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Nur vordergründig virtuos

Französische Violinkammermusik bei den „Meisterinterpreten“

Einen tiefen Einblick in die französische Musik zwischen Romantik und früher Moderne gab das mit „virtuos“ betitelte Konzert der Reihe „Meisterwerke – Meisterinterpreten“ am vergangenen Sonntag im Ballsaal des Hotel Königshof in Strehlen. War das 19. Jahrhundert in Frankreich noch stark von der Oper und später dem Chanson geprägt, so setzte vor allem Camille Saint-Saens mit seinem reichhaltigen OEuvre Akzente innerhalb der Klavier- und Kammermusik, er war überdies Lehrer und Vaterfigur für viele Komponisten und vermittelte einen Musikstil, der Tradition und Moderne vereinigte. Im Konzert wurde die Brücke von Saint-Saens hin zu zwei wichtigen Erneuerern der französischen Musik geschlagen: Gabriel Fauré (Schüler von Saint-Saens) und Maurice Ravel. Da zudem das Genre der Violinkammermusik auf dem Programm stand, gelang eine interessante Darstellung der Musik etwa zwischen 1875 und 1924, deren Farbskala von romantischen Melodiebögen bis hin zur hochvirtuosen Geigenbehandlung in „Tzigane“ reichte. Die Kammermusik von Saint-Saens ist bis zum heutigen Tag selten in Konzerten vertreten; ich meine sogar, zum ersten Mal einer Aufführung der Saint-Saens-Sonate d-Moll, Opus 75 beigewohnt zu haben. Matthias Wollong, Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle, spielte die Sonate mit Sinn für die divergierenden Ausdruckswelten der vier Sätze, seine Stärke lag hier wie in den anderen Stücken des Konzertes im Ausbreiten großer Melodiebögen und in technischer Souveränität, gerade der letzte Satz der Saint-Saens-Sonate geriet vital, aber nie vordergründig virtuos, Wollong besitzt überdies die Ruhe, sich auch augenscheinlich begleitenden Abschnitten mit Übersicht und transparentem Ausdruck zu widmen. Würde man mich nach „virtuoser Geigenmusik“ fragen, wäre ich nie auf Gabriel Faurés Sonate A-Dur gekommen, insofern hinkte der Titel des Konzertes etwas. Faurés Meisterwerk (interessanterweise zehn Jahre früher als das „Lehrerwerk“ entstanden) entfaltet eine formvollendete, aussdrucksstarke Seelenlandschaft, die Wollong besonders im Andante gut darstellte. An dieser Stelle ist allerdings zu bemerken, dass der Pianist Frank-Immo Zichner kein gleichwertiger Partner war. Wertvoll wäre ein Helfer zum Blättern der Noten gewesen, auf Dauer wirkten die Lücken in der linken Hand störend. Überdies kam Zichner mit den Werken kaum zurecht, verhaspelte sich im Klaviersatz Faurés immer wieder und ließ eine Interpretation vermissen, die Wollong nicht nur unterstützen sollte, sondern auch dem Werk angemessen schien. Exemplarisch seien hier die letzten Takte der Fauré-Sonate genannt, die anstelle einer stringenten Steigerung beider Musiker eckig und bei Zichner sogar überspannt wirkte. Zum Abschluss gab es die nicht ganz versöhnende Rhapsodie „Tzigane“ von Maurice Ravel, bei der mir schlicht die Akkuratesse von Tempo und Artikulation fehlte, aus der heraus sich das für dieses Stück unbedingt notwendige ungezügelte Temperament erst entwickeln kann.

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Veröffentlicht in Rezensionen

3 Kommentare

  1. allesfliesst allesfliesst

    vordergründig vs. … hintergründig virtuos? eine unterscheidung, die uns interessieren würde. falls du lust hast, über virtuosität mit einem kleinen häuflein von (nicht nur, aber auch) musikwissenschaftlern zu diskutieren bzw. darzulegen, was du virtuos findest, schau mal bei uns rein. würde mich freuen. gruß

    • Danke für den Tipp, ich schau sicher mal vorbei! – Hier meint Vordergrund/Hintergrund vor allem die Interpretationsabsicht des Musikers. Sicherlich gibt es genügend rasante Violinsätze, bei denen man Virtuosität (und dabei ist bei Werken des 19. Jahrhunderts vor allem die technische Brillanz gemeint) demonstrieren kann. Das kann man dann in den Mittelpunkt der Interpretation stellen, oder aber hintenan, wenn einem innerhalb der „virtuosen“ Faktur des Werkes andere Ebenen wichtig sind.

      [Als zeitgenössisches Beispiel fallen mir hier die „Etüden“ von Jörg Widmann ein, deren technisches Level zwar unglaublich hoch ist, dieser Aspekt jedoch (für mich) ganz und gar nicht im Mittelpunkt der Hörwirkung steht]

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