Gabriela Montero begeisterte in der Semperoper
Improvisieren, das ist die hohe Kunst im Jazz. Auch in der zeitgenössischer Musik wird immer wieder einmal improvisiert. Vom Organisten verlangt man es ohnehin, wenn die Braut beim Auszug aus der Kirche länger braucht. Aber ein Pianist? Der benötigt Improvisation doch nur, wenn er einen Black-Out hat. Falsch. Ginge es nach der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero, so dürfte Improvisation gängiger Bestandteil aller Klavierrecitals werden, allein: wer außer ihr beherrscht dieses Fach auf eine so unnachahmliche Weise und tritt damit auf öffentlich auf? Schließlich geht es nicht darum, einige Themen adhoc in verschiedenen Farbstufen vor sich hin zu klimpern. Gabriela Montero entwirft da binnen Sekunden ganze Rhapsodien, so dass man meinen könnte, auf Liszts Dachboden hätte sich noch eine Kiste mit Manuskripten gefunden. Neben der improvisierten Konzerthälfte bot Montero aber auch im ersten Teil ein „normales“ Recital. Das Wort ist aber gleich wieder zu streichen, denn ihre Interpretationen erreichten eine so außergewöhnlich intensive Ebene, dass man sich in einem pianistischen Wunderland wähnte. Die berühmte Violin-Chaconne von Bach in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni geriet am Beginn des Konzertes zu einem Exempel: Atmende Phrasierung und Tempoführung, ein vielseitiger Anschlag und eine kluge Einteilung von dynamischen Verläufen waren nur einige Marksteine dieser Takt für Takt überzeugenden Interpretation. Für mich hätte dieses Erlebnis schon ausgereicht, aber natürlich war auch spannend, wie sie sich nach diesem überstandenen Gipfelsturm den Klavierstücken Opus 118 von Johannes Brahms nähern würde. Und erneut stand man einem Wunder gegenüber: Montero vergoldete die Intermezzi und Balladen derart, dass man gemeinsam mit ihr auf behutsame und respektvolle Weise Brahms‘ Emotionswelten ergründen konnte. Im Intermezzo es-Moll war man spätestens dem Zauber von Monteros intensiver und gleichzeitig bescheiden-sinnlicher Gestaltungskunst erlegen. Ihr traumhaftes Pianissimo und ihr Wille zum Innehalten war Bestandteil der reifen, überlegten Brahms-Interpretation. Dass sie auch den (Tasten-)Löwen in sich hat, bewies sie mit Alberto Ginasteras 1. Klaviersonate, die ein vergnügliches Feuerwerk lateinamerikanischer lauter und leiser Töne war, von Montero mit schier unerschöpflichem Kraftvorrat vorgetragen. Nach der Pause war man sich mit Gabriela Montero einig: keiner wusste, was passieren würde. Die Gesangsbeiträge aus dem Publikum erreichten leider nicht ganz die Qualität der darauf folgenden pianistischen Darbietungen, ein Vergnügen war es allemal, und so durfte man den „Uraufführungen“ der Konzertparaphrasen über „Summertime“, dem Kanon „C-A-F-F-E-E“ (mit leichtem Milhaud-Einschlag), und Bernsteins „America“ lauschen. Mein Favorit war allerdings Mozarts „Komm lieber Mai“, in welchem Montero ohne mit der Wimper zu zucken von Chopin zum Boogie wechselte – und das gekonnt! Oft schien sie völlig versunken in ihrer Improvisierwelt: ganz eigene, zauberhafte Phrasen wurden da geboren und verwehten wieder – ein einzigartiges Recital war dies, bei der sich Gabriela Monteros Vergnügen an ihrer „Arbeit“ nahtlos auf das Publikum übertrug – man freute sich gemeinsam und dankte ihr mit stehenden Ovationen.
Und als kleine Zugabe:
Impro über „M’r losse de Dom in Kölle“
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