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Festakt mit Brahms und Bruckner

2. Sinfoniekonzert der Staatskapelle zum 460. Geburtstag

Anzusehen ist ihr das hohe Alter nicht, hören wird man es erst recht nicht, und wenn doch, dann im Sinne eine über Jahrhunderte gewachsenen Tradition einer aufrichtigen Haltung zur Musik: Die Sächsische Staatskapelle Dresden feiert dieser Tage ihren 460. Geburtstag. Bescheiden fallen die Feierlichkeiten aus, hat doch gerade erst die neue Konzertsaison begonnen, und so gibt es eine Ausstellungseröffnung, ein Kinderkonzert und ein Sinfoniekonzert. Dies alles hätte ohnehin stattgefunden, aber schon im 2. Sinfoniekonzert am Sonntagvormittag konnte man einen gewissen festlichen Charakter im Raum spüren. Der kanadische Gastdirigent Yannick Nézet-Séguin, der zum dritten Mal ein Sinfoniekonzert der Kapelle leitete, legte sich daher auch mächtig ins Zeug für die „alte Dame“. Werke von Brahms und Bruckner lagen auf den Pulten und mit zwei herausragenden Solisten geriet Brahms‘ Doppelkonzert a-Moll Opus 102 zu einem wahren Festakt. Julian Rachlin (Violine) und Mischa Maisky (Cello) braucht man hier nicht mehr vorstellen, sie gehören lange schon zur obersten Riege ihrer Zunft und schätzen sich auch als Kammermusikpartner. Diese Eigenschaft war natürlich gewinnbringend für die Interpretation des Doppelkonzertes, denn mühelos spielten sich die beiden die Bälle zu und verschmolzen im zweiten Satz souverän in einer einzigen strömenden Melodielinie. Für gediegene Klassik stehen diese beiden Künstler nicht, man hatte stattdessen das Gefühl, Augenzeuge einer im Moment entstehenden, sofort gestaltenden und reagierenden Interpretation zu sein, die vor allem Dramatik und Lyrik so optimal auspendelte, bis der typisch erdige, voluminöse Brahms-Klang sich entfaltete. Yannick Nézet-Séguin brauchte da am Pult eigentlich nur wenig unterstützen, denn das leidenschaftliche Spiel der Solisten übertrug sich sofort auf das Orchester. Nach der Pause erklang die Urfassung der 3. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner. Damit wählte das Orchester zum Geburtstagskonzert nicht eben den bequemsten (4. Sinfonie), aber auch nicht den monströsesten (8. Sinfonie) Weg, sondern ließ sich auf die wechselvolle Rezeptionsgeschichte eines Werkes ein, mit dem Bruckner trotz mancher Diskussion und Ablehnung sinfonisches Selbstvertrauen erlangte. Zudem verbindet die Kapelle mit dem Stück die Uraufführung der Originalfassung, die Joseph Keilberth 1946 im Kurhaus Bühlau dirigierte. Fast zwanzig Minuten Musik (aber auch einige Generalpausen) mehr bietet die Urfassung gegenüber mindestens fünf (!) späteren Fassungen. Das führt nur im 2. Satz zu einigen gespürten Längen, ansonsten entsteht das Bild eines monumentalen, in Wellen anrollenden Ungetüms. Man hätte der „Dritten“ auch ohne weiteres den Beinamen „Die Plötzliche“ verleihen können, so oft wie Bruckner hier mit Abbrüchen, Tonartrückungen oder auf den Kopf gestellter Form überrascht. Erst in den letzten Takten befreit sich die Sinfonie erlösungsartig mit dem Hauptthema des 1. Satzes aus ihren Verwicklungen, die in ihrer ständigen Neugenese für romantische Verhältnisse nahezu avantgardistisch wirken. Yannick Nézet-Séguin verzichtete auf Pathos und Gottesdienst zugunsten von vorwärtsdrängenden Steigerungen und Akzentuierung der harmonischen Ebene. Damit lag er richtig, wenngleich seine Körperaktion zu oft (und leider auch gleich in den ersten Takten der Sinfonie) zu lautes Spiel hervorbrachte, was bei Bruckners großbögigen Tutti-Passagen eben nur bis zu einer gewissen Grenze sinnvoll ist – jenseits dieser wirkt die ausgeübte Kraft gewalttätig statt geerdet. Schön war die rhythmische Arbeit bei Akzentuierungen zu beobachten, aber in den beiden ersten Sätzen haperte es in den Unisono-Passagen an Genauigkeit im Zusammenspiel. Stark war die Finalwirkung des 4. Satzes, hier wie auch im äußerst lebendigen Scherzo hatten sich Dirigent und Orchester dann vollkommen auf die notwendige, adäquate Intensität der Spannung verständigt.

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