Beethoven, Ravel und Tanejew im Schloss Moritzburg
„Moritzburg mobil“, so könnte man eine neue Sparte des Kammermusikfestivals benennen, denn nicht nur innerhalb des Schlosses erkunden die Musiker mit dem Monströsensaal nun sperrungsbedingt eine neuen Spielort, bei dem ein Viertel des Publikums in einen zweiten Saal ausgelagert werden muss und man je nach Sitzposition interessante Halleffekte entdeckt. Längst haben die Künstler aber auch außerhalb des Schlosses ihr Netz aus feiner Musik über Schloss Proschwitz bis nach Dresden ausgebreitet und geben ja auch Gastspiele, um für die „Sommerpartie“ zu werben.
Glücklich kann sich schätzen, wer einen solch sonnigen Sonntag in der Landschaft in vollen Zügen genießen kann; pünktlich zur Dämmerung am See lockte dann der Kulturgenuss ins Schloss: Werke von Ludwig van Beethoven, Maurice Ravel und Sergej Tanejew standen auf dem Programm des Konzertes, das ziemlich genau zur Halbzeit des Festivals stattfand. Von Müdigkeit ist nichts zu spüren, weder bei den Interpreten noch beim Publikum. Eher ist in der Atmosphäre des Konzertes der Suchtfaktor Kammermusik fast als Wölkchen greifbar.
Selten etwa dürfte der Rundfunk, der am Sonntag live übertrug, ein derart mucksmäuschenstilles Auditorium erlebt haben. Und die Mikrofone sorgten natürlich auch für besondere Spannung auf dem Podium. Allerdings waren alle Werke des Abends dazu geeignet, emotionale und durchaus auch effektvolle Momente hervorzubringen, das begann schon in Beethovens Streichtrio Opus 9/1, das Kai Vogler, Ulrich Eichenauer und Alban Gerhardt mit dem Wissen um diesen garstigen „Abschiedsgruß“ an die leicht bekömmliche Welt eines Haydn oder Mozart interpretierten: da saß jede harmonische Überraschung, war die Dreistimmigkeit klug ausbalanciert.
In der durchaus intellektuellen Konzentration der Komposition, die subtil ihre Grenzen fasst, lag auch eine Gemeinsamkeit mit der Sonate für Violine und Violoncello von Maurice Ravel, die immerhin einen inspirativen Bogen von Schönberg über Poe zu Mozart fasst und in der Zweistimmigkeit vor allem in Rhythmik und Form virtuos spielerisch erscheint. Die Aufführung fand „in Familie“ statt: Mira Wang (Violine) und Jan Vogler (Cello) ergänzten sich prächtig, hier und da hätte Mut eine gewisse Vorsicht in einigen – sicher waghalsig komponierten – Übergängen ersetzen dürfen. Den Hauptgang der Kammermusikspeise gab es in der zweiten Konzerthälfte, allerdings – um beim Thema zu bleiben – nicht „wie bei Muttern“, sondern mit einer exquisiten Entdeckung: Das Streichquintett in G-Dur von Sergej Tanejew zeigt einen heute fast vergessenen Komponisten auf dem Gipfel seiner Kompositionskunst.
Mühelos zieht Tanejew alle Register von Kontrapunkt und Instrumentation: das Scherzo ist gewohnt russisch-dramatisch, der Variationensatz als Finale birgt ein vollmundiges Cello-Duo und natürlich eine Fuge in sich. Erstklassig kitzeln Baiba Skride, Gergana Gergova, David Aaron Carpenter, Jan Vogler und Alban Gerhardt mit all ihrem Können aus dieser Partitur die Leidenschaft heraus, die diesem verkannten Meisterwerk der russischen Spätromantik innewohnt. Mit dieser Entdeckung ging ein rundes, stimmiges, in seiner Intensität begeisterndes Konzert zu Ende.
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