Beifallssturm für Hélène Grimaud in der Semperoper
Sehr lässig und entspannt sah es aus, als Hélène Grimaud am Pfingstmontag die Bühne der Semperoper betrat. Nur die freundlich-bestimmte Miene der weltberühmten Pianistin verriet bei der Begrüßung in der Semperoper die Konzentration. Das Programm ihres Recitals innerhalb der Dresdner Musikfestspiele folgte recht genau der letzten CD-Veröffentlichung, deren Titel unverblümt und ausschließlich auf die Musik weist: „Bach“. Im Konzert hatte sie statt des begleiteten Bach-Concertos d-Moll eine Beethoven-Sonate ausgewählt; mit der späten E-Dur-Sonate, Opus 109 behielt sie aber nicht nur die tonartliche Verwandtschaft zu den umgebenden Stücken bei, sondern lancierte so einen schwebend-schimmernden Wiener Klassiker zu Johann Sebastian Bach – viele Bezüge wurden dabei offensichtlich. Der erste Teil ihres Recitals gehörte der Bach’schen Moll-Welt, in dessen Zentrum Grimaud die Bach/Busoni-Chaconne aus der 2. Partita d-Moll platzierte. Die Annäherung an diesen pianistischen Gipfelsturm vollzog sie mit drei Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“: granitartig und geradlinig c-Moll sowie elegisch und mit gemäßigtem Tempo cis-Moll aus dem 1. Band, in stürmischem Wogen und emotional durchaus losgelassen dann das d-Moll-Präludium aus dem 2. Band. Nach der Fuge schloss sich nahtlos die Chaconne an. Hier war das Publikum schon vollkommen in den Bann gezogen, denn die Interpretationen der vermeintlich „kleinen“ Stücke zu Beginn waren kraftvoll und durchdacht. Jegliche Vergleiche zu vermeintlich referentiellen Interpretationen dieser bekannten Werke schlugen ohnehin fehl, denn was man hörte, war Grimaud mit Bach und diese schlichte Überzeugungskraft der eigenen Aussage teilte sich in jedem Werk unmittelbar und unverwechselbar mit. Bei der Chaconne selbst bohrte Grimaud das Thema wie große Pfeiler in die Tasten, um es aber anschließend zahlreichen Wandlungen zu unterwerfen. Hier wie auch in den Bach-Originalwerken entfaltete sie eine unbändige Kraft, die aber außer an finalen Steigerungen immer durch die Übersicht auf das Gesamtwerk leicht gebändigt war. So war ihr Bach-Zugang immer beides: emotional bis in die Extreme, und doch genau an deren Grenzen respektvoll und stets musikalisch, niemals brutal. Eine tolle Legato-Phrasierung zeigte sie in der Liszt-Bearbeitung von Präludium und Fuge a-Moll BWV 543. Interessant zu beobachten ist auch ihre differenzierte Pedalarbeit, die mir lediglich an wenigen Stellen (in den Präluden cis-Moll und E-Dur) in der Summe etwas zuviel des Guten erschien. Reizvoll war der Kontrast der Beethoven-Sonate nach der Pause, Grimaud näherte sich diesem stark dialektischen Werk mit derselben Farbgebung wie bei den Bach-Werken. Das erschien mir vor allem im Variations-Satz überzeugend, auf dem auch das Gewicht der Interpretation lag, denn Grimaud gestaltete die ersten beiden Sätze als deutliche Vorbereitung zu diesem pianistischen Wunderstück. Freundlich und hell klang das Konzert mit Sergej Rachmaninows Bearbeitung eines Partiten-Satzes von Bach aus – der folgende Beifallssturm war die ehrliche Anerkennung für eine große Künstlerin, die uns an diesem Feiertag in ihre Musikwelt einließ und viele überzeugende und intensiv nachwirkende Momente schenkte, zum Schluss entließ sie die glücklichen Dresdner mit zwei herrlich locker gespielten und farbenreich gestalteten Rachmaninow-Piècen.
Nachbemerkung: es geht nichts über das Live-Erlebnis. Wenn ich heute meine CD-Rezension desselben Programms wieder lese, scheinen Welten dazwischen zu liegen. Und gleichzeitig führt Grimaud den Beweis, dass keine Interpretation Endgültigkeit hat – es wäre ja auch arg langweilig, würde sie die CD-Lesart in allen Konzerten wiederholen. Die CD ist EIN Augenblick großer Musik, das Konzert am Montag war ein anderer. Bei allem Respekt vor grandiosen Studioaufnahmen vieler Künstler – das Live-Erlebnis ziehe ich dennoch vor.
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