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Raumgreifende Gedankenwanderung

Uraufführung der Jakobus-Kantate von Jörg Herchet im 8. Kammerabend der Staatskapelle

In zwei deutlich verschiedene Teile war der letzte Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle Dresden unterschieden, die einzige Gemeinsamkeit lag wohl darin, dass man zum einen ein fälliges Wiederhören mit einem sehr guten Kammermusikduo erlebte, zum anderen eine Wiederbegegnung mit einer der interessantesten kompositorischen Stimmen der Stadt. Der erste Teil gehörte dem Duo Jörg Fassmann (Violine) und Gunther Anger (Klavier) und den Komponisten Mozart und Beethoven. Nun gehören beide Komponisten zwar zum Repertoire, dennoch hört man die beiden vorgestellten Sonaten recht selten. Das Verdienst der Interpreten war es, die Sonate Es-Dur KV 380 von Mozart mit der Sonate Es-Dur Opus 12 Nr. 3 von Beethoven zu kombinieren, reizvolle Parallelen waren da nicht nur aufgrund der tonartlichen Verwandtschaft zu hören, die Beethoven-Sonate erklang im Mozart-Licht ungleich schärfer konturiert. Dass solcherlei „Nachklänge“ gelingen, lag an der hervorragenden Interpretation der beiden Musiker. Jörg Fassmann demonstrierte natürliches, die Themen sauber abgrenzendes Spiel, Gunther Anger war in jeder Note gleichberechtigter Partner. Die gegenseitige Inspirierung des Duos, die konzentrierte Darstellung von Durchführungen, Rondothemen und vor allem der langsamen Mittelsätze beider Werke war durchweg überzeugend, rund und stimmig gelangen Phrasierungen und Entwicklungen, deutlich war die stilistische Abgrenzung im 3. Satz der Beethovensonate, die ungleich sperriger als das Vorhergehende musiziert wurde. Nach der Pause erklang die Uraufführung von Jörg Herchets „kantate zum fest des apostels jakobus des älteren“, einem weiteren Beitrag aus Herchets Kantatenfolge „Das Geistliche Jahr“. Ekkehard Klemm leitete die beeindruckende Aufführung der Komposition für Vokalsextett, Soloflöte und acht Instrumente und musste dabei auch in die Emporen dirigieren, denn diese Kantate machte von Raumklängen und -wanderungen Gebrauch. Wandern, pilgern, Gedanken-Reisen, das ist auch die Essenz dieser Kantate, die Bibeltext und zeitgenössischen Standpunkt (Text Jörg Milbradt) vermischt, sortiert und immer neu anordnet. Im Vergleich zu früheren Werken wirkt diese Kantate sehr klar geformt, der Verkündigungsgedanke bricht sich in deutlich voneinander abgegrenzten Teilen Bahn und reicht vom Unisono-Gesang bis zur babylonisch anmutenden Sprach- und Geräuschvielfalt, die musikalischen Bezüge und Interpretationen Herchets sind dabei vielfältig und durchweg anregend, im flächig angelegten Schlussteil sogar mit überraschend scharfem, da abgeschnittenen Ende. Eckart Haupt (Soloflöten) zeigte auf verschiedenen Instrumenten sein ganzes Können und wirkte quasi als wortloser Erzähler des Werkes; die Kapellmusiker und Solisten des Chores der Staatsoper formten eine klangintensive Aufführung. Lediglich eine Publikumsgruppe im Parkett ließ sich auf diese aufrichtig zeitgenössischen Gedankenstrom nicht ein und artikulierte sich störend – wenn diese den Weg des Jakobus schon nicht klingend nachvollzogen, sei ihnen der Gang nach Santiago de Compostela wärmstens anempfohlen.

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