Klanginstallation der „Tage der zeitgenössischen Musik“ in der Straßenbahn
Wer im Berufsverkehr derzeit in die Straßenbahn der Linie 8 steigt, kann unter Umständen sein blaues, nein, sein lila Wunder erleben. Eine Sonderfahrt der Linie fährt – unangekündigt, ohne Fahrplan – mit getönten Scheiben sowie mit einer Audioinstallation des Berliner Künstlers Georg Klein durch die Stadt. Der Blick aus dem Fenster führt zu neuer Seherfahrung: Schrill leuchtet der Herbst an den Bäumen, Ampeln, Scheinwerfer und farbige Plakate scheinen in ihren Farben extrem verstärkt. Die mobile Klanginstallation ist ein Projekt der 21. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik, die somit in die Stadt hineintönen, nicht an herkömmlichen Konzertorten, sondern mitten hinein in die Lebenswelt der Dresdner, die überrascht, aber zumeist neugierig reagieren. Leider ist außer einem kleinen Aufkleber außen und dem Hinweis „Sonderfahrt“ kaum Information über diese besondere Bahn vorhanden (der im „Baustellenkasten“ angebrachte Text ist bei den Lichtverhältnissen eh kaum auffind- und lesbar) sodass die von manchen geäußerte Frage: „Was ist denn das hier?“ keinen rechten Antwortgeber findet. In der Bahn selbst herrscht durch die lila abgeklebten Scheiben visuelle Dämmerstimmung, allerdings sorgen 111 kleine Lautsprecher von Zeit zu Zeit für akustische Akzente. Mal ist das Eigengeräusch der Bahn verstärkt und verzerrt, mal werden Texte und Stimmengewirr eingeblendet. Den beiden Damen, die an der Stauffenbergallee möglicherweise aus einem hektischem Büroalltag in die Bahn eingestiegen sind, ist das gar nicht recht: „Da kriegste ja ne Meise“. Die Handy-Kamera wird dennoch gezückt, die lila Bahn ist was Besonderes. In jedem Fall fördert die Kunst-Bahn das Miteinander der Fahrgäste: man spricht sich an, wundert sich, staunt. Die Reaktionen der Mitfahrer an diesem verregneten Mittwochnachmittag schwanken von verzückt bis genervt. Eine junge Dame kann sich nicht sattsehen an der lila getönten Außenwelt im Fenster, andere lauschen bedächtig den aufgezeichneten Nachrichtenmeldungen aus den kleinen Lautsprechern: Wirtschaft, Wachstum, mathematische Gleichungen, Management, Ziele, Statistiken – das sind die Hauptthemen der oft nur in Fetzen verständlichen Botschaften, daher ist die Betitelung des Projektes „meta.stasen“ (Wucherungen) auch sinnfällig. Warum aber das Thema Wachstum in einer Straßenbahn auf diese Weise zur Diskussion gestellt wird, will nicht einleuchten. Die Bahn befördert lediglich Menschen von A nach B, und jene haben in ihrem zumeist produktiven Berufsalltag sicherlich oft genug mit dem Begriff zu tun; es wirkt nicht sehr einladend, wenn der ohnehin mit Anstrengung belastete Begriff auch noch in der Bahn auf die Menschen eindringt, zudem in einer Nachrichtenform, die gerne nebenbei konsumiert wird und im öffentlichen Raum der „Berieselung“ nahekommt. So ist die Genervtheit einiger Mitfahrer durchaus verständlich: warum projiziert Georg Klein künstliches Stimmengewirr in eine Bahn, wo ohnehin der akustische Stressfaktor der urbanen Gegenwart hoch genug ist? Eine Auseinandersetzung mit der Mobilität, Begriffen wie Geschwindigkeit oder Bewegung hätte auditiv womöglich „stressfreier“ umgesetzt werden können, vor allem auch mit poetischen Elementen, die ein Einlassen auf die künstlerische Situation erst einmal emotional ermöglichen. So aber wollen die Sprachfetzen nicht zu den lila Scheiben passen, die verzerrten Straßenbahngeräusche bleiben verzerrte Straßenbahngeräusche und vielleicht macht man es am besten wie die junge Dame vor mir auf dem Platz: MP3-Player in die Ohren und sich in die vorbeiziehende lila Welt träumen.
meta.stasen – Sonderfahrt der Linie 8, Südvorstadt-Hellerau
täglich 14-22 Uhr bis 7. Oktober
[Nachtrag: Samstagabend zufällig erneute Fahrt mit der Bahn und die Überraschung: der erste, „normale“ Wagen war völlig leer, und im Klangkunst-Wagen drängelten sich die Leute…]
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