Benjamin Schweitzers „Dafne“ als szenische Uraufführung in Freiberg
Mut und Offenheit gegenüber zeitgenössischen Künsten bewies, wer am Mittwochabend die Premiere des Mittelsächsischen Theaters in Freiberg besuchte. Denn mit Benjamin Schweitzers „Dafne“ stand ein zeitgenössisches Musikwerk auf dem Programm, dessen Realisierung und fragmentarische Spezifik jenseits aller bekannten Genres dem Zuhörer einiges abverlangte. Die Götterversammlung fand nicht in den heiligen Theaterhallen statt, sondern sehr profan und zeitgemäß im Karl-Kegel-Bau der TU Bergakademie Freiberg. Erste Feststellung (auch der Regie): das 2006 in Berlin bereits konzertant vorgestellte Werk des 1973 geborenen Komponisten dauert genau eine halbe Stunde. War es da Not oder Tugend, den Abend mit Erläuterungen, Lesestunde im Hörsaal und Wandeltheater in der Maschinenhalle aufzublähen? Dem gleich neben dem Kassentisch zu Beginn aufgeführten Madrigal „Così morir debb’io“ von Heinrich Schütz kam jedenfalls eine Schlüsselfunktion zu. Zum einen als Huldigung an den Sagittarius, dessen eigene Dafne-Musik nicht mehr erhalten ist, zum zweiten aber, und damit setzte Dirigent Jan Michael Horstmann das erste Ausrufezeichen, trifft das Madrigaleske, Filigrane ganz den Kern von Schweitzers Kompositionsweise und bildet somit die Brücke zur Gegenwart.
Denn mit der altbackenen Genreschublade „Oper“ kommt man bei diesem Collage-Fragment nicht weit, da nützt auch der putzig inszenierte Tag der offenen Tür auf dem Götterberg Olymp nichts mehr. Mit der Harmlosigkeit des Schäferstücks allein gibt sich Schweitzer nicht zufrieden. Seine Hinzudichtungen, Umstellungen oder Dopplungen sind so behutsam, dass man das Gefühl nicht losbekommt, an dieser Götter-Speise könnte man sich die Finger verbrennen, wenn zuviel Barock, zuviel Oper oder gar zuviel Musik hineinkäme. Sauber trennt er Licht und Schatten des Stoffes, wird als Komponist eher zum Betrachter der Gemengelage und läßt offen, ob das ökologische Nirwana der Dafne als singender Baum eher der Comoedie oder dem Drama zuzuordnen ist. Regisseurin Judica Semler indes kümmerte sich wenig um die Fragilität des Fragmentes, sie beließ die barocken Figuren in ihren Kokons. Lediglich der hervorragend präsente Chor ist bebrillt im Stande, die Szenerie sowohl scharfzustellen, Blindheit vorzutäuschen oder schlicht per Grubenlampe Noten und Text zu lesen. Letzteres ist dem Publikum leider nicht vergönnt, doch gerade die Schweitzersche Behandlung des Originaltextes von Martin Opitz (1597-1639) hätte weitergehendes Verständnis ermöglicht. Uta Simone (Dafne), Susanne Engelhardt (Cupido), Miriam Sabba (Venus) und Guido Kunze (Apollo) bilden ein sängerisch sehr überzeugendes Götterensemble, Christian Weber legte als Ovid etwas zuviel Emphase in seine Erläuterungen. Ein kleines, feines Instrumentalensemble hielt in dieser kurzweiligen „Dafne“ die Fäden zusammen und dort spielt sich auch wirkliches Kammertheater ab: Schweitzer entfernt alle künstliche Erzählzeit aus dem Stück (was dem Hörer Anstrengung abnötigt, denn sowohl Liebeswerbung, Verwandlung als auch Tod sind in wenigen Minuten passé) und bietet eine in den Momentaktionen unglaublich variantenreiche Klangpalette feil. Ein überflüssiger Zeitfüller war indes die Darstellung von zeitgenössischen Spieltechniken auf den Instrumenten vor Beginn der Oper, was nur ohne ärgerliche Veralberung des Sujets einigen Sinn gemacht hätte. Der starke Beifall am Schluss zeigte, dass das offene, begeisterte Freiberger Publikum solcherlei bemühtes Beiwerk kaum benötigt – über gutes Essen redet man nicht, man genießt es. So hätte Schweitzers Werk in Freiberg auch durchaus für sich alleine sprechen können, die Zurseitstellung eines kontrastierenden Einakters oder einer Barockoper wäre spannende Aufgabe für die Zukunft.
Weitere Aufführung: Dienstag, 1.12., 19.30 Uhr
http://www.mittelsaechsisches-theater.de
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