Matthias Lorenz in seiner Reihe „Bach.heute“
Was hätte wohl Johann Sebastian Bach gesagt, wenn er, in unserer Zeit lebend, sich die Partituren von Reiko Füting oder Nicolaus A. Huber angeschaut hätte? Sicherlich wäre er über die Behandlung des Violoncellos erstaunt gewesen, die er doch zu seiner Zeit in seinen Solo-Suiten zu so großer Meisterschaft gebracht hat. Doch er hätte auch viele Korrespondenzen entdeckt. Diese auf mehreren Ebenen der Stücke nachweisbaren Nachbarschaften sind die „Spurenelemente“, auf denen der Cellist Matthias Lorenz sein Konzert-Konzept „Bach.heute“ aufbaut. Am Donnerstag fand der zweite Abend dieser auf fünf Jahre angelegten Reihe in der Blauen Fabrik statt; 2009 wird man dann das nächste Konzert rund um die dritte Bach-Suite erleben. Der 2. Suite d-Moll gab er das Thema „Wie fängt etwas an, wie hört etwas auf?“ – ein weites Feld angesichts der kontrapunktischen Kunst, die sich schon im Prélude der Bach-Suite entfaltet. Lorenz stellte Bach in sinnfälligen Bezug zu den zeitgenössischen Beiträgen des Konzertes und so sponn sich ein Faden durch alle Werke, an dessen Ende die auch interpretatorisch vollzogene Spiegelung des Bach-Werkes durch die Gegenwart stand. Reiko Fütings „re-fraction:shadows“ wirkte in sich durch ein reduziertes, kräftig wirkendes Tonmaterial sehr geschlossen, dennoch entstand der Bezug zum Thema durch eine Übermalungstechnik, die der ersten Klangerscheinung einen weiteren Satz, dann sogar weitere Stücke und Instrumente hinzufügte. Friedemann Schmidt-Mechau begab sich mit „Fehlversteck“ eher auf eine aphoristische Spielwiese, bei der der Teufel für den Zuhörer im Detail lag: war das Erklungene gerade der Anfang, ein Ausschnitt oder gar schon der Endspurt? Und wie „sicher“ ist überhaupt eine interpretierte Version? Dass man über die klaren Erläuterungen von Lorenz zu den Stücken auf den Grund musikalischen Wahrnehmens selbst geführt wurde, ist ein herausragendes Ergebnis dieses gelungenen Konzertes. Dazu zeigte sich Lorenz in allen Stücken vollkommen über den Stücken stehend, so dass auch die musikalische Intensität zur überzeugenden Wirkung beitrug. Tom Johnsons „Infinite melody #4“ führte vor der Pause in unendlich scheinende Klangwelten bei totaler Vorhersagbarkeit des Materials, was den Hörern zumindest für einige Minuten den nachvollziehenden Geist reinigte. Nicolaus A. Hubers „Wechselwirkung“ brachte Publikum und Interpret mit augenblicklichen, abrupten Gesten wieder auf den Boden markant komponierter Tatsachen zurück. Am Ende wirkte die zweite Bach-Suite wie das freundliche Resümee des „Vaters“ aller dieser Werke und erhielt durch Lorenz eine robuste, aber immer überlegte Interpretation.
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