Schostakowitschs „Leningrader Sinfonie“ im 8. Kapellkonzert
Angesichts der Aufführung der in jeglicher Hinsicht alle Extreme herausfordernden 7. Sinfonie C-Dur Opus 60, der „Leningrader Sinfonie“ von Dmitri Schostakowitsch, die im Zentrum des 8. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden stand, war das „Klavierkonzert für die linke Hand“ D-Dur von Maurice Ravel am Beginn des Konzertes eine schwere Aufgabe für den international renommierten Pianisten Nikolai Lugansky. Der Auftakt in den Sonntag gelang spielerisch und unterhaltsam, wenngleich die metrische Härte, die Lugansky und der Gastdirigent Vladimir Jurowski mit einer auf Präzision abgestellten Interpretation vorstellten, nicht unbedingt zu Ravels in oft träumerische Schwerelosigkeit abdriftende Partitur passen wollte. Da fehlte mir die Freude, der Überschwang und auch ein bißchen die Raffinesse – das Orchester machte in vielen Passagen vor, wie man sich in Ravel „hineinlegen“ kann, doch Lugansky blieb überwiegend steif und korrekt.
Wenn ein Werk über 65 Jahre nach seiner Uraufführung immer noch als Mythos gilt und nicht nur eine spannende Aufführungsgeschichte, sondern auch heute immer noch höchst unterschiedliche Deutungsweisen und Diskussionen aufweist, so sollte sich eine Rezension mehr als bei anderen Werken am klingenden Ergebnis orientieren. Denn die Wirkung einer Aufführung der 7. Sinfonie C-Dur Opus 60, der „Leningrader Sinfonie“ ist heute ungebrochen und öffnet den Blick in eine Welt, die gerade der jüngeren Generation fremd und schreckenhaft, aber auf der emotionalen Ebene dennoch sehr vertraut vorkommen muss. Nichts anderem als tiefem Humanismus begegnen wir in den Tönen dieses sinfonischen Kolosses, der wütet, weint, klagt, meditiert und an wenigen Stellen auch hofft. Die zutiefst empfundenen Passagen des 3. Satzes bilden eigentlich den emotionalen Kern eines Kunstwerkes, das zu Beginn mit ohrenbetäubender Härte über den Zuhörer kommt und ein Entrinnen unmöglich macht. Vladimir Jurowski, Chef des London Philharmonic Orchestra und in letzter Zeit mehrfach bei der Sächsischen Staatskapelle zu Gast, gestaltete die Aufführung der Sinfonie mit knapper Zeichengebung und zuweilen ungewöhnlichen und interessanten interpretatorischen Ansichten. So fegte der Beginn des 1. Satzes in wilder Entschlossenheit vorüber. Die oft nach vorn ausbrechende Tempoebene Jurowskis war nicht an jeder Stelle der Sinfonie dazu geeignet, Transparenz und Übersicht in die Klangmassen zu bringen. Da die Aufstellung mit getrennten Violinen sowie den tiefen Streichern auf der linken Seite offenbar gewöhnungsbedürftig war, gab es in manchen unisono-Passagen Probleme, die Jurowski nicht immer auffangen konnte. Dagegen setzte er den martialischen Marsch des 1. Satzes deutlich, mit immensem Steigerungswillen und ohne Hetze vom übrigen Geschehen ab. Ruhige Gelassenheit bestimmte den 2. Satz, ein optimal gesetzter, scharfer Bläserklang eröffnete den dritten – damit grenzte Jurowski die Ausdruckswelten deutlich voneinander ab. Der dritte Satz war von guter Balance und intensivem melodischen Spiel etwa im ausladenden Abgesang der Bratschen gekennzeichnet. Der 4. Satz hatte wiederum die Entschlossenheit und oft auch die Brutalität des Beginns. Ein jubelndes Finale sieht anders aus und angesichts der vielen Dur-Moll-Schwankungen erscheint logisch, dass Schostakowitsch seine eigenen programmatischen Notizen vom Sieges-Finale wieder streichen musste. Insgesamt wäre in der Sinfonie statt des zumeist statisch durchgezogenen Tempos von Jurowski mehr Luftigkeit gerade an Übergängen wünschenswert gewesen, um noch einige verborgene Ebenen und Schönheiten des Werkes hörbar zu machen. Großen Applaus gab es am Ende, als Jurowski der Kapelle für eine außergewöhnliche Leistung dankte und anschließend Schostakowitschs Partitur in die Höhe hielt – eine schöne, seltene Geste.
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