Skrjabins „Promethée“ im 2. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie
Die Wurzeln der heutigen Musik sind niemals an einem einzigen Punkt der Musikgeschichte zu erklären. Schönbergs Zwölftontechnik darf man ebensowenig alleine heranziehen wie die neue Tonsprache Strawinskys. Dass ein Konzert in kluger Programmdramaturgie dennoch einen spannenden Lichtschein (hier sogar im wahrsten Sinne des Wortes) auf die Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu werfen imstande ist, zeigte das 2. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie. Lange hatte die Philharmonie geplant, den „Promethée“ von Alexander Skrjabin mit einer Realisatin des von Skrjabin notierten Farbenklaviers aufzuführen, die kurzfristige Schließung des Kulturpalastes im letzten Jahr stand der Aufführung im Weg. Nun war es soweit: der Lichtdesigner Andreas Fuchs widmete sich der Partitur des russischen Synästheten und schuf eine absolut überzeugende visuelle Lösung, die hohes künstlerisches Niveau bewies und sich gottlob fern allen Spektakels ansiedelte, das leider allzu oft angesagt ist, wenn man einem Sinfonieorchester ein paar bunte Scheinwerfer zuordnet. Zudem war die Konzentration auf die Rückleinwand einer leicht distanzierten, Verständnis und Durchsicht fördernden Wirkung des Werkes zuträglich. Welche komplexen, durchaus irritierenden Visionen eines Gesamtkunstwerkes Skrjabin 1915 entwarf, wurde in Fuchs Darstellung mitsamt der starken Interpretation der Dresdner Philharmonie unter der engagierten Leitung des jungen Gastdirigenten Cornelius Meister deutlich: hier bewegte sich ein Komponist auf den Grenzen zwischen Philosophie, Musik, Religion und Natur. Farbstimmungen und Musik erschufen ein eigenes, neues Kunst-Werk, das in dieser Form unbedingt geschlossen und organisch wirkte – die harten, schnellen Wechsel in Musik und Farbe sind ja teilweise von Skrjabin selbst intendiert. Und damit war auch der Rest des Konzertprogrammes logisch, denn wie etwa hätte Skrjabin seine Ideen ohne Richard Wagners Vorarbeit entwickeln können? Das betraf nicht nur die Ebene der Theorie des Kunstwerkes, sondern ging bis in die Details von Harmonik, Form und Orchestration. Somit startete die Philharmonie auch mit der Orchestermusik aus „Tannhäuser“ in ansprechender, behutsamer Interpretation, wenngleich Meister die Themen etwas zu geradlinig musizieren ließ. Fast schon genial als „Scharnierwerk“ war genau in die Mitte des Konzertes „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg platziert, auf Pausen und Applaus hätte man angesichts der eigentlich frappanten Verbindungen zwischen den Stücken sogar verzichten mögen. Der Klavier-Solopart des „Promethée“ ist stark in das Orchester integriert, der Pianist Alexander Toradze hatte jedoch aufgrund eines zumeist recht perkussiv orientierten Spiels keinerlei dynamische Probleme und konnte in den wenigen leisen Solopassagen mit schwereloser Eleganz brillieren. Doch hing über diesem „lichten“ Konzert dennoch ein dunkler Schatten und der betraf die akustische Ebene: die offenbar notwendige Verhängung der Bühnenseiten schluckte jegliches forte, so dass man nur die leisesten Stellen aller drei Stücke (so etwa den zauberhaft musizierten Beginn der Tannhäuser-Ouvertüre) wirklich genießen konnte und die Balance der Instrumente ansonsten schwer gestört war. Im Schönberg fehlte die absolut notwendige voluminöse Tiefe des Streicherklangs komplett. Die typisch Skrjabinsche Extase der immer wieder anrollenden Tutti-Strecken im „Promethée“ blieb im schweren Vorhangstoff kleben und anstelle sich wie eine Klangwalze über die Zuhörer zu legen, konnte man den engagierten Musikern nur beim fortissimo zusehen. Auch der Chor musste akustisch blass bleiben, da hätten auch zweihundert Stimmen mehr nichts genutzt. Meister brach leider den Schlussakkord äußerst früh ab – hier hätte man zumindest die Chance einer annähernd vollständigen Übertragung in den Zuschauerraum gehabt. Da „Promethée“ aufgrund seiner Komplexität zu mehrfachem Hören einläd und die tolle Lichtumsetzung von Andreas Fuchs unbedingt einer Wiederholung bedarf, freuen wir uns einfach auf eine Wiederaufführung in einem neuen Konzertsaal, der dem Anspruch des Werkes und dem Spiel des Orchesters adäquat ist.
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