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=6xnho9LzU14?feature=oembed&w=500&h=281]

Bernhard Günther gab im Folgenden einen Überblick über weitere Festivalhöhepunkte und Raumerlebnisse. Kontrastreich geht es mit Mark Andre am 3. November im Stephansdom weiter. Diesem „atmenden Moment“ folgt als eher wilde Intervention im Öffentlichen (Untergrund-) Raum am 4. und 5. November Hannes Seidls Passagenperformance  „21 Songs“.

Peter Conradin Zumthor, der Sohn des Architekten Peter Zumthor, wird ebenfalls bei Wien Modern vertreten sein. Er ist Schlagzeuger, Komponist und Konzeptkünstler und rückt an vier Tagen (22.-24.11.) bei freiem Eintritt die Glocken im Stephansdom in den Fokus des Geschehens. Dann werden sie einmal ganz anders erklingen und schärfen das Hinhören.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=lQND9Q2l7TU?feature=oembed&w=500&h=281]

In der Kooperation mit dem Musikverein wird die Peter-Zumthor-Woche mit vier aufeinanderfolgenden Konzerten an drei Tagen (15.-17. November) samt Begleitveranstaltungen stehen und dabei den Musikverein klanglich auf den Kopf stellen, denn unterschiedlicher können die Darbietungen mit dem Abbado-Konzert mit dem ORF Symphonieorchester, einem Recital von Pierre-Laurent Aimard sowie Konzerten mit Michael Jarrell und Rebecca Saunders nicht sein. Günther meinte, dort entstehe tatsächlich „etwas Radikales, das ist ‚wie ein Haus von Zumthor bauen'“.

Die Komponistin Judith Unterpertinger war ebenfalls mit am Podium der Programmvorstellung. Ihre Uraufführung wird am 19. November in Klosterneuburg stattfinden – der Kreuzgang des Klosters bildet Rahmen und Raum für ihre „Zeitenverwesung“, bei der das Publikum ebenfalls wieder in Bewegung sein darf. Auf die eher niedrigen Temperaturen am Konzertort wurde bereits jetzt hingewiesen, Unterpertinger ergänzte, „leise Jacken“ anzuziehen…

Der Erste Bank Kompositionspreis geht in diesem Jahr an das Duo Nimikry, das sich am 28. November im Konzert vorstellen wird und Erkundungen in digitaler Virtuosität unternimmt. Denn eine paganinische Versiertheit muss ja nicht im Saitenspiel aufhören, sondern kann sich auf Interfaces und Sampler übertragen und zu neuer kompositorischer Ästhetik beitragen.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=iG1yah9Zxdo?feature=oembed&w=500&h=281]

Beschlossen wird Wien Modern in diesem Jahr am 2. Dezember mit Terry Rileys berühmten Stück „In C“ – allerdings diesmal dargeboten von 20 Dudelsäcken, die das Semperdepot der Akademie der bildenden Künste Wien kirchenartig füllen werden, natürlich auch wieder „in Bewegung“. Der Jahrgang verspricht eine Menge Abwechslung – im beeindruckenden Zahlensalat vernimmt man „57 Produktionen in 91 Konzerten, dazu 20 Workshops, Gespräche und sonstige Rahmenveranstaltungen mit 44 Komponistinnen und 86 Komponisten an 36 Spielstätten in 14 Wiener Bezirken“. Und alles was hier nicht aufgeführt ist, kann im veröffentlichten Programm nachgelesen werden. Let’s — GO.

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.