Gustav-Mahler-Jugendorchester gastierte unter Sir Colin Davis in der Semperoper
Es ist schon eine ganz kleine, feine Tradition geworden: bereits zum dritten Mal eröffnete das Gustav-Mahler-Jugendorchester mit einem spätsommerlichen Gastspiel in der Semperoper die neue Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle. Wohl müssen wir uns noch zwei Wochen bis zum 1. Sinfoniekonzert unter Leitung von Christian Thielemann gedulden, doch der Auftritt des Gustav-Mahler-Jugendorchesters war weit mehr als ein Appetithappen.
Schließlich stand mit Sir Colin Davis kein Geringerer als der Ehrendirigent der Staatskapelle am Pult, der das Jugendorchester nun zum zweiten Mal nach 2008 während seiner Sommertournee leitete. Die Zuhörer konnten sich bei dem Genuss eines abwechslungsreichen Programmes, das einen Bogen von Tschaikowsky über Ravel zu Strawinsky spannte, von der hohen Qualität des europäischen Instrumentalistennachwuchses überzeugen – viele ehemalige Mitglieder des Jugendorchesters spielen heute in den großen Orchestern in aller Welt, einige auch in Dresdner Orchestern.
Doch auch wenn in diesem, zweifellos einem der besten Jugendorchester Europas ein atemberaubend hohes technisches Niveau zu beobachten ist, die halbjährlichen Projektphasen dienen eben nicht nur dem professionellen Erarbeiten großer Konzertliteratur, sondern bieten auch das Erlebnis, in den Konzertzentren Europas unvergessliche musikalische Augenblicke mitzugestalten.
Ein solcher wurde den Zuhörern beim Dresdner Konzert ausgerechnet im leisesten, intimsten Stück des Abends geschenkt, nämlich in Maurice Ravels Liederzyklus „Shéhérazade“. Was Sir Colin hier vor allem im zweiten und dritten Satz in enger Partnerschaft mit der herausragenden amerikanischen Mezzosopranistin Susan Graham an seidigem Klang aus dem Orchester hervorzauberte, war einzigartig. Man hatte das Gefühl, der Entstehung eines pastellenen Gemäldes beizuwohnen, und das auch noch in völlig entschleunigter Zeit. Grahams tolle Stimmführung kannte daher auch keine Grenzen in der poetischen Ausdeutung des Textes, und das Orchester folgte mit hervorragendem Piano und feinster Klanggestaltung.
Dass ausgerechnet diesem Werk nach der Pause eine der offenherzig lautesten Sinfonien der russischen Spätromatik folgte, war der Farbigkeit des Programms geschuldet und stellte kein Problem dar. Die jungen Musiker zeigten sich bei der 4. Sinfonie f-Moll von Peter Tschaikowsky hoch-, aber niemals übermotiviert und konnten auch in der thematischen Gestaltung brillieren. Im Pizzicato-Scherzo ließ Davis den mächtigen Streicherapparat ganz allein musizieren – das muntere Räderwerk der 74 Saiteninstrumente lief wie am Schnürchen. Im Andantino wurde flüssig und ohne Leidenspathos musiziert, in den Ecksätzen war ordentlich Pomp, aber auch staunenswerte Präzision aufgefahren – das führte zu großem Beifall am Konzertende.
Allerdings hatte das offenbar noch halb im Urlaub befindliche Publikum damit ohnehin nicht gespart und damit sowohl die Spannung im Liederzyklus zerstört als auch den Fluss der eingangs aufgeführten „Sinfonie in drei Sätzen“ von Igor Strawinsky unterbrochen. Hier war dem Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Davis kompromisslos klarer Führung bereits eine prägnante Interpretation gelungen, die Kraft und Leichtigkeit dieses manchmal fahl-rhythmischen, manchmal augenzwinkernd liebreizenden Werkes völlig selbstverständlich vereinte.
[24.8.2011]
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