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Erfrischender Wahnsinn

Musiktheater „Partitur Parcours“ begeistert im Societätstheater

Manche Kostbarkeiten finden im Frühjahr in der großen, an Höhepunkten reichen Kulturstadt Dresden eher im Verborgenen statt und man ist dann als Autor einer Rezension glücklich, die frohe Kunde in die Welt zu tragen. Zwar war der kleine Saal im Societätstheater nahezu ausverkauft, doch erhofft man sich für die Aufführungen der „Partitur Parcours“ noch viele weitere Zuschauer, denn den vier Protagonisten gelingt mühelos, womit viele große Staatstheater eher ein Problem haben: ein Publikum restlos und anspruchsvoll zu unterhalten. Und das auch noch mit zeitgenössischem Musiktheater. Um so mehr sind das Societätstheater und die Förderer zu loben, dass sie der freien Szene solche Produktionen ermöglichen. Die Zusammenführung von Katja Erfurth (Tanz), Ulrike Staude (Gesang), Florian Mayer (Violine) und Thomas Stecher (Spiel) unter der Regie von Sylvia Freitag war ein ziemlicher Glücksfall. Die Regisseurin gruppierte mehrere vor allem vokal und rhythmisch komplex komponierte Musiktheaterminiaturen von Jürg Wyttenbach, Georges Aperghis, Dieter Schnebel und anderen zu einem abstrakten, überaus sympathisch-skurrilen Quartettpanorama zusammen, von dem eine erfrischende Wirkung ausging. Sah man sich in einer Szene noch in einer Art Comedy-Show, so wurde daraus eine wildromantische Klage der Sopranistin, deren Kontrapunkt sich im nächsten Teufelsgeiger-Solo entlud. Gerade noch findet im Bühnenhintergrund ein gefährliches Duell zwischen Silbertablett und Geige statt, da malt die singende Tänzerin mit dem Finger Zeichen und Figuren in die Theaterluft. Sie läßt eine aberwitzige Schreib-Maschine entstehen, kurz nachdem der Zuschauer gerade das Erlebnis einen geigenden, über sein Schicksal jaulenden Clochards verdaut hat, der mit dem Instrument im Arm erstmal seinen Rausch ausschläft. Das Theater steht Kopf, und Schauspieler Thomas Stecher ebenfalls in Gerhard Rühms „Glaubensbekenntnis“, das sich als durchaus körperlich anstrengend vorzutragendes Kochrezept entpuppt. Verblüffend an dem ganzen Abend war die durchgehaltene Hochspannung der Akteure: nirgends führte die Kurzweiligkeit (einige Abschnitte dauerten nur wenige Minuten, flogen vorbei wie die Pferde am Bühnenhintergrund) zu Beliebigkeit oder Unterbrechung des Flusses. Der Wahnsinn hatte kalkulierte Methode und die durchaus sportlichen Partituren von Schnebel und Rühm sind nicht zu unterschätzen. Und bei aller Vielfalt sorgte die im Vokalen entstehende Syntax, der Sprachrhythmus bis hin zur Sprachbedeutung und schließlich daraus resultierenden Handlung für gehörigen Zusammenhalt des „Parcours“. Georges Aperghis „Récitations“ und Michael Lentz tragikomischer Sprechakt sorgten für die nötige Prosa, mit dem flirrenden Stück „Ahnung“ steuerte Florian Mayer sogar eine Uraufführung bei. Imposant war, wie sich die vier Künstler nicht nur auf ihrem eigenen Terrain bewegten, sondern auch andere Darstellungsformen mit Genuss exerzierten. Diese musikalische Olympiade der etwas anderen Art war ein voller Erfolg und zeigt einmal mehr, wie mitreißend zeitgenössische Musik auf der Theaterbühne sein kann, wenn man ihr mit Mut, Können, Spielfreude und vor allem Überzeugung begegnet.

„Partitur Parcours“: weitere Aufführung: 22.5.2008, 20 Uhr, Kleine Bühne im Societätstheater

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