Christian Thielemann zelebriert Anton Bruckner
Das 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle sollte GMD Fabio Luisi selbst leiten, krankheitsbedingt musste er jedoch absagen. Der in kurzer Zeit gefundene „Ersatzmann“ jedoch dürfte in diesem Fall für das Publikum weitaus interessanter als andere Einspringer gewesen sein, denn zumindest die beiden Vokabeln „Thielemann“ und „Dresden“ hört man in den letzten Wochen, seitdem bekannt ist, dass sich Fabio Luisi ab 2012 Dresden ab- und Zürich zuwenden wird, immer häufiger. Bescheiden winkte Thielemann bereits im Interview ab: das Gerede gehört zum Beruf. Viel mehr aber noch gehört die musikalische Visitenkarte dazu – von dieser konnten sich die Dresdner letztmalig 2003 und nun erneut überzeugen. Für das 2. Sinfoniekonzert änderte Christian Thielemann das Programm und wählte ein ihm sehr gut liegendes sinfonisches Werk aus (zu hoffen ist, dass die ursprünglich angesetzten Werke – Rebecca Saunders „G and E on A“ und Gustav Mahlers 7. Sinfonie bald nachgeholt werden können). Dass Thielemann zu nichts Geringerem als zum sinfonischen Gipfelwerk Anton Bruckners griff, läßt einem zunächst den Atem stocken und dann schon innerlich Vorfreude empfinden. Auch wenn die Ohren diesmal besonders gespitzt sein würden, ist doch das große Mysterium der 8. Sinfonie c-Moll immer wieder ein Ereignis. Die Kapelle ist den Werken Bruckners durch stetige Aufführungen verbunden; wo Wagner und Strauss zu den Hauskomponisten zählen, ist der spezielle Klang einer Bruckner-Sinfonie in besonderer Weise vertraut. Im nicht ganz ausverkauften Semperbau wurde Thielemann sehr freundlich begrüßt – die nächsten fast 80 Minuten durchflutete er das Haus mit einem (die Satzpausen nahm man kaum mehr wahr) musikalischen Spannungsstrom, den nur wenige Dirigenten in dieser Konsequenz zu erzeugen vermögen. Das Grundthema seiner Bruckner-Interpretation war der Umgang mit dem Thema Zeit, die Einfärbung und Wahrnehmung von Zeit, das Pulsieren, Innehalten, im wahrsten Sinne „Zeitgestalten“. Immer wieder waren es in allen Sätzen kleine körperliche Gesten, die das Tempo flexibel hielten oder eine Steigerung auf natürlichste Weise wieder in einen melodischen Fluss umbogen. Das war faszinierend und erzeugte bei der Kapelle einen durchweg weichen, hochgradig intensiven, aber dennoch leichten Gesamtklang. Auf dieser Zeit-Basis legte Thielemann die „Geschichte“ der 8. Sinfonie aus: der erste Satz noch als Fundament eines Gebäudes, als Exposition des Ganzen angelegt. Weiche Tutti-Passagen waren mehr als Vorahnung formuliert und das hauchzarte Verstummen am Ende erlaubte das Ausklinken aus dieser Welt. Unter Strom gelegt war ebenso der 2. Satz, aber dennoch erlaubte gerade das von Thielemann konsequente zelebrierte Ausmusizieren der Details das Hinhören und der absolute Ruhepunkt der ganzen Sinfonie war in der unwirklichen Harfen-Horn-Welt des Trios erreicht. Das Adagio wartete mit golden-erdenen Grundfarben zu Beginn auf – Thielemann fing hier an zu zaubern und zu malen, die Kapelle folgte in exzellenter Verfassung. Nicht der wolkenaufreißende Höhepunkt selbst faszinierte, aber wie Thielemann den Ausklang des Adagios anlegte und selbst nach dem kräftezehrenden Wogen noch die Geduld für glitzernde Streicherakkorde fand, das ist nur grandios zu nennen. Ebenso zwingend war auch das Finale mit einer deutlich abgesetzten Coda – die selbstverständliche Beruhigung mit immer neuen Themenvarianten ließ zu, dass sich die finale Apotheose in frei schwingender Kraft entfalten konnte. Auch hier ließ sich Thielemann Zeit, ohne betont langsam zu wirken – es war über alle Sätze hinweg die bedingungslose Hingabe an eine großartige Komposition, die offensichtlich wurde. Thielemann öffnete in diesem Werk manche Türen und Fenster und zeigte dem erstaunten Zuhörer die sich dahinter zahllos verbergenden Schönheiten, die nicht mehr verbal beschreibbar sind – von einem „Gewaltwerk“ ist diese Deutung der 8. Sinfonie nur denkbar weit entfernt. Vielleicht ist die Entdeckung und wunderbare musikalische Umsetzung dieser Schönheiten die wahre Überraschung dieses großartigen Konzertes.
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