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Alle Hände voll zu tun

Elgar und Schmidt im Wiener Konzerthaus
Vilde Frang, Violine
Wiener Symphoniker, Leitung: Fabio Luisi

Es war ein Konzert, nach dem man zweimal überlegen musste, ob man tatsächlich noch einen Sonntagsbraten braucht. Denn musikalisch gab es zumindest keine leichte Kost, doch, um beim Vergleich zu bleiben, ein gutes Essen darf auch gerne komplex sein.

Fabio Luisi und die Wiener Symphoniker bei der Probe zum Konzert. Foto (c) Niesel-Reghenzani

So machen leider viele große Geigerinnen und Geiger immer noch einen Bogen um das 1910 entstandene Violinkonzert h-Moll von Edward Elgar, was vielleicht wirklich auch eine Typfrage ist – nicht jede(r) muss diesen spätromantischen weit ausschweifenden und gleichzeitig sanft schwingenden Stil mögen. Auch bei den Zuhörern spalten sich da oft die Gemüter. Doch eine „lange Weile“ kam im Konzerthaus am Sonntagvormittag gar nicht auf, denn Vilde Frang, die ich nun schon mehrfach live erleben durfte, hat die besondere Fähigkeit, jedes Werk, für das sie sich entscheidet, bis zu einer großen Tiefe zu erkunden. Damit ist fast immer die Herausforderung verbunden, natürlich das Werk in seinem Charakter zu erfassen und auch zu belassen, aber gleichzeitig die persönliche Lesart beizugeben, und die war hier selbstbewusst und in vielen Aufschwüngen von dramatischer Spannung gezeichnet, aber auch ein decrescendo ins Nichts ist bei Vilde Frang schlicht eine Delikatesse.

Die Norwegerin, die in dieser Saison Artist in Residence bei den Wiener Symphonikern ist, beließ es auch nicht bei dem „british light music“-Missverständnis, mit dem ausgerechnet Briten ihre eigene Musik oft zur Frühstücksbegleitung degradieren, sondern stöberte wie eine Entdeckerin in der (für Fritz Kreisler entstandenen) Partitur, hielt dabei fantastischen Kontakt zum Orchester und vergoldete insbesondere die ruhige, orchestral begleitete Kadenz im 3. Satz, die eigentlich mit zum Besten gehört, was Elgar komponiert hat, erst recht, wenn man einige etwas ungelenk herausfahrende Passagen in den ersten beiden Sätzen verdaut hat. Atemberaubend war ihre jederzeit neue Ton(er-)findung und geschickte Bogentechnik, um verschiedene Motive voneinander abzugrenzen, aber auch deren Entwicklung aufzuzeigen. Am Pult der Wiener Symphoniker begleitete der ehemalige Chef des Orchesters, der Italiener Fabio Luisi, mit gleichem Atem, setzte aber auch schöne eigene Orchesterakzente in den Intermezzi.

Nach der Pause – eine Zugabe gab es nicht, aber diese tolle Aufführung hallte eh genug nach – hatte Fabio Luisi eine weitere große Partitur auf dem Pult liegen, die aber ebenso selten wie das Konzertwerk erklingt – Franz Schmidts 2. Sinfonie Es-Dur, 1913 entstanden, ist ein einzigartiges Meisterwerk der Spätromantik und wirkt vermutlich größer als es ist, weil ständig irgendwo etwas passiert und man sich vor allem in den Variationen im 2. Satz in einem Klangrausch verlieren darf. Genau diese virtuose, offenherzige Gestik ist aber das Markenzeichen dieser kaum nach innen gewandten Sinfonie und vor allem die Blechbläser der Wiener Symphoniker konnten mit ihren anspruchsvollen Chorälen und in den Variationen in den „ungarese“-Teilen und im Scherzo glänzen. Selbstverständlich betrafen die virtuosen Parts dann auch die Streicher und Holzbläser, und man könnte wirklich sagen, mit dieser Sinfonie hat man „alle Hände“ voll zu tun. Aber wenn solch ein Schmidt-Experte wie Luisi (mit dem MDR-Sinfonieorchester nahm er bereits vor 20 Jahren eine Schmidt-Edition auf CD auf) mit unermüdlicher Motivation und klarer Konturierung am Pult steht, ist die Aufführung, noch dazu in der Heimatstadt von Schmidt, exemplarisch zu nennen.

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

Ein Kommentar

  1. Ich freue mich, dass dir auch der Schmidt gefallen hat. Als Fabio Luisi noch in Wien war, habe ich fast alle Schmidt-Konzerte besucht. Das Buch mit sieben Siegeln habe ich drei mal gehört (in einem Jahr).
    Ich habe leider nur die 3. Symphonie einmal eingespielt. Habe aber alle zuhause, denn Franz Schmidt war unser Haus-und Hofkomponist, worüber es eine ganze Reihe von Anekdoten in Zusammenhang mit meinem Vater gibt.

    hartmann franz schmidt 3. symphonie 2. satz

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