Stefan George
Waller im Schnee
Die steine die in meiner strasse staken
Verschwanden alle in dem weichen schooss
Der in der ferne bis zum himmel schwillt ·
Die flocken weben noch am bleichen laken
Und treibt an meine wimper sie ein stoss
So zittert sie wie wenn die träne quillt. .
Zu Sternen schau ich führerlos hinan ·
Sie lassen mich mit grauser nacht allein.
Ich möchte langsam auf dem weissen plan
Mir selber unbewusst gebettet sein.
Doch wenn die wirbel mich zum abgrund trügen
Ihr todeswinde mich gelinde träft:
Ich suchte noch einmal nach tor und dach.
Wie leicht dass hinter jenen höhenzügen
Verborgen eine junge hoffnung schläft!
Beim ersten lauen hauche wird sie wach.
Mir ist als ob ein blick im dunkel glimme.
So bebend wähltest du mich zum begleite
Dass ich die schwere wandrung benedeite ·
So rührte mich dein schritt und deine stimme.
Du priesest mir die pracht der stillen erde
In ihrem silberlaub und kühlen strahle
Die frei der lauten freude und beschwerde.
Wir nannten sie die einsam keusche fahle
Und wir bekannten ihren rauhen mächten
Dass in den reinen lüften töne hallten
Dass sich die himmel füllten mit gestalten
So herrlich wie in keinen maien-nächten.
Mit frohem grauen haben wir im späten
Mondabend oft denselben weg begonnen
Als ob von feuchten bluten ganz beronnen
Wir in den alten wald der sage träten.
Du führtest mich zu den verwunschnen talen
Von nackter helle und von blassen duften
Und zeigtest mir von weitem wo aus grüften
Die trübe liebe wächst im reif der qualen.
Ich darf nicht dankend an dir niedersinken ·
Du bist vom geist der flur aus der wir stiegen :
Will sich mein trost an deine wehmut schmiegen
So wird sie zucken um ihm abzuwinken.
Verharrst du bei dem quälenden beschlusse
Nie deines leides nähe zu gestehen
Und nur mit ihm und mir dich zu ergehen
Am eisigklaren tief-entschlafnen flusse ?
Ich trat vor dich mit einem segenspruche
Am abend wo für dich die kerzen brannten
Und reichte dir auf einem sammtnen tuche
Die höchste meiner gaben : den demanten.
Du aber weisst nichts von dem opferbrauche ·
Von blanken leuchtern mit erhobnen ärmen ·
Von schalen die mit wolkenreinem rauche
Der strengen tempel finsternis erwärmen
Von engeln die sich in den nischen sammeln
Und sich bespiegeln am kristallnen lüster ·
Von glühender und banger bitte stammeln
Von halben seufzern hingehaucht im düster
Und nichts von wünschen die auf untern sprossen
Des festlichen altars vernehmlich wimmern . .
Du fassest fragend kalt und unentschlossen
Den edelstein aus gluten tränen schimmern.
Ich lehre dich den sanften reiz des zimmers
Empfinden und der trauten winkel raunen ·
Des feuers und des stummen lampen-flimmers ·
Du hast dafür das gleiche müde staunen.
Aus deiner blässe fach ich keinen funken ·
Ich ziehe mich zurück zum beigemache
Und sinne schweigsam in das knie gesunken :
Ob jemals du erwachen wirst ? erwache !
So oft ich zagend mich zum vorhang kehre :
Du sitzest noch wie anfangs in gedanken ·
Dein auge hängt noch immer an der leere ·
Dein schatten kreuzt des teppichs selbe ranken.
Was hindert dann noch dass das ungeübte
Vertrauenslose flehen mir entfliesse :
O gib dass – grosse mutter und betrübte !
In dieser seele wieder trost entspriesse.
Noch zwingt mich treue über dir zu wachen
Und deines duldens schönheit dass ich weile
Mein heilig streben ist mich traurig machen
Damit ich wahrer deine trauer teile.
Nie wird ein warmer anruf mich empfangen ·
Bis in die späten stunden unsres bundes
muss ich erkennen mit ergebnem bangen
Das herbe Schicksal winterlichen fundes.
Die blume die ich mir am fenster hege
Verwahrt vorm froste in der grauen scherbe
Betrübt mich nur trotz meiner guten pflege
Und hängt das haupt als ob sie langsam sterbe.
Um ihrer frühern blühenden geschicke
Erinnerung aus meinem sinn zu merzen
Erwähl ich scharfe waffen und ich knicke
Die blasse blume mit dem kranken herzen.
Was soll sie nur zur bitternis mir taugen ?
Ich wünschte dass vom fenster sie verschwände
Nun heb ich wieder meine leeren augen
Und in die leere nacht die leeren hände.
Dein zauber brach da blaue flüge wehten
Von grabesgrünen und von sichrem heile ·
Nun lass mich kurz noch da ich bald enteile
Vor dir wie vor dem grossen schmerze beten.
Zu raschem abschied musst du dich bequemen
Denn auf dem weiher barst die starre rinde ·
Mir däucht es dass ich morgen knospen finde ·
Ins frühjahr darf ich dich nicht mit mir nehmen.
Wo die strahlen schnell verschleissen
Leichentuch der kahlen auen ·
Wasser sich in furchen stauen
In den sümpfen schmelzend gleissen
Und zum strom vereinigt laufen :
Türm ich für erinnerungen
Spröder freuden die zersprungen
Und für dich den Scheiterhaufen.
Weg den schritt vom brande lenkend
Greif ich in dem boot die ruder –
Drüben an dem Strand ein bruder
Winkt das frohe banner schwenkend.
Tauwind fährt in ungestümen
Stössen über brache schollen ·
Mit den welken seelen sollen
Sich die pfade neu beblümen.
[aus der heutigen Lyrikmail]
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