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In den Armen der Götter

Klangforum Wien inszeniert in Hellerau einen Klangrausch in acht Abteilungen

Man hätte durchaus garstige Gedanken bei der Vorbereitung auf das Konzert am Sonnabend in Hellerau entwickeln können: acht Stunden zeitgenössische Musik unter reichlichem Alkoholeinfluss mit einem 6-Gänge-Menü verbunden, ja sind die Veranstalter der „TonLagen“ in Hellerau noch zu retten? Die Vermutung, ich hätte in gut dreizehn Jahren Rezensententätigkeit in den bisher nüchtern genossenen Konzerten alles falsch gemacht und nichts verstanden, erwies sich aber gottlob auch als (weitgehend) unrichtig. Der Titel des Gastspiels von „Klangforum Wien“, einem der renommiertesten Neue-Musik-Ensembles Europas löste die gedankliche Verspannnung und führte zurück in die Antike: „Symposion – Ein Rausch in acht Abteilungen“. Und wirklich, dieses Konzert hatte nichts zu tun mit der Kultur einiger Konzertbesucher des Sinfoniker-Konzertes am Vorabend, flaschenweise Bier auf die Zuhörertribüne zu schleppen. Kultur bildet sich natürlich nicht ohne Tradition und so könnte man bei der Thematik „Genuss von Musik und edlen Tropfen“ sehr weit in der Musikgeschichte zurückgehen. Im Sinne des Symposions ging es im Festspielhaus ganz und gar griechisch zu und dafür reisten sogar interessierte Philologen der Humboldt-Universität Berlin an. Sven Hartberger, Intendant des Klangforum, gab den Symposiarchen und leitete zu Konversation und maßvollem Genuss an. Den Wein- und Musikgöttern Dionysos und Apollon wurde gehuldigt, und wer schon vorher harter Tagarbeit nachgegangen war, konnte sogar Morpheus‘ Schenkungen empfangen. Zu diesem Zwecke wurde die Konzertbestuhlung aufgehoben und man fühlte sich auf rotem Futon sitzend oder liegend wohl. Nicht außer acht lassen darf man den Ausnahmezustand dieser Veranstaltung, keinesfalls wünscht man sich zeitgenössiche Musik so immer zu hören, wie eine Wiener Zeitung angesichts des Symposions frohlockte. Denn Platons überlieferte Schilderungen der Öffnungen des Geistes mögen für die Redekunst gelten, ob aber die Rezeption von Helmut Lachenmann oder Magnus Lindberg durch österreichische Rieslinge positiv beeinflusst wird – die wissenschaftliche Untersuchung steht noch aus, der Rezensent stellt fest: in Maßen genossen trägt das große Gastmahl dazu bei, sich den halbstündigen Musikabschnitten immer wieder neu mit Vorfreude und offener Neugier zu widmen. Dazu ist der soziale Aspekt nicht zu vernachlässigen: Hartberger leitete zur Bewegung der Zuhörer an und die Tafel wurde bei jedem Gang anders besetzt. Interessante Gespräche entwickelten sich in fast familiären Rahmen (denn alle waren zum selben Zwecke erschienen), die im konventionsgeprägten Pausenfoyer eines Opernhauses undenkbar scheinen. Kaum jemand hätte sich auch die zwölf durchaus nicht nebenbei zu genießenden Kompositionen des Abends ohne Unterbrechung angetan. Hochrangig wie Essen (Schmidt’s Restaurant) und Wein waren die Interpretationen, von denen Helmut Lachenmanns „Gran Torso“ und Magnus Lindbergs Klarinettenquintett als herausragend zu erwähnen sind. Das Panorama der Musik demonstrierte die Vielfalt der Handschriften zwischen (dem im übrigen viel zu selten aufgeführten) Franco Donatoni und Saed Haddads libanesischem Bolero „Le Contredésir“. Kurz nach Mitternacht verzieh man diesem die Skurrilitäten ebenso wie Pironkoffs völlig verkopftem „Fall/Wende“, das auch in nüchternem Zustand nicht zu ertragen gewesen wäre. Freude entstand ebenso über eine Aufführung von Strawinskys rarem Septett, über Georges Aperghis‘ Trommel-Theater „Le Corps à Corps“ (leider „nur“ in Deutsch) und natürlich stand am Ende ein gebührendes Rausch-Stück: Terry Rileys „In C“ bildete das im Ensemble atemberaubend zu einer rhythmisch pulsierende Klangmasse verschmelzende Finale eines denkwürdigen Abends, bei dem allenfalls der Preis zu kritisieren wäre: soviel Geist und Genuss sollte für jedermann möglich und bezahlbar sein, und bei aller Gaumen-Entdeckerfreude hätte es die Hälfte der kostspieligen Tropfen sicherlich auch getan.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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