Yuri Bashmet interpretiert Giya Kancheli
Eigentlich hätte die Dresdner Frauenkirche bis auf den letzten Platz gefüllt sein müssen. Schließlich gastierte einer der weltbesten Musiker beim Frauenkirchenkonzert der Dresdner Philharmonie: der russische Bratscher Yuri Bashmet. Er inspirierte zahlreiche zeitgenössische Komponisten, darunter Edison Denisov, Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina, zu annähernd 50 neuen Konzertwerken und ist als Kammermusikpartner wie als Dirigent außerordentlich geschätzt. Mit dem georgischen Komponisten Giya Kancheli verbindet Bashmet eine lange Zusammenarbeit, aus der u.a. das Violakonzert „Vom Winde beweint“ entstand. „Abii ne viderem“ („Ich wandte mich, um nicht zu sehen“) aus dem Jahr 1994 stellt die Solobratsche neben ein kleineres Ensemble – Bashmet rückte das Stück in den Mittelpunkt seines Konzertes. Diese Platzierung wäre auch der einzige mögliche Kritikpunkt eines ansonsten äußerst intensiven Konzertes: nach Kanchelis unglaublich bewegender „Tonfindung“ an den Rändern der Stille hätte kein Werk mehr folgen dürfen. Mutig war Bashmets Entscheidung, sowohl den Solopart zu spielen als auch das Ensemble zu leiten – das Ergebnis war ein selbstverantwortliches, aufmerksames Zuhören und Reagieren im Orchester mit größtmöglicher Sorgfalt für die so wichtigen Pulsationen, Pausen und Klangflächen dieses Werkes. Gleich ob sich ein dunkler Akkord in den Vordergrund schob oder brutale Attacken des ganzen Ensembles auf Bashmets zumeist introvertierte Äußerungen antworteten, die Aufführung dieses Werkes war ein packendes Ereignis. Mit zur Schau gestellter Virtuosität hat Kanchelis Werk nichts zu tun, ebenso wenig mit avantgardistischen Kopfexperimenten. Hier wird Musik zu sich selbst zurückgeführt, entsteht, braust auf, befragt sich selbst, vergeht. Diese Erkenntnis gewann, wer Bashmets großen und ruhigen Ton bewunderte – erstaunlich war überdies, wie passend sich ausgerechnet diese Musik im Raum der Kirche entfalten konnte. Die akustische Situation war eingangs im 3. Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach schwieriger, Bashmet meisterte aber mit deutlicher Kontrastsetzung und dynamischer Differenzierung die Polyphonie des Werkes. Zudem klang das Werk unter seinen Händen außerordentlich frisch, aber niemals überhastet. Ebenso klug wurde die 44. Sinfonie e-Moll von Joseph Haydn am Ende des Konzertes musiziert, wenngleich man sich von den starken Klängen des Kancheli-Werkes kaum lösen mochte. Den Beinamen „Trauersinfonie“ kann man angesichts der Faktur und der Interpretation getrost vergessen, einzig Haydn selbst wünschte sich den langsamen Satz der Sinfonie zu seiner eigenen Trauerfeier. Ausgerechnet dieser steht jedoch in Dur und das ganze Stück vermittelt eigentlich mehr Trost denn Traurigkeit. Die Dresdner Philharmonie spielte hier erneut in kleiner Besetzung hervorragend und folgte Bashmets effizienter Zeichengebung konzentriert. Schade, dass das (touristische) Publikum für die Kancheli-Darbietung nur wenig übrig hatte. Erwünscht wären endlich einmal Dresdner Aufführungen der herausragenden Sinfonien dieses immer noch viel zu wenig gespielten Komponisten.
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