Ensemble ascolta gastiert bei den Tagen zeitgenössischer Musik
Die Filmavantgarde der 1920er-Jahre in Deutschland ist schon für sich genommen sehr spannend, denn die Experimentalfilme von Hans Richter, Oskar Fischinger und Walter Ruttmann sind unbestritten nicht nur Wegbereiter für eine Theorie der Filmkunst gewesen sondern immer auch Anreger für ähnliche Filme oder Kunstexperimente bis hinein in die heutige Zeit. Die Musikavantgarde war schon damals gesuchter, erwünschter Partner dieser visuellen Kunst und so ist es eine schöne Idee, die nur vermeintlich „alten“ Filme mit (oft ebenso vermeintlich) „neuer“ bzw. neu komponierter Musik zu verbinden. Bei den Tagen der zeitgenössischen Musik in Hellerau gastierte das Stuttgarter Ensemble „ascolta“, das in Zusammenarbeit mit dem ZDR/arte seit 2004 solche Aufträge zur Neuvertonung der Experimentalfilme an Komponisten vergibt. Vier Uraufführungen gab es am vergangenen Freitag im Festspielhaus zu hören. Interessant war bei allen Werken des Abends die jeweilige Verschränkung der auditiven und visuellen Ebene, was von kompletter Parallelexistenz abstrakter Formen (Friedrich Schenker mit kraftvoller Musik zu „Lichtspiel Opus 1“ von Walter Ruttmann) bis hin zum illustrativen, Nacherzählen eines Films durch die Musik (Carola Bauckholt zu „Vormittagsspuk“ von Hans Richter) reichte. Georg Katzer konnte wie Schenker im abstrakten Bereich verweilen; das „Lichtspiel Schwarz-Weiß-Grau“ von László Moholy-Nagy vertrug denn auch sowohl autonome musikalische Gedanken wie auch die deutliche Bezugnahme auf die Geometrien des Films. Carola Bauckholt erreichte mit ihrer Ausmalung gerade noch das spielerische Element des „Vormittagsspuks“, die Aufeinandertürmung der Bild-Ton-Ebene führte jedoch maximal zu Geräuschhandwerk. Schiebetür geht auf: Ensemble spielt Glissando, Mann läuft: Klopfende Schritte im Ensemble. Bei diesem Handwerk blieb es und so vergaß man leider diese Tonschnipselei schnell. Richtig spannend waren die Beiträge des Abends an dem Punkt, wo Film und Musik sich gegenseitig durchdrangen und gemeinsam Gewinn erzielen konnten, aber ebensogut als einzelner Beitrag hätten bestehen können. Das war in Cornelius Schwehrs Vertonung des „Vormittagsspuks“ der Fall. Hier gelang eine in der Klangfarbenkomposition überzeugende Annäherung an den Film, wobei die Musik immer dann noble Distanz bezog, wenn der Film Raum zur Aufmerksamkeit benötigte. Ebenso überraschend, ja erfrischend frech kam „Entr’acte“ (René Clair) in der Vertonung des tschechischen Komponisten Martin Smolka daher, der vor drastischen Gesten nicht zurückschreckte, aber alle Klangereignisse in ein homogenes Zeit- und Formgewand hüllte. Weitere Stücke stammten von Bernd Thewes, Swen-Ingo Koch und Catherine Milliken, als besonderes Schmankerl steuerte das Ensemble „Studie Nr. 7“ von Oskar Fischinger auf den ungarischen Tanz Nr. 5 von Johannes Brahms bei. Unter der hochkonzentrierten und kundigen Leitung von Titus Engel war nicht nur die gute Synchronisation zu bestaunen, sondern auch eine anspruchsvolle, hochrangige Interpretation der neuen und neuesten Partituren. Nicht nur die Komponisten waren am Ende darüber glücklich, das Publikum dankte ebenfalls für diesen außergewöhnlichen Filmmusikabend.
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